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Beer, Michael: Der Paria. Stuttgart u. a., 1829.

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Zeig mir den Tod in jeglicher Gestalt;
Was ich empfand bey jenem Schreckenswort,
Empfind' ich nie mehr -- nie. Kein Laut, kein Wort,
Erschütterte die grauenvolle Nacht;
Mit stummen Thränen netzten wir das Grab.
Da schwand das Dunkel, -- und mit glühnden Sohlen
Und Purpurwangen, wie ein festlich Kind
Beschritt der Tag die Höhn, mit heißen Lippen
Hinweg die nächt'gen Thränen alle küssend
Der lichtberaubten Erde. Wir allein
Wir blickten weinend noch empor -- da strahlte
Mit blut'gem Schein, das heitre Licht entsetzend,
Ein zweyter, ferner, dampfumhüllter Tag.
Der Holzstoß flammte, er schlug empor,
Und schien hochlodernd zu begehren
Die köstliche Beute zu verzehren. --
Schauerlich hallten die Todtengesänge,
Aber schon wogte in gräßlichem Chor
Fernher die Opfer suchende Menge
Listige Priester mit heiligem Munde
Luden segnend zum feurigen Bunde,
Und die Weiber mit jubelndem Schreyn,
Drangen sich in die entsetzlichen Reihn,
Alle umschlungen die wallenden Locken
Mit dem fröhlichen Immergrün.
Aber wir sehen sie näher ziehn,
Und fühlen das Blut uns wie Flammen glühn,
Zeig mir den Tod in jeglicher Geſtalt;
Was ich empfand bey jenem Schreckenswort,
Empfind’ ich nie mehr — nie. Kein Laut, kein Wort,
Erſchuͤtterte die grauenvolle Nacht;
Mit ſtummen Thraͤnen netzten wir das Grab.
Da ſchwand das Dunkel, — und mit gluͤhnden Sohlen
Und Purpurwangen, wie ein feſtlich Kind
Beſchritt der Tag die Hoͤhn, mit heißen Lippen
Hinweg die naͤcht’gen Thraͤnen alle kuͤſſend
Der lichtberaubten Erde. Wir allein
Wir blickten weinend noch empor — da ſtrahlte
Mit blut’gem Schein, das heitre Licht entſetzend,
Ein zweyter, ferner, dampfumhuͤllter Tag.
Der Holzſtoß flammte, er ſchlug empor,
Und ſchien hochlodernd zu begehren
Die koͤſtliche Beute zu verzehren. —
Schauerlich hallten die Todtengeſaͤnge,
Aber ſchon wogte in graͤßlichem Chor
Fernher die Opfer ſuchende Menge
Liſtige Prieſter mit heiligem Munde
Luden ſegnend zum feurigen Bunde,
Und die Weiber mit jubelndem Schreyn,
Drangen ſich in die entſetzlichen Reihn,
Alle umſchlungen die wallenden Locken
Mit dem froͤhlichen Immergruͤn.
Aber wir ſehen ſie naͤher ziehn,
Und fuͤhlen das Blut uns wie Flammen gluͤhn,
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[40/0050] Zeig mir den Tod in jeglicher Geſtalt; Was ich empfand bey jenem Schreckenswort, Empfind’ ich nie mehr — nie. Kein Laut, kein Wort, Erſchuͤtterte die grauenvolle Nacht; Mit ſtummen Thraͤnen netzten wir das Grab. Da ſchwand das Dunkel, — und mit gluͤhnden Sohlen Und Purpurwangen, wie ein feſtlich Kind Beſchritt der Tag die Hoͤhn, mit heißen Lippen Hinweg die naͤcht’gen Thraͤnen alle kuͤſſend Der lichtberaubten Erde. Wir allein Wir blickten weinend noch empor — da ſtrahlte Mit blut’gem Schein, das heitre Licht entſetzend, Ein zweyter, ferner, dampfumhuͤllter Tag. Der Holzſtoß flammte, er ſchlug empor, Und ſchien hochlodernd zu begehren Die koͤſtliche Beute zu verzehren. — Schauerlich hallten die Todtengeſaͤnge, Aber ſchon wogte in graͤßlichem Chor Fernher die Opfer ſuchende Menge Liſtige Prieſter mit heiligem Munde Luden ſegnend zum feurigen Bunde, Und die Weiber mit jubelndem Schreyn, Drangen ſich in die entſetzlichen Reihn, Alle umſchlungen die wallenden Locken Mit dem froͤhlichen Immergruͤn. Aber wir ſehen ſie naͤher ziehn, Und fuͤhlen das Blut uns wie Flammen gluͤhn,

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Zitationshilfe: Beer, Michael: Der Paria. Stuttgart u. a., 1829, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beer_paria_1829/50>, abgerufen am 21.11.2024.