Es ist bekannt, dass in späterer Zeit die Phönizier ihr Zinn aus Britannien bezogen und dass die Herrschaft über diesen Handel eine wesentliche Quelle ihres Reichtums war. Es ist aber nicht wahrschein- lich, dass dieser Bezug schon so alt ist, als die Erfindung der Bronze. Demnach müssen die Phönizier in älterer Zeit, vor dem Jahre 1200 v. Chr. anderswoher welches bezogen haben. Einige sind der Ansicht, dass das Zinn schon in sehr früher Zeit durch den arabischen Zwischen- handel von Indien zu den Phöniziern kam. Die Hauptstütze für diese Annahme ist die Identität der Bezeichnung für Zinn im Sanskrit und in den arabisch-aramäischen Sprachen. Kastira heisst das Zinn im Sanskrit, kastir im Aramäischen, kasdir im Arabischen, mit welchem ferner das griechische kassiteros in engster Beziehung steht. Hierbei nehmen die Verfechter der ersten Ansicht an, dass das Wort aus dem Sanskrit in die semitischen Sprachen übergegangen sei, während die Vertreter der andern Ansicht mit weit mehr Grund das Umgekehrte annehmen, nämlich dass das Wort und die Ware von Arabien aus nach Indien importiert worden ist. Hierfür haben wir die direkten Zeug- nisse der alten Schriftsteller. Sowohl in dem Arrianischen Periplus, als auch in der Naturgeschichte des Plinius wird das Zinn neben Blei und Erz unter den Einfuhrartikeln nach Indien aufgeführt 1). Vorder- indien hat überdies wenig Zinn und waren die noch nicht langentdeckten Zinnvorkommen im Mewar und nordwestlich vom Vindhyagebirge den Alten unbekannt, dagegen ist freilich Hinterindien und die indischen Inseln, besonders Siam, Malakka und die Insel Banka sehr reich an diesem Metalle, das heutzutage in Menge von da nach Europa kommt. Doch ist das Bankazinn erst seit dem Jahre 1711 in Europa bekannt. Die phönizischen und arabischen Schiffe sind aber in alter Zeit nicht bis zu jenen Ländern vorgedrungen und wenn -- was nicht wahrscheinlich -- andererseits schon ein Handelsverkehr zwischen Hinter- und Vorder- indien bestanden hätte, durch den das Metall in die Hände der Phöni- zier hätte gelangen können, so bleibt es unerklärlich, wie später phönizische und arabische Händler Zinn nach Indien fahren und dort mit Vorteil absetzen konnten.
Die Herleitung des Zinns in der vorbritannischen Zeit von Hinter- indien und dem indischen Archipel erscheint demnach wenig begründet. Bei der Dürftigkeit aller Nachrichten über die Herkunft des Zinns in ältester Zeit bekommt die Mitteilung Strabos, dass die Drangen in ihrem Gebiete am Südabhange des Paropamisus Zinn durch Bergbau gewonnen
1) Plinius hist. nat. 34, 48 sagt: India neque aes, neque plumbum (album) habet, gemisque suis ac margaritis haec permutat.
Syrien.
Es ist bekannt, daſs in späterer Zeit die Phönizier ihr Zinn aus Britannien bezogen und daſs die Herrschaft über diesen Handel eine wesentliche Quelle ihres Reichtums war. Es ist aber nicht wahrschein- lich, daſs dieser Bezug schon so alt ist, als die Erfindung der Bronze. Demnach müssen die Phönizier in älterer Zeit, vor dem Jahre 1200 v. Chr. anderswoher welches bezogen haben. Einige sind der Ansicht, daſs das Zinn schon in sehr früher Zeit durch den arabischen Zwischen- handel von Indien zu den Phöniziern kam. Die Hauptstütze für diese Annahme ist die Identität der Bezeichnung für Zinn im Sanskrit und in den arabisch-aramäischen Sprachen. Kastira heiſst das Zinn im Sanskrit, kastir im Aramäischen, kasdir im Arabischen, mit welchem ferner das griechische κασσίτερος in engster Beziehung steht. Hierbei nehmen die Verfechter der ersten Ansicht an, daſs das Wort aus dem Sanskrit in die semitischen Sprachen übergegangen sei, während die Vertreter der andern Ansicht mit weit mehr Grund das Umgekehrte annehmen, nämlich daſs das Wort und die Ware von Arabien aus nach Indien importiert worden ist. Hierfür haben wir die direkten Zeug- nisse der alten Schriftsteller. Sowohl in dem Arrianischen Periplus, als auch in der Naturgeschichte des Plinius wird das Zinn neben Blei und Erz unter den Einfuhrartikeln nach Indien aufgeführt 1). Vorder- indien hat überdies wenig Zinn und waren die noch nicht langentdeckten Zinnvorkommen im Mewar und nordwestlich vom Vindhyagebirge den Alten unbekannt, dagegen ist freilich Hinterindien und die indischen Inseln, besonders Siam, Malakka und die Insel Banka sehr reich an diesem Metalle, das heutzutage in Menge von da nach Europa kommt. Doch ist das Bankazinn erst seit dem Jahre 1711 in Europa bekannt. Die phönizischen und arabischen Schiffe sind aber in alter Zeit nicht bis zu jenen Ländern vorgedrungen und wenn — was nicht wahrscheinlich — andererseits schon ein Handelsverkehr zwischen Hinter- und Vorder- indien bestanden hätte, durch den das Metall in die Hände der Phöni- zier hätte gelangen können, so bleibt es unerklärlich, wie später phönizische und arabische Händler Zinn nach Indien fahren und dort mit Vorteil absetzen konnten.
Die Herleitung des Zinns in der vorbritannischen Zeit von Hinter- indien und dem indischen Archipel erscheint demnach wenig begründet. Bei der Dürftigkeit aller Nachrichten über die Herkunft des Zinns in ältester Zeit bekommt die Mitteilung Strabos, daſs die Drangen in ihrem Gebiete am Südabhange des Paropamisus Zinn durch Bergbau gewonnen
1) Plinius hist. nat. 34, 48 sagt: India neque aes, neque plumbum (album) habet, gemisque suis ac margaritis haec permutat.
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Syrien.
Es ist bekannt, daſs in späterer Zeit die Phönizier ihr Zinn aus
Britannien bezogen und daſs die Herrschaft über diesen Handel eine
wesentliche Quelle ihres Reichtums war. Es ist aber nicht wahrschein-
lich, daſs dieser Bezug schon so alt ist, als die Erfindung der Bronze.
Demnach müssen die Phönizier in älterer Zeit, vor dem Jahre 1200 v. Chr.
anderswoher welches bezogen haben. Einige sind der Ansicht, daſs
das Zinn schon in sehr früher Zeit durch den arabischen Zwischen-
handel von Indien zu den Phöniziern kam. Die Hauptstütze für diese
Annahme ist die Identität der Bezeichnung für Zinn im Sanskrit und
in den arabisch-aramäischen Sprachen. Kastira heiſst das Zinn im
Sanskrit, kastir im Aramäischen, kasdir im Arabischen, mit welchem
ferner das griechische κασσίτερος in engster Beziehung steht. Hierbei
nehmen die Verfechter der ersten Ansicht an, daſs das Wort aus dem
Sanskrit in die semitischen Sprachen übergegangen sei, während die
Vertreter der andern Ansicht mit weit mehr Grund das Umgekehrte
annehmen, nämlich daſs das Wort und die Ware von Arabien aus nach
Indien importiert worden ist. Hierfür haben wir die direkten Zeug-
nisse der alten Schriftsteller. Sowohl in dem Arrianischen Periplus,
als auch in der Naturgeschichte des Plinius wird das Zinn neben Blei
und Erz unter den Einfuhrartikeln nach Indien aufgeführt 1). Vorder-
indien hat überdies wenig Zinn und waren die noch nicht langentdeckten
Zinnvorkommen im Mewar und nordwestlich vom Vindhyagebirge den
Alten unbekannt, dagegen ist freilich Hinterindien und die indischen
Inseln, besonders Siam, Malakka und die Insel Banka sehr reich an
diesem Metalle, das heutzutage in Menge von da nach Europa kommt.
Doch ist das Bankazinn erst seit dem Jahre 1711 in Europa bekannt.
Die phönizischen und arabischen Schiffe sind aber in alter Zeit nicht bis
zu jenen Ländern vorgedrungen und wenn — was nicht wahrscheinlich —
andererseits schon ein Handelsverkehr zwischen Hinter- und Vorder-
indien bestanden hätte, durch den das Metall in die Hände der Phöni-
zier hätte gelangen können, so bleibt es unerklärlich, wie später
phönizische und arabische Händler Zinn nach Indien fahren und dort
mit Vorteil absetzen konnten.
Die Herleitung des Zinns in der vorbritannischen Zeit von Hinter-
indien und dem indischen Archipel erscheint demnach wenig begründet.
Bei der Dürftigkeit aller Nachrichten über die Herkunft des Zinns in
ältester Zeit bekommt die Mitteilung Strabos, daſs die Drangen in ihrem
Gebiete am Südabhange des Paropamisus Zinn durch Bergbau gewonnen
1) Plinius hist. nat. 34, 48 sagt: India neque aes, neque plumbum (album)
habet, gemisque suis ac margaritis haec permutat.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/207>, abgerufen am 27.11.2024.
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