Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Cementstahlfabrikation.

In der That verdiente das Werk diese grosse Anerkennung im
vollsten Masse. Die Cementstahlfabrikation und die Darstellungen
des schmiedbaren Gusses waren zwar keine neuen Erfindungen
Reaumurs, aber sie waren bis dahin von denen, die sie betrieben
hatten, so geheim gehalten worden, dass sie für die Technik so gut
wie unbekannt waren. Reaumur suchte und fand die richtigen
Darstellungsmethoden und machte sie aller Welt bekannt.

"Da die Regeln, welche wir mitteilen, ganz neu sind", schreibt
er, "oder was dasselbe sagt, seither geheim gehalten waren, so hatten
wir dieselben nicht nur vorzutragen, sondern auch auf ihren Wert zu
prüfen." Dies that er in der gründlichsten und klarsten Weise. Diese
rücksichtslose Veröffentlichung wichtiger technischer Prozesse war
neu und wurde ihm von vielen sogar verübelt, die meinten, solche
Dinge gehörten nicht vor das grosse Publikum, man hätte sie Gesell-
schaften anvertrauen sollen, welche dieselben hätten ausbeuten können,
oder wenigstens dem Staate, damit der Nutzen Frankreich allein zu
gute gekommen wäre. Reaumurs erhabene Denkweise spricht sich
deutlich in seiner Antwort darauf aus.

"Die Gefühle, welche dem ersten Gedanken zu Grunde liegen,
sind nicht edel genug, dass man sie noch dadurch verherrlichen sollte,
dass man sie widerlegt; sind sie nicht selbst gegen die natürliche
Gleichheit? Ist es denn sicher, dass unsere Entdeckungen so sehr
unser sind, dass das Publikum kein Recht daran hätte, dass sie nicht
in gewissem Sinne ihm gehörten? Wir müssen Alle und das ist
unsere erste Pflicht, zu dem allgemeinen Wohle der Gesellschaft bei-
tragen; wer das unterlässt, wenn er es thun kann, wer das unterlässt,
wenn es ihn nur Worte der Rede kostet, versäumt eine wichtige
Pflicht unter den verabscheuungswürdigsten Umständen. Wenn dieser
Grundsatz feststeht, sind wir dann noch die absoluten Herren unserer
Entdeckungen?" Allerdings zeige das Publikum solcher Gesinnung
gegenüber wenig Dankbarkeit, denn das Geheimgehaltene schätze es
über alles Mass, dem aber, der das Geheimnis enthülle, zeige es sich
undankbar, ja ablehnend, indem es finde, dass dies ja nichts wunder-
bares sei, dieser oder jener Teil der Entdeckung längst bekannt ge-
wesen sei u. s. w. Dieses Verhalten des Publikums habe viele Gelehrte
veranlasst, Erfindungen geheim zu halten oder sie so dunkel zu be-
schreiben, dass der Leser nichts damit anfangen könne. Dies sei aber
unrecht. Dürfe der Arzt sich weigern, in der Gefahr einem körperlich
Leidenden Hilfe zu leisten? und verhalte es sich mit geistigen Mängeln
anders? Er behaupte, die, welche ihre Untersuchungen unklar dar-

Die Cementstahlfabrikation.

In der That verdiente das Werk diese groſse Anerkennung im
vollsten Maſse. Die Cementstahlfabrikation und die Darstellungen
des schmiedbaren Gusses waren zwar keine neuen Erfindungen
Reaumurs, aber sie waren bis dahin von denen, die sie betrieben
hatten, so geheim gehalten worden, daſs sie für die Technik so gut
wie unbekannt waren. Reaumur suchte und fand die richtigen
Darstellungsmethoden und machte sie aller Welt bekannt.

„Da die Regeln, welche wir mitteilen, ganz neu sind“, schreibt
er, „oder was dasselbe sagt, seither geheim gehalten waren, so hatten
wir dieselben nicht nur vorzutragen, sondern auch auf ihren Wert zu
prüfen.“ Dies that er in der gründlichsten und klarsten Weise. Diese
rücksichtslose Veröffentlichung wichtiger technischer Prozesse war
neu und wurde ihm von vielen sogar verübelt, die meinten, solche
Dinge gehörten nicht vor das groſse Publikum, man hätte sie Gesell-
schaften anvertrauen sollen, welche dieselben hätten ausbeuten können,
oder wenigstens dem Staate, damit der Nutzen Frankreich allein zu
gute gekommen wäre. Reaumurs erhabene Denkweise spricht sich
deutlich in seiner Antwort darauf aus.

„Die Gefühle, welche dem ersten Gedanken zu Grunde liegen,
sind nicht edel genug, daſs man sie noch dadurch verherrlichen sollte,
daſs man sie widerlegt; sind sie nicht selbst gegen die natürliche
Gleichheit? Ist es denn sicher, daſs unsere Entdeckungen so sehr
unser sind, daſs das Publikum kein Recht daran hätte, daſs sie nicht
in gewissem Sinne ihm gehörten? Wir müssen Alle und das ist
unsere erste Pflicht, zu dem allgemeinen Wohle der Gesellschaft bei-
tragen; wer das unterläſst, wenn er es thun kann, wer das unterläſst,
wenn es ihn nur Worte der Rede kostet, versäumt eine wichtige
Pflicht unter den verabscheuungswürdigsten Umständen. Wenn dieser
Grundsatz feststeht, sind wir dann noch die absoluten Herren unserer
Entdeckungen?“ Allerdings zeige das Publikum solcher Gesinnung
gegenüber wenig Dankbarkeit, denn das Geheimgehaltene schätze es
über alles Maſs, dem aber, der das Geheimnis enthülle, zeige es sich
undankbar, ja ablehnend, indem es finde, daſs dies ja nichts wunder-
bares sei, dieser oder jener Teil der Entdeckung längst bekannt ge-
wesen sei u. s. w. Dieses Verhalten des Publikums habe viele Gelehrte
veranlaſst, Erfindungen geheim zu halten oder sie so dunkel zu be-
schreiben, daſs der Leser nichts damit anfangen könne. Dies sei aber
unrecht. Dürfe der Arzt sich weigern, in der Gefahr einem körperlich
Leidenden Hilfe zu leisten? und verhalte es sich mit geistigen Mängeln
anders? Er behaupte, die, welche ihre Untersuchungen unklar dar-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0216" n="202"/>
            <fw place="top" type="header">Die Cementstahlfabrikation.</fw><lb/>
            <p>In der That verdiente das Werk diese gro&#x017F;se Anerkennung im<lb/>
vollsten Ma&#x017F;se. Die Cementstahlfabrikation und die Darstellungen<lb/>
des schmiedbaren Gusses waren zwar keine neuen Erfindungen<lb/><hi rendition="#g">Reaumurs</hi>, aber sie waren bis dahin von denen, die sie betrieben<lb/>
hatten, so geheim gehalten worden, da&#x017F;s sie für die Technik so gut<lb/>
wie unbekannt waren. <hi rendition="#g">Reaumur</hi> suchte und fand die richtigen<lb/>
Darstellungsmethoden und machte sie aller Welt bekannt.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Da die Regeln, welche wir mitteilen, ganz neu sind&#x201C;, schreibt<lb/>
er, &#x201E;oder was dasselbe sagt, seither geheim gehalten waren, so hatten<lb/>
wir dieselben nicht nur vorzutragen, sondern auch auf ihren Wert zu<lb/>
prüfen.&#x201C; Dies that er in der gründlichsten und klarsten Weise. Diese<lb/>
rücksichtslose Veröffentlichung wichtiger technischer Prozesse war<lb/>
neu und wurde ihm von vielen sogar verübelt, die meinten, solche<lb/>
Dinge gehörten nicht vor das gro&#x017F;se Publikum, man hätte sie Gesell-<lb/>
schaften anvertrauen sollen, welche dieselben hätten ausbeuten können,<lb/>
oder wenigstens dem Staate, damit der Nutzen Frankreich allein zu<lb/>
gute gekommen wäre. <hi rendition="#g">Reaumurs</hi> erhabene Denkweise spricht sich<lb/>
deutlich in seiner Antwort darauf aus.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Die Gefühle, welche dem ersten Gedanken zu Grunde liegen,<lb/>
sind nicht edel genug, da&#x017F;s man sie noch dadurch verherrlichen sollte,<lb/>
da&#x017F;s man sie widerlegt; sind sie nicht selbst gegen die natürliche<lb/>
Gleichheit? Ist es denn sicher, da&#x017F;s unsere Entdeckungen so sehr<lb/>
unser sind, da&#x017F;s das Publikum kein Recht daran hätte, da&#x017F;s sie nicht<lb/>
in gewissem Sinne ihm gehörten? Wir müssen Alle und das ist<lb/>
unsere erste Pflicht, zu dem allgemeinen Wohle der Gesellschaft bei-<lb/>
tragen; wer das unterlä&#x017F;st, wenn er es thun kann, wer das unterlä&#x017F;st,<lb/>
wenn es ihn nur Worte der Rede kostet, versäumt eine wichtige<lb/>
Pflicht unter den verabscheuungswürdigsten Umständen. Wenn dieser<lb/>
Grundsatz feststeht, sind wir dann noch die absoluten Herren unserer<lb/>
Entdeckungen?&#x201C; Allerdings zeige das Publikum solcher Gesinnung<lb/>
gegenüber wenig Dankbarkeit, denn das Geheimgehaltene schätze es<lb/>
über alles Ma&#x017F;s, dem aber, der das Geheimnis enthülle, zeige es sich<lb/>
undankbar, ja ablehnend, indem es finde, da&#x017F;s dies ja nichts wunder-<lb/>
bares sei, dieser oder jener Teil der Entdeckung längst bekannt ge-<lb/>
wesen sei u. s. w. Dieses Verhalten des Publikums habe viele Gelehrte<lb/>
veranla&#x017F;st, Erfindungen geheim zu halten oder sie so dunkel zu be-<lb/>
schreiben, da&#x017F;s der Leser nichts damit anfangen könne. Dies sei aber<lb/>
unrecht. Dürfe der Arzt sich weigern, in der Gefahr einem körperlich<lb/>
Leidenden Hilfe zu leisten? und verhalte es sich mit geistigen Mängeln<lb/>
anders? Er behaupte, die, welche ihre Untersuchungen unklar dar-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0216] Die Cementstahlfabrikation. In der That verdiente das Werk diese groſse Anerkennung im vollsten Maſse. Die Cementstahlfabrikation und die Darstellungen des schmiedbaren Gusses waren zwar keine neuen Erfindungen Reaumurs, aber sie waren bis dahin von denen, die sie betrieben hatten, so geheim gehalten worden, daſs sie für die Technik so gut wie unbekannt waren. Reaumur suchte und fand die richtigen Darstellungsmethoden und machte sie aller Welt bekannt. „Da die Regeln, welche wir mitteilen, ganz neu sind“, schreibt er, „oder was dasselbe sagt, seither geheim gehalten waren, so hatten wir dieselben nicht nur vorzutragen, sondern auch auf ihren Wert zu prüfen.“ Dies that er in der gründlichsten und klarsten Weise. Diese rücksichtslose Veröffentlichung wichtiger technischer Prozesse war neu und wurde ihm von vielen sogar verübelt, die meinten, solche Dinge gehörten nicht vor das groſse Publikum, man hätte sie Gesell- schaften anvertrauen sollen, welche dieselben hätten ausbeuten können, oder wenigstens dem Staate, damit der Nutzen Frankreich allein zu gute gekommen wäre. Reaumurs erhabene Denkweise spricht sich deutlich in seiner Antwort darauf aus. „Die Gefühle, welche dem ersten Gedanken zu Grunde liegen, sind nicht edel genug, daſs man sie noch dadurch verherrlichen sollte, daſs man sie widerlegt; sind sie nicht selbst gegen die natürliche Gleichheit? Ist es denn sicher, daſs unsere Entdeckungen so sehr unser sind, daſs das Publikum kein Recht daran hätte, daſs sie nicht in gewissem Sinne ihm gehörten? Wir müssen Alle und das ist unsere erste Pflicht, zu dem allgemeinen Wohle der Gesellschaft bei- tragen; wer das unterläſst, wenn er es thun kann, wer das unterläſst, wenn es ihn nur Worte der Rede kostet, versäumt eine wichtige Pflicht unter den verabscheuungswürdigsten Umständen. Wenn dieser Grundsatz feststeht, sind wir dann noch die absoluten Herren unserer Entdeckungen?“ Allerdings zeige das Publikum solcher Gesinnung gegenüber wenig Dankbarkeit, denn das Geheimgehaltene schätze es über alles Maſs, dem aber, der das Geheimnis enthülle, zeige es sich undankbar, ja ablehnend, indem es finde, daſs dies ja nichts wunder- bares sei, dieser oder jener Teil der Entdeckung längst bekannt ge- wesen sei u. s. w. Dieses Verhalten des Publikums habe viele Gelehrte veranlaſst, Erfindungen geheim zu halten oder sie so dunkel zu be- schreiben, daſs der Leser nichts damit anfangen könne. Dies sei aber unrecht. Dürfe der Arzt sich weigern, in der Gefahr einem körperlich Leidenden Hilfe zu leisten? und verhalte es sich mit geistigen Mängeln anders? Er behaupte, die, welche ihre Untersuchungen unklar dar-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897/216
Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897/216>, abgerufen am 25.11.2024.