Über das chemische und physikalische Verhalten der verschiedenen Eisenarten wurden die eingehendsten Untersuchungen in dieser Periode angestellt. Die Chemie des Eisens befand sich bei dem Beginn des Jahrzehnts mitten in dem Kampf der Meinungen über die Bedeutung des Stickstoffes im Eisen. Drei Ansichten standen sich gegenüber. Fremy behauptete, der Stickstoff sei ein wesentlicher Bestandteil des Stahls und bestimme dessen Eigenart. Caron bestritt diese Ansicht, behauptete dagegen, die Kohlung des Eisens bei der Cementation erfolge nur durch Stickstoff-Kohlenstoffverbindungen, der Stickstoff gehe zwar nicht als wesentlicher Bestandteil in das Eisen über, über- trage aber den Kohlenstoff auf dasselbe, sei deshalb für die Cemen- tation unentbehrlich. Die Ansicht der übrigen metallurgischen Chemiker widersprach den Behauptungen beider und erkannte nur an, dass die Stickstoff-Kohlenstoffverbindungen die Cementation be- förderten, was längst bekannt war und bei der Einsatzhärtung von alters her benutzt wurde. Der Streit gab Veranlassung zu sehr genauen Untersuchungen, welche aufklärend wirkten.
Fremy hielt Schmiedeeisen für reines Eisen, Roheisen für Eisen mit Kohlenstoff und Stahl für Eisen mit Stickstoff und Kohlenstoff (fer azoto-carbure).
Zunächst wurde nachgewiesen, dass alles fein verteilte Eisen, und besonders das frischreducierte, Ammoniak aus der Luft aufnimmt. Fremy hatte dies nicht beachtet und war dadurch zu unrichtigen Resul- taten geführt worden, seine Stickstoffbestimmungen waren dadurch viel zu hoch ausgefallen und seine Annahme, dass der kohlige Rückstand des aufgelösten Eisens eine Kohlenstickstoffverbindung sei, wurde dadurch hinfällig. Dagegen wurde nachgewiesen, dass nicht nur im Stahl, sondern auch im Roheisen und im Schmiedeeisen geringe Mengen Stickstoff ent- halten seien. Boussingault stellte sehr genaue Untersuchungen hier- über an. Er fand, dass beim Ausfällen des Eisens aus sauren Lösungen durch Alkalien immer Ammoniak mit in Lösung komme. Am wenigsten that dies frisch gebrannter Kalk. Boussingault verbrannte das Eisen in Zinnoberdampf und bestimmte den Stickstoff in gasförmigem Zu- stande 1) (1861). Caron widerlegte 1861 Fremys Behauptung, dass Wasserstoff dem glühenden Stahl durch Entziehung des Stickstoffs die
1) Siehe Comptes rendus, t. 53.
Chemie 1861 bis 1870.
Chemie 1861 bis 1870.
Über das chemische und physikalische Verhalten der verschiedenen Eisenarten wurden die eingehendsten Untersuchungen in dieser Periode angestellt. Die Chemie des Eisens befand sich bei dem Beginn des Jahrzehnts mitten in dem Kampf der Meinungen über die Bedeutung des Stickstoffes im Eisen. Drei Ansichten standen sich gegenüber. Fremy behauptete, der Stickstoff sei ein wesentlicher Bestandteil des Stahls und bestimme dessen Eigenart. Caron bestritt diese Ansicht, behauptete dagegen, die Kohlung des Eisens bei der Cementation erfolge nur durch Stickstoff-Kohlenstoffverbindungen, der Stickstoff gehe zwar nicht als wesentlicher Bestandteil in das Eisen über, über- trage aber den Kohlenstoff auf dasselbe, sei deshalb für die Cemen- tation unentbehrlich. Die Ansicht der übrigen metallurgischen Chemiker widersprach den Behauptungen beider und erkannte nur an, daſs die Stickstoff-Kohlenstoffverbindungen die Cementation be- förderten, was längst bekannt war und bei der Einsatzhärtung von alters her benutzt wurde. Der Streit gab Veranlassung zu sehr genauen Untersuchungen, welche aufklärend wirkten.
Fremy hielt Schmiedeeisen für reines Eisen, Roheisen für Eisen mit Kohlenstoff und Stahl für Eisen mit Stickstoff und Kohlenstoff (fer azoto-carburé).
Zunächst wurde nachgewiesen, daſs alles fein verteilte Eisen, und besonders das frischreducierte, Ammoniak aus der Luft aufnimmt. Fremy hatte dies nicht beachtet und war dadurch zu unrichtigen Resul- taten geführt worden, seine Stickstoffbestimmungen waren dadurch viel zu hoch ausgefallen und seine Annahme, daſs der kohlige Rückstand des aufgelösten Eisens eine Kohlenstickstoffverbindung sei, wurde dadurch hinfällig. Dagegen wurde nachgewiesen, daſs nicht nur im Stahl, sondern auch im Roheisen und im Schmiedeeisen geringe Mengen Stickstoff ent- halten seien. Boussingault stellte sehr genaue Untersuchungen hier- über an. Er fand, daſs beim Ausfällen des Eisens aus sauren Lösungen durch Alkalien immer Ammoniak mit in Lösung komme. Am wenigsten that dies frisch gebrannter Kalk. Boussingault verbrannte das Eisen in Zinnoberdampf und bestimmte den Stickstoff in gasförmigem Zu- stande 1) (1861). Caron widerlegte 1861 Fremys Behauptung, daſs Wasserstoff dem glühenden Stahl durch Entziehung des Stickstoffs die
1) Siehe Comptes rendus, t. 53.
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Chemie 1861 bis 1870.
Chemie 1861 bis 1870.
Über das chemische und physikalische Verhalten der verschiedenen
Eisenarten wurden die eingehendsten Untersuchungen in dieser Periode
angestellt. Die Chemie des Eisens befand sich bei dem Beginn des
Jahrzehnts mitten in dem Kampf der Meinungen über die Bedeutung
des Stickstoffes im Eisen. Drei Ansichten standen sich gegenüber.
Fremy behauptete, der Stickstoff sei ein wesentlicher Bestandteil des
Stahls und bestimme dessen Eigenart. Caron bestritt diese Ansicht,
behauptete dagegen, die Kohlung des Eisens bei der Cementation
erfolge nur durch Stickstoff-Kohlenstoffverbindungen, der Stickstoff
gehe zwar nicht als wesentlicher Bestandteil in das Eisen über, über-
trage aber den Kohlenstoff auf dasselbe, sei deshalb für die Cemen-
tation unentbehrlich. Die Ansicht der übrigen metallurgischen
Chemiker widersprach den Behauptungen beider und erkannte nur
an, daſs die Stickstoff-Kohlenstoffverbindungen die Cementation be-
förderten, was längst bekannt war und bei der Einsatzhärtung von
alters her benutzt wurde. Der Streit gab Veranlassung zu sehr
genauen Untersuchungen, welche aufklärend wirkten.
Fremy hielt Schmiedeeisen für reines Eisen, Roheisen für Eisen
mit Kohlenstoff und Stahl für Eisen mit Stickstoff und Kohlenstoff
(fer azoto-carburé).
Zunächst wurde nachgewiesen, daſs alles fein verteilte Eisen, und
besonders das frischreducierte, Ammoniak aus der Luft aufnimmt.
Fremy hatte dies nicht beachtet und war dadurch zu unrichtigen Resul-
taten geführt worden, seine Stickstoffbestimmungen waren dadurch viel
zu hoch ausgefallen und seine Annahme, daſs der kohlige Rückstand des
aufgelösten Eisens eine Kohlenstickstoffverbindung sei, wurde dadurch
hinfällig. Dagegen wurde nachgewiesen, daſs nicht nur im Stahl, sondern
auch im Roheisen und im Schmiedeeisen geringe Mengen Stickstoff ent-
halten seien. Boussingault stellte sehr genaue Untersuchungen hier-
über an. Er fand, daſs beim Ausfällen des Eisens aus sauren Lösungen
durch Alkalien immer Ammoniak mit in Lösung komme. Am wenigsten
that dies frisch gebrannter Kalk. Boussingault verbrannte das Eisen
in Zinnoberdampf und bestimmte den Stickstoff in gasförmigem Zu-
stande 1) (1861). Caron widerlegte 1861 Fremys Behauptung, daſs
Wasserstoff dem glühenden Stahl durch Entziehung des Stickstoffs die
1) Siehe Comptes rendus, t. 53.
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 5: Das XIX. Jahrhundert von 1860 bis zum Schluss. Braunschweig, 1903, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen05_1903/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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