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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897.

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Die Nadelfabrikation.
achtet," sagt Reaumur, "besitzen sie vor den messingenen auch einen
Vorzug, nämlich, dass sie härter sind und sich nicht so leicht krumm
biegen. Würden sie mit derselben Sorgfalt geglättet wie die Nähnadeln,
so würden sie wohl noch den messingenen Nadeln vorzuziehen sein und
ich weiss nicht, ob sie durch die Arbeit des Glättens viel teurer würden."

Zur Herstellung der Nadeln waren folgende Arbeiten erforderlich:
1. wurde der auf die richtige Dicke gezogene, gereinigte Draht ge-
richtet; 2. wurde er auf die richtige Länge abgeschnitten; 3. gespitzt;
4. fertig gemacht oder poliert; die 5. Arbeit war das Schmieden der
Schäfte, die 6. das Spinnen des Knopfdrahtes, die 7. das Schmieden
der Knöpfe, die 8. das Ausglühen der Knöpfe, die 9. das Aufsetzen
und Stumpen der Knöpfe, die 10. das Scheuern der Nadeln, die 11. das
Verzinnen derselben, die 12. das Abspülen, die 13. das Abtrocknen
im Rollfass, die 14. das Schwingen derselben, und die 15. das Ein-
stecken der Nadeln in Papier.

In den Fabriken zu L'Aigle in der Normandie, welches der Haupt-
sitz der französischen Nadelfabrikation war, kauften die Nadler etwas
stärkeren Draht ein und zogen ihn selbst zur richtigen Stärke. Immer
war aber der Draht in Ringen aufgerollt, also gebogen und musste
erst gerade gestreckt werden. Das Strecken oder Richten des Drahtes
(dresser le fil) geschah mit Hilfe einer sehr einfachen Vorrichtung,
dem Richteholze. Es bestand dies aus einem kleinen Brett, auf
welchem sechs bis sieben Drahtstifte so eingeschlagen waren, dass der
Draht, wenn man ihn zwischen denselben hindurchzog, gerade heraus
kam. Die Stifte richtig einzuschlagen, ist die Kunst des Drahtziehers,
die auf Übung und Erfahrung beruht. Der Richter (dresseur) besorgt
nur diese eine Arbeit, indem er dabei mit dem gestreckten Draht,
den er mit der Zange gefasst hat, rückwärts geht bis an das Ende
des Arbeitsraumes, dann erst schneidet er den Draht am Richtholz
ab und legt ihn zu dem zuvor gezogenen in Strähnen (des bottes) zu-
sammen. Der Draht wurde dann in flachen Strähnen nach dem Mass
eines Zuschneidemodells mit Handscheren geschnitten. Diese Stücke
(troncons) machte man so gross, dass jedes drei bis fünf Nadeln gab.
Das Spitzen geschah auf beiden Seiten des Drahtes mit Hilfe einer
umlaufenden verstählten Scheibe, deren Schleiffläche parallele Ein-
kerbungen oder Schneiden ähnlich einer Feile hatte. Man nennt diese
Schleifrädchen, die 11/2 Zoll dick sind und 3 Zoll Durchmesser haben,
Spitzringe. Dieselben werden durch ein grosses Rad, welches mit einer
Kurbel umgedreht wird, durch eine Schnur bewegt. Der Zuspitzer
drückt dabei eine Anzahl Drähte, welche die Breite von 2/3 des Rad-

Die Nadelfabrikation.
achtet,“ sagt Reaumur, „besitzen sie vor den messingenen auch einen
Vorzug, nämlich, daſs sie härter sind und sich nicht so leicht krumm
biegen. Würden sie mit derselben Sorgfalt geglättet wie die Nähnadeln,
so würden sie wohl noch den messingenen Nadeln vorzuziehen sein und
ich weiſs nicht, ob sie durch die Arbeit des Glättens viel teurer würden.“

Zur Herstellung der Nadeln waren folgende Arbeiten erforderlich:
1. wurde der auf die richtige Dicke gezogene, gereinigte Draht ge-
richtet; 2. wurde er auf die richtige Länge abgeschnitten; 3. gespitzt;
4. fertig gemacht oder poliert; die 5. Arbeit war das Schmieden der
Schäfte, die 6. das Spinnen des Knopfdrahtes, die 7. das Schmieden
der Knöpfe, die 8. das Ausglühen der Knöpfe, die 9. das Aufsetzen
und Stumpen der Knöpfe, die 10. das Scheuern der Nadeln, die 11. das
Verzinnen derselben, die 12. das Abspülen, die 13. das Abtrocknen
im Rollfaſs, die 14. das Schwingen derselben, und die 15. das Ein-
stecken der Nadeln in Papier.

In den Fabriken zu L’Aigle in der Normandie, welches der Haupt-
sitz der französischen Nadelfabrikation war, kauften die Nadler etwas
stärkeren Draht ein und zogen ihn selbst zur richtigen Stärke. Immer
war aber der Draht in Ringen aufgerollt, also gebogen und muſste
erst gerade gestreckt werden. Das Strecken oder Richten des Drahtes
(dresser le fil) geschah mit Hilfe einer sehr einfachen Vorrichtung,
dem Richteholze. Es bestand dies aus einem kleinen Brett, auf
welchem sechs bis sieben Drahtstifte so eingeschlagen waren, daſs der
Draht, wenn man ihn zwischen denselben hindurchzog, gerade heraus
kam. Die Stifte richtig einzuschlagen, ist die Kunst des Drahtziehers,
die auf Übung und Erfahrung beruht. Der Richter (dresseur) besorgt
nur diese eine Arbeit, indem er dabei mit dem gestreckten Draht,
den er mit der Zange gefaſst hat, rückwärts geht bis an das Ende
des Arbeitsraumes, dann erst schneidet er den Draht am Richtholz
ab und legt ihn zu dem zuvor gezogenen in Strähnen (des bottes) zu-
sammen. Der Draht wurde dann in flachen Strähnen nach dem Maſs
eines Zuschneidemodells mit Handscheren geschnitten. Diese Stücke
(tronçons) machte man so groſs, daſs jedes drei bis fünf Nadeln gab.
Das Spitzen geschah auf beiden Seiten des Drahtes mit Hilfe einer
umlaufenden verstählten Scheibe, deren Schleiffläche parallele Ein-
kerbungen oder Schneiden ähnlich einer Feile hatte. Man nennt diese
Schleifrädchen, die 1½ Zoll dick sind und 3 Zoll Durchmesser haben,
Spitzringe. Dieselben werden durch ein groſses Rad, welches mit einer
Kurbel umgedreht wird, durch eine Schnur bewegt. Der Zuspitzer
drückt dabei eine Anzahl Drähte, welche die Breite von ⅔ des Rad-

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[266/0280] Die Nadelfabrikation. achtet,“ sagt Reaumur, „besitzen sie vor den messingenen auch einen Vorzug, nämlich, daſs sie härter sind und sich nicht so leicht krumm biegen. Würden sie mit derselben Sorgfalt geglättet wie die Nähnadeln, so würden sie wohl noch den messingenen Nadeln vorzuziehen sein und ich weiſs nicht, ob sie durch die Arbeit des Glättens viel teurer würden.“ Zur Herstellung der Nadeln waren folgende Arbeiten erforderlich: 1. wurde der auf die richtige Dicke gezogene, gereinigte Draht ge- richtet; 2. wurde er auf die richtige Länge abgeschnitten; 3. gespitzt; 4. fertig gemacht oder poliert; die 5. Arbeit war das Schmieden der Schäfte, die 6. das Spinnen des Knopfdrahtes, die 7. das Schmieden der Knöpfe, die 8. das Ausglühen der Knöpfe, die 9. das Aufsetzen und Stumpen der Knöpfe, die 10. das Scheuern der Nadeln, die 11. das Verzinnen derselben, die 12. das Abspülen, die 13. das Abtrocknen im Rollfaſs, die 14. das Schwingen derselben, und die 15. das Ein- stecken der Nadeln in Papier. In den Fabriken zu L’Aigle in der Normandie, welches der Haupt- sitz der französischen Nadelfabrikation war, kauften die Nadler etwas stärkeren Draht ein und zogen ihn selbst zur richtigen Stärke. Immer war aber der Draht in Ringen aufgerollt, also gebogen und muſste erst gerade gestreckt werden. Das Strecken oder Richten des Drahtes (dresser le fil) geschah mit Hilfe einer sehr einfachen Vorrichtung, dem Richteholze. Es bestand dies aus einem kleinen Brett, auf welchem sechs bis sieben Drahtstifte so eingeschlagen waren, daſs der Draht, wenn man ihn zwischen denselben hindurchzog, gerade heraus kam. Die Stifte richtig einzuschlagen, ist die Kunst des Drahtziehers, die auf Übung und Erfahrung beruht. Der Richter (dresseur) besorgt nur diese eine Arbeit, indem er dabei mit dem gestreckten Draht, den er mit der Zange gefaſst hat, rückwärts geht bis an das Ende des Arbeitsraumes, dann erst schneidet er den Draht am Richtholz ab und legt ihn zu dem zuvor gezogenen in Strähnen (des bottes) zu- sammen. Der Draht wurde dann in flachen Strähnen nach dem Maſs eines Zuschneidemodells mit Handscheren geschnitten. Diese Stücke (tronçons) machte man so groſs, daſs jedes drei bis fünf Nadeln gab. Das Spitzen geschah auf beiden Seiten des Drahtes mit Hilfe einer umlaufenden verstählten Scheibe, deren Schleiffläche parallele Ein- kerbungen oder Schneiden ähnlich einer Feile hatte. Man nennt diese Schleifrädchen, die 1½ Zoll dick sind und 3 Zoll Durchmesser haben, Spitzringe. Dieselben werden durch ein groſses Rad, welches mit einer Kurbel umgedreht wird, durch eine Schnur bewegt. Der Zuspitzer drückt dabei eine Anzahl Drähte, welche die Breite von ⅔ des Rad-

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897/280>, abgerufen am 20.05.2024.