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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899.

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Einleitung 1816 bis 1830.

Frankreich, obgleich es ungeheure Opfer an Geld und Menschen-
leben dem nationalen und dem napoleonischen Ehrgeiz geopfert hatte,
war nicht sehr verarmt. Anderseits war es aber verhältnismässig
am allermeisten in seiner Eisenindustrie zurückgeblieben. Jetzt, da
durch den Frieden die feindliche Scheidewand gegen England ge-
fallen war, suchten der Staat und die Industriellen von der englischen
Nachbarschaft durch Verpflanzung der besseren englischen Einrich-
tungen nach Frankreich Vorteil zu ziehen. In Belgien und Frank-
reich entwickelte sich eine neue grossartige Eisenindustrie auf dieser
Grundlage. Bezeichnend ist, dass dieser mächtige Umschwung und
Aufschwung durch englische Unternehmer herbeigeführt wurde. In
Belgien war es der geniale John Cockerill, welcher das Eisenwerk
zu Seraing und die moderne Eisenindustrie dieses Landes schuf,
in Frankreich waren es die Engländer Manby, Wilson & Co.,
welche das grosse Eisenwerk zu Charenton bei Paris gründeten, das
Muster und Ausgangspunkt für die moderne französische Eisen-
industrie geworden ist. Wir werden später auf diese für den ganzen
europäischen Kontinent so wichtigen Gründungen noch näher zu
sprechen kommen.

Nicht in gleichem Masse nahmen die übrigen Staaten Europas
an diesen Fortschritten teil. Schweden und Russland waren durch
die Natur auf den Holzkohlenbetrieb angewiesen, konnten also an
den Verbesserungen der Steinkohlen-Eisenindustrie nur wenig teil-
nehmen. Deutschland aber war durch seine materielle und politische
Ohnmacht ausser Stande, mit England, Frankreich und Belgien gleichen
Schritt zu halten. Deutschland war, wie bei allen grossen euro-
päischen Kriegen, auch diesmal wieder das Schlachtfeld gewesen.
Das ohnehin verarmte Land war dadurch schwer heimgesucht worden
und konnte sich nur sehr langsam von seiner Zerrüttung erholen.
Es fehlte das Kapital, der Unternehmungsgeist und der Mut für
industrielle Gründungen. Dazu kam die unselige politische Zerrissen-
heit, welche durch den traurigen Wiener Frieden noch verschärft und
legalisiert worden war. Jeder der etwa 40 Einzelstaaten, welche den
neugeschaffenen sogenannten deutschen Bund bildeten, beeilte sich,
sein Gebiet mit Zollgrenzen und Schlagbäumen abzusperren. Zwar
erkannte jeder einzelne Staat die Verkehrtheit und Schädlichkeit
dieses Absperrungssystems an und theoretisch hatte schon die Bundes-
akte die wirtschaftliche Vereinigung der deutschen Staaten als eine
Notwendigkeit anerkannt. Aber kein Staat wollte ein Opfer bringen,
jeder sah auf seinen Nachbar mit kurzsichtiger Eifersucht hin und

Einleitung 1816 bis 1830.

Frankreich, obgleich es ungeheure Opfer an Geld und Menschen-
leben dem nationalen und dem napoleonischen Ehrgeiz geopfert hatte,
war nicht sehr verarmt. Anderseits war es aber verhältnismäſsig
am allermeisten in seiner Eisenindustrie zurückgeblieben. Jetzt, da
durch den Frieden die feindliche Scheidewand gegen England ge-
fallen war, suchten der Staat und die Industriellen von der englischen
Nachbarschaft durch Verpflanzung der besseren englischen Einrich-
tungen nach Frankreich Vorteil zu ziehen. In Belgien und Frank-
reich entwickelte sich eine neue groſsartige Eisenindustrie auf dieser
Grundlage. Bezeichnend ist, daſs dieser mächtige Umschwung und
Aufschwung durch englische Unternehmer herbeigeführt wurde. In
Belgien war es der geniale John Cockerill, welcher das Eisenwerk
zu Seraing und die moderne Eisenindustrie dieses Landes schuf,
in Frankreich waren es die Engländer Manby, Wilson & Co.,
welche das groſse Eisenwerk zu Charenton bei Paris gründeten, das
Muster und Ausgangspunkt für die moderne französische Eisen-
industrie geworden ist. Wir werden später auf diese für den ganzen
europäischen Kontinent so wichtigen Gründungen noch näher zu
sprechen kommen.

Nicht in gleichem Maſse nahmen die übrigen Staaten Europas
an diesen Fortschritten teil. Schweden und Ruſsland waren durch
die Natur auf den Holzkohlenbetrieb angewiesen, konnten also an
den Verbesserungen der Steinkohlen-Eisenindustrie nur wenig teil-
nehmen. Deutschland aber war durch seine materielle und politische
Ohnmacht auſser Stande, mit England, Frankreich und Belgien gleichen
Schritt zu halten. Deutschland war, wie bei allen groſsen euro-
päischen Kriegen, auch diesmal wieder das Schlachtfeld gewesen.
Das ohnehin verarmte Land war dadurch schwer heimgesucht worden
und konnte sich nur sehr langsam von seiner Zerrüttung erholen.
Es fehlte das Kapital, der Unternehmungsgeist und der Mut für
industrielle Gründungen. Dazu kam die unselige politische Zerrissen-
heit, welche durch den traurigen Wiener Frieden noch verschärft und
legalisiert worden war. Jeder der etwa 40 Einzelstaaten, welche den
neugeschaffenen sogenannten deutschen Bund bildeten, beeilte sich,
sein Gebiet mit Zollgrenzen und Schlagbäumen abzusperren. Zwar
erkannte jeder einzelne Staat die Verkehrtheit und Schädlichkeit
dieses Absperrungssystems an und theoretisch hatte schon die Bundes-
akte die wirtschaftliche Vereinigung der deutschen Staaten als eine
Notwendigkeit anerkannt. Aber kein Staat wollte ein Opfer bringen,
jeder sah auf seinen Nachbar mit kurzsichtiger Eifersucht hin und

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[202/0218] Einleitung 1816 bis 1830. Frankreich, obgleich es ungeheure Opfer an Geld und Menschen- leben dem nationalen und dem napoleonischen Ehrgeiz geopfert hatte, war nicht sehr verarmt. Anderseits war es aber verhältnismäſsig am allermeisten in seiner Eisenindustrie zurückgeblieben. Jetzt, da durch den Frieden die feindliche Scheidewand gegen England ge- fallen war, suchten der Staat und die Industriellen von der englischen Nachbarschaft durch Verpflanzung der besseren englischen Einrich- tungen nach Frankreich Vorteil zu ziehen. In Belgien und Frank- reich entwickelte sich eine neue groſsartige Eisenindustrie auf dieser Grundlage. Bezeichnend ist, daſs dieser mächtige Umschwung und Aufschwung durch englische Unternehmer herbeigeführt wurde. In Belgien war es der geniale John Cockerill, welcher das Eisenwerk zu Seraing und die moderne Eisenindustrie dieses Landes schuf, in Frankreich waren es die Engländer Manby, Wilson & Co., welche das groſse Eisenwerk zu Charenton bei Paris gründeten, das Muster und Ausgangspunkt für die moderne französische Eisen- industrie geworden ist. Wir werden später auf diese für den ganzen europäischen Kontinent so wichtigen Gründungen noch näher zu sprechen kommen. Nicht in gleichem Maſse nahmen die übrigen Staaten Europas an diesen Fortschritten teil. Schweden und Ruſsland waren durch die Natur auf den Holzkohlenbetrieb angewiesen, konnten also an den Verbesserungen der Steinkohlen-Eisenindustrie nur wenig teil- nehmen. Deutschland aber war durch seine materielle und politische Ohnmacht auſser Stande, mit England, Frankreich und Belgien gleichen Schritt zu halten. Deutschland war, wie bei allen groſsen euro- päischen Kriegen, auch diesmal wieder das Schlachtfeld gewesen. Das ohnehin verarmte Land war dadurch schwer heimgesucht worden und konnte sich nur sehr langsam von seiner Zerrüttung erholen. Es fehlte das Kapital, der Unternehmungsgeist und der Mut für industrielle Gründungen. Dazu kam die unselige politische Zerrissen- heit, welche durch den traurigen Wiener Frieden noch verschärft und legalisiert worden war. Jeder der etwa 40 Einzelstaaten, welche den neugeschaffenen sogenannten deutschen Bund bildeten, beeilte sich, sein Gebiet mit Zollgrenzen und Schlagbäumen abzusperren. Zwar erkannte jeder einzelne Staat die Verkehrtheit und Schädlichkeit dieses Absperrungssystems an und theoretisch hatte schon die Bundes- akte die wirtschaftliche Vereinigung der deutschen Staaten als eine Notwendigkeit anerkannt. Aber kein Staat wollte ein Opfer bringen, jeder sah auf seinen Nachbar mit kurzsichtiger Eifersucht hin und

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen04_1899/218>, abgerufen am 24.11.2024.