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Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860.

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Da ist der Himmel unser Dach, die Straßen oder Felder unser
Boden, die Berge, oder wo keine Berge sind, der ferne Horizont
die Wände. Wir athmen die große gemeinsame Luft, stehen
im Licht, in der Trockenheit oder Feuchtigkeit dieser Luft. Einen
großen Theil unsers Lebens bringen wir dann aber in unserer
kleinen Wohnung zu, in unsern Häusern. Wie soll unsere kleine
Wohnung, unser Haus sich zur großen Wohnung, Welt genannt,
verhalten? Wie die Bildung zur Natur, wie die Cultur zum
rohen Naturproduct. Unsere Wohnung soll veredelte, gebildete,
gleichmäßige Natur sein, Wir sollen die reine Luft der Natur
in unsern Wohnungen haben; aber die Strömung dieser Luft,
die Winde sollen nicht in unserer Wohnung wehen; wir wollen
die stille sanfte Luft der Natur. Die Luft in der Natur ist
manchmal heiß und manchmal kalt. Jn der Wohnung wollen
wir die gleichmäßige, eine temperierte Luft. Durch künstliche
Wärme erwärmen wir die zu kalte; durch Abhaltung der heißen
Sonnenstrahlen, durch künstliche Luftströmung und Wasser küh-
len wir die heiße Luft. Die Luft draußen ist manchmal zu
trocken und manchmal zu feucht. Der zu trocknen Luft können
wir in unseren Wohnungen zu Hülfe kommen durch der Ver-
dünstung ausgesetztes Wasser; die zu feuchte Luft trockner machen
durch Wärme. Draußen wettert's und wirft's oft Hagelsteine.
Jn der Wohnung wollen wir uns nur dann benetzen lassen,
wenn es uns gerade dient, beim Waschen oder beim Baden; so
auf's ungefähr wollen wir nicht im Nassen sein, und Hagelsteine
wollen wir gar keine auf den Rücken haben. Wir ziehen deß-
halb ein Dach über uns. Der Boden in der großen Welt ist
ein schöner prächtiger Boden; schöner und mannigfaltiger als
der schönste Berneroberländer-Parquetboden. Aber er ist dieser
schöne Boden doch nur im Großen, so aus der Vogelperspektive.
Da ist bald ein schwarzer Wald, ein gelber Fels, eine grüne
Wiese, ein blauer See. Aber wir brauchen nur ein kleines
Stückchen Boden, um darauf zu leben, und das ist denn in
der Regel nicht so schön. So ein Stück aus einer schönen
grünen Wiese wäre auch im Kleinen schön. Aber was dann
noch von größerer Bedeutung ist, wir wollen es etwas gere-
gelter
haben, als der Boden draußen ist; wir wollen auch nicht

Da iſt der Himmel unſer Dach, die Straßen oder Felder unſer
Boden, die Berge, oder wo keine Berge ſind, der ferne Horizont
die Wände. Wir athmen die große gemeinſame Luft, ſtehen
im Licht, in der Trockenheit oder Feuchtigkeit dieſer Luft. Einen
großen Theil unſers Lebens bringen wir dann aber in unſerer
kleinen Wohnung zu, in unſern Häuſern. Wie ſoll unſere kleine
Wohnung, unſer Haus ſich zur großen Wohnung, Welt genannt,
verhalten? Wie die Bildung zur Natur, wie die Cultur zum
rohen Naturproduct. Unſere Wohnung ſoll veredelte, gebildete,
gleichmäßige Natur ſein, Wir ſollen die reine Luft der Natur
in unſern Wohnungen haben; aber die Strömung dieſer Luft,
die Winde ſollen nicht in unſerer Wohnung wehen; wir wollen
die ſtille ſanfte Luft der Natur. Die Luft in der Natur iſt
manchmal heiß und manchmal kalt. Jn der Wohnung wollen
wir die gleichmäßige, eine temperierte Luft. Durch künſtliche
Wärme erwärmen wir die zu kalte; durch Abhaltung der heißen
Sonnenſtrahlen, durch künſtliche Luftſtrömung und Waſſer küh-
len wir die heiße Luft. Die Luft draußen iſt manchmal zu
trocken und manchmal zu feucht. Der zu trocknen Luft können
wir in unſeren Wohnungen zu Hülfe kommen durch der Ver-
dünſtung ausgeſetztes Waſſer; die zu feuchte Luft trockner machen
durch Wärme. Draußen wettert's und wirft's oft Hagelſteine.
Jn der Wohnung wollen wir uns nur dann benetzen laſſen,
wenn es uns gerade dient, beim Waſchen oder beim Baden; ſo
auf's ungefähr wollen wir nicht im Naſſen ſein, und Hagelſteine
wollen wir gar keine auf den Rücken haben. Wir ziehen deß-
halb ein Dach über uns. Der Boden in der großen Welt iſt
ein ſchöner prächtiger Boden; ſchöner und mannigfaltiger als
der ſchönſte Berneroberländer-Parquetboden. Aber er iſt dieſer
ſchöne Boden doch nur im Großen, ſo aus der Vogelperſpektive.
Da iſt bald ein ſchwarzer Wald, ein gelber Fels, eine grüne
Wieſe, ein blauer See. Aber wir brauchen nur ein kleines
Stückchen Boden, um darauf zu leben, und das iſt denn in
der Regel nicht ſo ſchön. So ein Stück aus einer ſchönen
grünen Wieſe wäre auch im Kleinen ſchön. Aber was dann
noch von größerer Bedeutung iſt, wir wollen es etwas gere-
gelter
haben, als der Boden draußen iſt; wir wollen auch nicht

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[31/0031] Da iſt der Himmel unſer Dach, die Straßen oder Felder unſer Boden, die Berge, oder wo keine Berge ſind, der ferne Horizont die Wände. Wir athmen die große gemeinſame Luft, ſtehen im Licht, in der Trockenheit oder Feuchtigkeit dieſer Luft. Einen großen Theil unſers Lebens bringen wir dann aber in unſerer kleinen Wohnung zu, in unſern Häuſern. Wie ſoll unſere kleine Wohnung, unſer Haus ſich zur großen Wohnung, Welt genannt, verhalten? Wie die Bildung zur Natur, wie die Cultur zum rohen Naturproduct. Unſere Wohnung ſoll veredelte, gebildete, gleichmäßige Natur ſein, Wir ſollen die reine Luft der Natur in unſern Wohnungen haben; aber die Strömung dieſer Luft, die Winde ſollen nicht in unſerer Wohnung wehen; wir wollen die ſtille ſanfte Luft der Natur. Die Luft in der Natur iſt manchmal heiß und manchmal kalt. Jn der Wohnung wollen wir die gleichmäßige, eine temperierte Luft. Durch künſtliche Wärme erwärmen wir die zu kalte; durch Abhaltung der heißen Sonnenſtrahlen, durch künſtliche Luftſtrömung und Waſſer küh- len wir die heiße Luft. Die Luft draußen iſt manchmal zu trocken und manchmal zu feucht. Der zu trocknen Luft können wir in unſeren Wohnungen zu Hülfe kommen durch der Ver- dünſtung ausgeſetztes Waſſer; die zu feuchte Luft trockner machen durch Wärme. Draußen wettert's und wirft's oft Hagelſteine. Jn der Wohnung wollen wir uns nur dann benetzen laſſen, wenn es uns gerade dient, beim Waſchen oder beim Baden; ſo auf's ungefähr wollen wir nicht im Naſſen ſein, und Hagelſteine wollen wir gar keine auf den Rücken haben. Wir ziehen deß- halb ein Dach über uns. Der Boden in der großen Welt iſt ein ſchöner prächtiger Boden; ſchöner und mannigfaltiger als der ſchönſte Berneroberländer-Parquetboden. Aber er iſt dieſer ſchöne Boden doch nur im Großen, ſo aus der Vogelperſpektive. Da iſt bald ein ſchwarzer Wald, ein gelber Fels, eine grüne Wieſe, ein blauer See. Aber wir brauchen nur ein kleines Stückchen Boden, um darauf zu leben, und das iſt denn in der Regel nicht ſo ſchön. So ein Stück aus einer ſchönen grünen Wieſe wäre auch im Kleinen ſchön. Aber was dann noch von größerer Bedeutung iſt, wir wollen es etwas gere- gelter haben, als der Boden draußen iſt; wir wollen auch nicht

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Zitationshilfe: Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becker_arbeiter_1860/31>, abgerufen am 21.11.2024.