Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bengel, Johann Albrecht: Abriß der so genannten Brüdergemeine. Bd. 1. Stuttgart, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Theil I. Cap. III. Satz 33.
" tyrannisiren, als Einen: für solche Leute sind das
principia, da taugen sie etwas. Das gibt die ersten
zwanzig Jahr, gute Quäker; die drauf folgende,
gute Inspirirte; und im fünften, sechsten decennio
gute Naturalisten.

Und darum wars auch den Jüngern des Hei-
lands damals noch zu thun. Denn wenn er was
von seinem Reich, und von seiner Seligkeit, von
seinen schönen Sachen redte; so dachten sie allemal,
er meyne den Pilatus und den Herodes, daß er die
umbringen wolle, und etwa die damaligen Hohen-
priester aus der unrechten familie, und wolte die
rechte wieder einsetzen, und im übrigen selber regie-
ren, weil er aus Davids Stamm und ein König
war. Das war ihre Sache; aber das waren Jü-
dische ideen, das waren keine Gemein-ideen, das
waren keine Sachen, die sich heut zu Tage in un-
ser Vergnügen, in unsre Seligkeit hinein passen.
Die Gemeine geht und bauet sich.

Das Gras hat die Art an sich, daß es wächst.
Wenns gut ist, so erfrent es einen grossen Theil der
Creaturen, und es besteht eines grossen Theils der-
selben ihr Leben darinn, es kömt ihr Leben und Tod
darauf an, wies geräth; und so nehmen wir auch
Theil daran von ferne: aber wenn wir nichts als
Gras zu essen hätten, so würden wir nicht zurechte
kommen; denn wir sind nicht darauf gemacht, wir
sind nicht dazu geschaffen, wir seyn eine andere
Art von Creaturen, wir haben eine andre Nah-
rung. Wenn unser Geist nichts anders zu essen
hätte, als was unser Cörper hat, so würden wir
schlecht zurecht kommen. Drum ist des Heilands
sein Leib auch eine Speise, und sein Blut auch
ein Trank.

Und so gehts auch mit den göttlichen Wahrheiten,
mit den göttlichen Sachen, und mit den ideen, die
man sich macht.

Was denen damals eine unaussprechliche Freude
war, da stünden wir nicht drum auf. Darum hat
der Heiland am besten gethan, daß ers so hat dabey
" gelassen, es ist euer Amt nicht, liebe Herzen! ihr

werdet

Theil I. Cap. III. Satz 33.
” tyranniſiren, als Einen: fuͤr ſolche Leute ſind das
principia, da taugen ſie etwas. Das gibt die erſten
zwanzig Jahr, gute Quaͤker; die drauf folgende,
gute Inſpirirte; und im fuͤnften, ſechſten decennio
gute Naturaliſten.

Und darum wars auch den Juͤngern des Hei-
lands damals noch zu thun. Denn wenn er was
von ſeinem Reich, und von ſeiner Seligkeit, von
ſeinen ſchoͤnen Sachen redte; ſo dachten ſie allemal,
er meyne den Pilatus und den Herodes, daß er die
umbringen wolle, und etwa die damaligen Hohen-
prieſter aus der unrechten familie, und wolte die
rechte wieder einſetzen, und im uͤbrigen ſelber regie-
ren, weil er aus Davids Stamm und ein Koͤnig
war. Das war ihre Sache; aber das waren Juͤ-
diſche ideen, das waren keine Gemein-ideen, das
waren keine Sachen, die ſich heut zu Tage in un-
ſer Vergnuͤgen, in unſre Seligkeit hinein paſſen.
Die Gemeine geht und bauet ſich.

Das Gras hat die Art an ſich, daß es waͤchſt.
Wenns gut iſt, ſo erfrent es einen groſſen Theil der
Creaturen, und es beſteht eines groſſen Theils der-
ſelben ihr Leben darinn, es koͤmt ihr Leben und Tod
darauf an, wies geraͤth; und ſo nehmen wir auch
Theil daran von ferne: aber wenn wir nichts als
Gras zu eſſen haͤtten, ſo wuͤrden wir nicht zurechte
kommen; denn wir ſind nicht darauf gemacht, wir
ſind nicht dazu geſchaffen, wir ſeyn eine andere
Art von Creaturen, wir haben eine andre Nah-
rung. Wenn unſer Geiſt nichts anders zu eſſen
haͤtte, als was unſer Coͤrper hat, ſo wuͤrden wir
ſchlecht zurecht kommen. Drum iſt des Heilands
ſein Leib auch eine Speiſe, und ſein Blut auch
ein Trank.

Und ſo gehts auch mit den goͤttlichen Wahrheiten,
mit den goͤttlichen Sachen, und mit den idéen, die
man ſich macht.

Was denen damals eine unausſprechliche Freude
war, da ſtuͤnden wir nicht drum auf. Darum hat
der Heiland am beſten gethan, daß ers ſo hat dabey
” gelaſſen, es iſt euer Amt nicht, liebe Herzen! ihr

werdet
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0274" n="254"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr">Theil</hi><hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#fr">Cap.</hi><hi rendition="#aq">III.</hi><hi rendition="#fr">Satz</hi> 33.</fw><lb/>
&#x201D; tyranni&#x017F;iren, als Einen: fu&#x0364;r &#x017F;olche Leute &#x017F;ind das<lb/><hi rendition="#aq">principia,</hi> da taugen &#x017F;ie etwas. Das gibt die er&#x017F;ten<lb/>
zwanzig Jahr, gute Qua&#x0364;ker; die drauf folgende,<lb/>
gute <hi rendition="#aq">In&#x017F;piri</hi>rte; und im fu&#x0364;nften, &#x017F;ech&#x017F;ten <hi rendition="#aq">decennio</hi><lb/>
gute <hi rendition="#aq">Naturali&#x017F;t</hi>en.</p><lb/>
                <p>Und darum wars auch den Ju&#x0364;ngern des Hei-<lb/>
lands damals noch zu thun. Denn wenn er was<lb/>
von &#x017F;einem Reich, und von &#x017F;einer Seligkeit, von<lb/>
&#x017F;einen &#x017F;cho&#x0364;nen Sachen redte; &#x017F;o dachten &#x017F;ie allemal,<lb/>
er meyne den Pilatus und den Herodes, daß er die<lb/>
umbringen wolle, und etwa die damaligen Hohen-<lb/>
prie&#x017F;ter aus der unrechten <hi rendition="#aq">familie,</hi> und wolte die<lb/>
rechte wieder ein&#x017F;etzen, und im u&#x0364;brigen &#x017F;elber regie-<lb/>
ren, weil er aus Davids Stamm und ein Ko&#x0364;nig<lb/>
war. Das war ihre Sache; aber das waren Ju&#x0364;-<lb/>
di&#x017F;che <hi rendition="#aq">ideen,</hi> das waren keine Gemein-<hi rendition="#aq">ideen,</hi> das<lb/>
waren keine Sachen, die &#x017F;ich heut zu Tage in un-<lb/>
&#x017F;er Vergnu&#x0364;gen, in un&#x017F;re Seligkeit hinein pa&#x017F;&#x017F;en.<lb/><hi rendition="#fr">Die Gemeine geht und bauet &#x017F;ich.</hi></p><lb/>
                <p>Das Gras hat die Art an &#x017F;ich, daß es wa&#x0364;ch&#x017F;t.<lb/>
Wenns gut i&#x017F;t, &#x017F;o erfrent es einen gro&#x017F;&#x017F;en Theil der<lb/>
Creaturen, und es be&#x017F;teht eines gro&#x017F;&#x017F;en Theils der-<lb/>
&#x017F;elben ihr Leben darinn, es ko&#x0364;mt ihr Leben und Tod<lb/>
darauf an, wies gera&#x0364;th; und &#x017F;o nehmen wir auch<lb/>
Theil daran von ferne: aber wenn wir nichts als<lb/>
Gras zu e&#x017F;&#x017F;en ha&#x0364;tten, &#x017F;o wu&#x0364;rden wir nicht zurechte<lb/>
kommen; denn wir &#x017F;ind nicht darauf gemacht, wir<lb/>
&#x017F;ind nicht dazu ge&#x017F;chaffen, wir &#x017F;eyn eine andere<lb/>
Art von Creaturen, wir haben eine andre Nah-<lb/>
rung. Wenn un&#x017F;er Gei&#x017F;t nichts anders zu e&#x017F;&#x017F;en<lb/>
ha&#x0364;tte, als was un&#x017F;er Co&#x0364;rper hat, &#x017F;o wu&#x0364;rden wir<lb/>
&#x017F;chlecht zurecht kommen. Drum i&#x017F;t <hi rendition="#fr">des Heilands<lb/>
&#x017F;ein Leib auch eine Spei&#x017F;e, und &#x017F;ein Blut auch<lb/>
ein Trank.</hi></p><lb/>
                <p>Und &#x017F;o gehts auch mit den go&#x0364;ttlichen Wahrheiten,<lb/>
mit den go&#x0364;ttlichen Sachen, und mit den <hi rendition="#aq">idéen,</hi> die<lb/>
man &#x017F;ich macht.</p><lb/>
                <p>Was denen damals eine unaus&#x017F;prechliche Freude<lb/>
war, da &#x017F;tu&#x0364;nden wir nicht drum auf. Darum hat<lb/>
der Heiland am be&#x017F;ten gethan, daß ers &#x017F;o hat dabey<lb/>
&#x201D; gela&#x017F;&#x017F;en, es i&#x017F;t euer Amt nicht, liebe Herzen! ihr<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">werdet</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[254/0274] Theil I. Cap. III. Satz 33. ” tyranniſiren, als Einen: fuͤr ſolche Leute ſind das principia, da taugen ſie etwas. Das gibt die erſten zwanzig Jahr, gute Quaͤker; die drauf folgende, gute Inſpirirte; und im fuͤnften, ſechſten decennio gute Naturaliſten. Und darum wars auch den Juͤngern des Hei- lands damals noch zu thun. Denn wenn er was von ſeinem Reich, und von ſeiner Seligkeit, von ſeinen ſchoͤnen Sachen redte; ſo dachten ſie allemal, er meyne den Pilatus und den Herodes, daß er die umbringen wolle, und etwa die damaligen Hohen- prieſter aus der unrechten familie, und wolte die rechte wieder einſetzen, und im uͤbrigen ſelber regie- ren, weil er aus Davids Stamm und ein Koͤnig war. Das war ihre Sache; aber das waren Juͤ- diſche ideen, das waren keine Gemein-ideen, das waren keine Sachen, die ſich heut zu Tage in un- ſer Vergnuͤgen, in unſre Seligkeit hinein paſſen. Die Gemeine geht und bauet ſich. Das Gras hat die Art an ſich, daß es waͤchſt. Wenns gut iſt, ſo erfrent es einen groſſen Theil der Creaturen, und es beſteht eines groſſen Theils der- ſelben ihr Leben darinn, es koͤmt ihr Leben und Tod darauf an, wies geraͤth; und ſo nehmen wir auch Theil daran von ferne: aber wenn wir nichts als Gras zu eſſen haͤtten, ſo wuͤrden wir nicht zurechte kommen; denn wir ſind nicht darauf gemacht, wir ſind nicht dazu geſchaffen, wir ſeyn eine andere Art von Creaturen, wir haben eine andre Nah- rung. Wenn unſer Geiſt nichts anders zu eſſen haͤtte, als was unſer Coͤrper hat, ſo wuͤrden wir ſchlecht zurecht kommen. Drum iſt des Heilands ſein Leib auch eine Speiſe, und ſein Blut auch ein Trank. Und ſo gehts auch mit den goͤttlichen Wahrheiten, mit den goͤttlichen Sachen, und mit den idéen, die man ſich macht. Was denen damals eine unausſprechliche Freude war, da ſtuͤnden wir nicht drum auf. Darum hat der Heiland am beſten gethan, daß ers ſo hat dabey ” gelaſſen, es iſt euer Amt nicht, liebe Herzen! ihr werdet

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bengel_abriss01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bengel_abriss01_1751/274
Zitationshilfe: Bengel, Johann Albrecht: Abriß der so genannten Brüdergemeine. Bd. 1. Stuttgart, 1751, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bengel_abriss01_1751/274>, abgerufen am 25.11.2024.