Bengel, Johann Albrecht: Abriß der so genannten Brüdergemeine. Bd. 1. Stuttgart, 1751.Vom Blut und Wunden. den Willen des Vaters: und wann in dem al-ten Liede, Da JEsus an dem Creuze stund, das Wort, Mein GOtt, mein GOtt, wa- rum hast du mich verlassen? also ausgedrük- ket ist: Zum fünften gdenk seinr Bitterkeit, die GOtt am heilgen Creuz ausschreyt: Mein GOtt, wie hast du mich verlassen? Das Elend, das ich leiden muß, das ist ganz über die massen: so heisset es Num. 1797 dafür: Denkt aber auch der bittern Schmach, darunter unser Heiland sprach bey lästern ohne massen das fünfte Wort: Mein GOtt! mein GOtt! wie hast du mich verlassen! Damit ist der Ausdruck des alten Liedes ver- ringert, und die Klage Ps. 22, 2. 3. bey wei- tem nicht erreichet. GOtt hat Christum nicht nur in die bittere Schmach, die ihm die Men- schen anthäten, überlassen: es war ein ernst- hafterer Handel zwischen GOtt und dem Sün- denträger. Glaubt solchen die Gemeine: warum redt sie davon so wenig? § 105. Ohne dergleichen Grund-Betrachtungen dahin G 5
Vom Blut und Wunden. den Willen des Vaters: und wann in dem al-ten Liede, Da JEſus an dem Creuze ſtund, das Wort, Mein GOtt, mein GOtt, wa- rum haſt du mich verlaſſen? alſo ausgedruͤk- ket iſt: Zum fuͤnften gdenk ſeinr Bitterkeit, die GOtt am heilgen Creuz ausſchreyt: Mein GOtt, wie haſt du mich verlaſſen? Das Elend, das ich leiden muß, das iſt ganz uͤber die maſſen: ſo heiſſet es Num. 1797 dafuͤr: Denkt aber auch der bittern Schmach, darunter unſer Heiland ſprach bey laͤſtern ohne maſſen das fuͤnfte Wort: Mein GOtt! mein GOtt! wie haſt du mich verlaſſen! Damit iſt der Ausdruck des alten Liedes ver- ringert, und die Klage Pſ. 22, 2. 3. bey wei- tem nicht erreichet. GOtt hat Chriſtum nicht nur in die bittere Schmach, die ihm die Men- ſchen anthaͤten, uͤberlaſſen: es war ein ernſt- hafterer Handel zwiſchen GOtt und dem Suͤn- dentraͤger. Glaubt ſolchen die Gemeine: warum redt ſie davon ſo wenig? § 105. Ohne dergleichen Grund-Betrachtungen dahin G 5
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Vom Blut und Wunden.
den Willen des Vaters: und wann in dem al-
ten Liede, Da JEſus an dem Creuze ſtund,
das Wort, Mein GOtt, mein GOtt, wa-
rum haſt du mich verlaſſen? alſo ausgedruͤk-
ket iſt: Zum fuͤnften gdenk ſeinr Bitterkeit,
die GOtt am heilgen Creuz ausſchreyt:
Mein GOtt, wie haſt du mich verlaſſen?
Das Elend, das ich leiden muß, das iſt
ganz uͤber die maſſen: ſo heiſſet es Num. 1797
dafuͤr: Denkt aber auch der bittern Schmach,
darunter unſer Heiland ſprach bey laͤſtern
ohne maſſen das fuͤnfte Wort: Mein GOtt!
mein GOtt! wie haſt du mich verlaſſen!
Damit iſt der Ausdruck des alten Liedes ver-
ringert, und die Klage Pſ. 22, 2. 3. bey wei-
tem nicht erreichet. GOtt hat Chriſtum nicht
nur in die bittere Schmach, die ihm die Men-
ſchen anthaͤten, uͤberlaſſen: es war ein ernſt-
hafterer Handel zwiſchen GOtt und dem Suͤn-
dentraͤger. Glaubt ſolchen die Gemeine:
warum redt ſie davon ſo wenig?
§ 105.
Ohne dergleichen Grund-Betrachtungen
wird durch die bloſſe und dazu kaltſinnige Re-
den, von einem verwundeten oder gehenkten
Heiland, und dergleichen, die Ehrerbietung
gegen das Geheimniß der Erloͤſung nicht wenig
gekraͤnket: und in der rechten Application be-
zieht der Glaube ſich ohne Sehen und Fuͤhlen
auf des groſſen Hohenprieſters Erſcheinung vor
dem Angeſichte GOttes fuͤr uns in einer Ihm
dahin
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Zitationshilfe: | Bengel, Johann Albrecht: Abriß der so genannten Brüdergemeine. Bd. 1. Stuttgart, 1751, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bengel_abriss01_1751/125>, abgerufen am 16.07.2024. |