Wie einfach die Erfindung der Drahtmühlen war, nachdem zuvor das Ziehen mit der Hand erfunden war, geht aus beifolgender Skizze einer italienischen Drahtmühle aus der ersten Hälfte des 16. Jahr- hunderts hervor, die Vanuccio Biringoccio in seiner Pyrotechnica (S. 292) mitgeteilt hat (Fig. 284). Denn in allen Stücken ist es dasselbe, wie der oben beschriebene Handzug, nur dass die Wasserkraft die Zange zurückzieht und dass dadurch dem Arbeiter eine Erleichterung ver- schafft wird. Seine Mitwirkung ist aber durchaus nicht unnötig ge- macht, wie man sieht, indem er bei jedem Umgang selbst die Zange fassen, öffnen und den Draht richtig fassen muss. Er geht auch bei der Bewegung der Zange mit hin und her, indem er in derselben Weise wie der Handdrahtzieher auf einer Schaukel sitzt, nur mit dem Unter- schied, dass er seine Beine nicht niederstemmen muss, sondern ganz frei schwebt. Später erst erfand man den Drahtzug, bei dem Daumen einer Welle die Zange packten, während dieselben auf einem Tische, nachdem die Däumlinge ausgelassen haben, durch eine elastische Feder wieder zurückgeschnellt wird. Die Zange fasst beim Rückgange von selbst den Draht. Dass das Drahtziehergewerbe sich schon sehr früh in den berühmten Drahtplätzen Westfalens, in Iserlohn, Altena und Lüdenscheid festsetzte, geht aus einer alten Urkunde hervor, durch die Johann von Cleve im Jahre 1456 das Drahtzieherprivilegium für Altena bestätigt. Die künstlichen Drahtzüge sind zweifellos eine deutsche Erfindung, wenn auch die Franzosen sie ihrem Landsmann Richard Archal zuschreiben, der wahrscheinlich die ersten Drahtzüge in Frankreich eingeführt. 1447 wird auch bereits einer Drahtmühle in Breslau erwähnt, 1506 einer in Zwickau, während in England 1565 noch aller Draht, der nicht aus dem Auslande bezogen wurde, ge- schmiedet worden sein soll. Die erste Drahtmühle in London legte ein Deutscher, Gottfried Bex, im Jahre 1590 an.
Mit der Drahtfabrikation in enger Verbindung steht das Nadler- gewerbe. In älterer Zeit bediente man sich statt unserer Näh- und Stecknadeln aus Stahl, Stifte von hartem Holz, Fischgräten und Nadeln aus Knochen. Später waren die Nadeln von Erz, namentlich die Gewandnadeln (fibulae). Die ersten eigentlichen Stecknadeln wurden, und zwar von Messing, in Nürnberg gemacht, wo das Gewerbe der Nadler im Jahre 1370 bereits zünftig war. Dagegen soll es zuerst ein Engländer, Namens Harris zu Waltham Abbey in Essex, gewesen sein, der Stecknadeln aus Eisendraht mit angegossenen Kupferköpfen machte. Die Nadlerei blühte in alten Zeiten besonders in Nürnberg und Fürth. Später auch in Franken, zu Iserlohn in Westfalen,
Drahtzieher. — Nadler.
Wie einfach die Erfindung der Drahtmühlen war, nachdem zuvor das Ziehen mit der Hand erfunden war, geht aus beifolgender Skizze einer italienischen Drahtmühle aus der ersten Hälfte des 16. Jahr- hunderts hervor, die Vanuccio Biringoccio in seiner Pyrotechnica (S. 292) mitgeteilt hat (Fig. 284). Denn in allen Stücken ist es dasſelbe, wie der oben beschriebene Handzug, nur daſs die Wasserkraft die Zange zurückzieht und daſs dadurch dem Arbeiter eine Erleichterung ver- schafft wird. Seine Mitwirkung ist aber durchaus nicht unnötig ge- macht, wie man sieht, indem er bei jedem Umgang selbst die Zange fassen, öffnen und den Draht richtig fassen muſs. Er geht auch bei der Bewegung der Zange mit hin und her, indem er in derselben Weise wie der Handdrahtzieher auf einer Schaukel sitzt, nur mit dem Unter- schied, daſs er seine Beine nicht niederstemmen muſs, sondern ganz frei schwebt. Später erst erfand man den Drahtzug, bei dem Daumen einer Welle die Zange packten, während dieselben auf einem Tische, nachdem die Däumlinge ausgelassen haben, durch eine elastische Feder wieder zurückgeschnellt wird. Die Zange faſst beim Rückgange von selbst den Draht. Daſs das Drahtziehergewerbe sich schon sehr früh in den berühmten Drahtplätzen Westfalens, in Iserlohn, Altena und Lüdenscheid festsetzte, geht aus einer alten Urkunde hervor, durch die Johann von Cleve im Jahre 1456 das Drahtzieherprivilegium für Altena bestätigt. Die künstlichen Drahtzüge sind zweifellos eine deutsche Erfindung, wenn auch die Franzosen sie ihrem Landsmann Richard Archal zuschreiben, der wahrscheinlich die ersten Drahtzüge in Frankreich eingeführt. 1447 wird auch bereits einer Drahtmühle in Breslau erwähnt, 1506 einer in Zwickau, während in England 1565 noch aller Draht, der nicht aus dem Auslande bezogen wurde, ge- schmiedet worden sein soll. Die erste Drahtmühle in London legte ein Deutscher, Gottfried Bex, im Jahre 1590 an.
Mit der Drahtfabrikation in enger Verbindung steht das Nadler- gewerbe. In älterer Zeit bediente man sich statt unserer Näh- und Stecknadeln aus Stahl, Stifte von hartem Holz, Fischgräten und Nadeln aus Knochen. Später waren die Nadeln von Erz, namentlich die Gewandnadeln (fibulae). Die ersten eigentlichen Stecknadeln wurden, und zwar von Messing, in Nürnberg gemacht, wo das Gewerbe der Nadler im Jahre 1370 bereits zünftig war. Dagegen soll es zuerst ein Engländer, Namens Harris zu Waltham Abbey in Essex, gewesen sein, der Stecknadeln aus Eisendraht mit angegossenen Kupferköpfen machte. Die Nadlerei blühte in alten Zeiten besonders in Nürnberg und Fürth. Später auch in Franken, zu Iserlohn in Westfalen,
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Drahtzieher. — Nadler.
Wie einfach die Erfindung der Drahtmühlen war, nachdem zuvor
das Ziehen mit der Hand erfunden war, geht aus beifolgender Skizze
einer italienischen Drahtmühle aus der ersten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts hervor, die Vanuccio Biringoccio in seiner Pyrotechnica (S. 292)
mitgeteilt hat (Fig. 284). Denn in allen Stücken ist es dasſelbe, wie
der oben beschriebene Handzug, nur daſs die Wasserkraft die Zange
zurückzieht und daſs dadurch dem Arbeiter eine Erleichterung ver-
schafft wird. Seine Mitwirkung ist aber durchaus nicht unnötig ge-
macht, wie man sieht, indem er bei jedem Umgang selbst die Zange
fassen, öffnen und den Draht richtig fassen muſs. Er geht auch bei
der Bewegung der Zange mit hin und her, indem er in derselben Weise
wie der Handdrahtzieher auf einer Schaukel sitzt, nur mit dem Unter-
schied, daſs er seine Beine nicht niederstemmen muſs, sondern ganz
frei schwebt. Später erst erfand man den Drahtzug, bei dem Daumen
einer Welle die Zange packten, während dieselben auf einem Tische,
nachdem die Däumlinge ausgelassen haben, durch eine elastische Feder
wieder zurückgeschnellt wird. Die Zange faſst beim Rückgange von
selbst den Draht. Daſs das Drahtziehergewerbe sich schon sehr früh
in den berühmten Drahtplätzen Westfalens, in Iserlohn, Altena und
Lüdenscheid festsetzte, geht aus einer alten Urkunde hervor, durch
die Johann von Cleve im Jahre 1456 das Drahtzieherprivilegium für
Altena bestätigt. Die künstlichen Drahtzüge sind zweifellos eine
deutsche Erfindung, wenn auch die Franzosen sie ihrem Landsmann
Richard Archal zuschreiben, der wahrscheinlich die ersten Drahtzüge
in Frankreich eingeführt. 1447 wird auch bereits einer Drahtmühle in
Breslau erwähnt, 1506 einer in Zwickau, während in England 1565
noch aller Draht, der nicht aus dem Auslande bezogen wurde, ge-
schmiedet worden sein soll. Die erste Drahtmühle in London legte
ein Deutscher, Gottfried Bex, im Jahre 1590 an.
Mit der Drahtfabrikation in enger Verbindung steht das Nadler-
gewerbe. In älterer Zeit bediente man sich statt unserer Näh- und
Stecknadeln aus Stahl, Stifte von hartem Holz, Fischgräten und
Nadeln aus Knochen. Später waren die Nadeln von Erz, namentlich
die Gewandnadeln (fibulae). Die ersten eigentlichen Stecknadeln
wurden, und zwar von Messing, in Nürnberg gemacht, wo das Gewerbe
der Nadler im Jahre 1370 bereits zünftig war. Dagegen soll es zuerst
ein Engländer, Namens Harris zu Waltham Abbey in Essex, gewesen
sein, der Stecknadeln aus Eisendraht mit angegossenen Kupferköpfen
machte. Die Nadlerei blühte in alten Zeiten besonders in Nürnberg
und Fürth. Später auch in Franken, zu Iserlohn in Westfalen,
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 890. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/912>, abgerufen am 23.11.2024.
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