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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Thatsachen und Gerüchte.
Kaisers zu lähmen, hat aber bis jetzt die herrschende Linie der
Minamoto nicht vom Throne verdrängen können.

Der Verlauf der Begebenheiten im Einzelnen ist, wie gesagt,
in Dunkel gehüllt. Constatirte Thatsachen sind nur: dass bald nach
dem ersten Erscheinen des amerikanischen Geschwaders (1853) der
regierende Siogun starb, und dass sein kinderloser Nachfolger die
Unterzeichnung des Harris'schen Vertrages nur um wenige Tage über-
lebte; dass damals ein unmündiger Spross des Hauses Kii auf den
Thron erhoben, der Fürst von Mito seiner Würde beraubt und auf
seine Güter verbannt wurde, und dass die Leitung des Staates dem
erblichen Regenten Ikamo-no-kami anheimfiel, welcher im Frühjahr
1860 -- einige Monate vor Ankunft des preussischen Geschwaders --
von den Bravo's des Fürsten von Mito auf offener Strasse ermordet
wurde. Alle übrigen Nachrichten sind mehr oder minder unver-
bürgt. Die in Japan verbreiteten Gerüchte mögen viel Wahres
enthalten 180), widersprechen einander aber in den Einzelnheiten

180) Um dem Leser einen Begriff sowohl von dem Charakter der Ereignisse, als
von der Unvereinbarkeit der in Japan selbst den Fremden bekannt gewordenen Ge-
rüchte zu geben, mögen hier kurze Auszüge von zwei Darstellungen der Begebenheiten
seit Perry's Ankunft stehen, die beide auf an Ort und Stelle gesammelten Nachrichten
basiren. Die erste ist dem Buche des englischen Gesandten Sir Rutherford Alcock
"The Capital of the Tycoon" entnommen, welcher selbst sagt, dass er nur Gerüchte
wieder erzählt; die zweite ist zuerst in der Revue des deux mondes abgedruckt
worden. Der Verfasser der letzteren hat seine Berichte später in einem besonderen
Bande zusammengefasst, welchen Lebendigkeit der Auffassung des Gesehenen und
Erlebten, Treue der Schilderungen, Humanität der Anschauung, Wohlwollen und
Gewissenhaftigkeit zu einem der anziehendsten und nützlichsten Bücher über Japan
machen; in allem Historischen dagegen ist er ohne Kritik verfahren, und berichtet,
auf die Zuverlässigkeit seiner Gewährsmänner bauend, neben vielem Phantastischen auch
Dinge, die nachweisbar unrichtig, und andere, von denen Niemand etwas wissen kann.
Nach der Version des Herrn Alcock scheint man bei Perry's erster Ankunft die
Absicht gehabt zu haben, seine Anträge zurückzuweisen. Die für die Vertheidigung
des Golfes von Yeddo verantwortlichen Daimio's brachten in zwei Tagen ein Heer
von 10,000 Mann und eine grosse Anzahl Geschütze bei Uraga zusammen. Man
beschloss jedoch, den Brief des Präsidenten in Empfang zu nehmen. -- Der erste
Minister des Siogun Iye-yosi, Midsuno Yetsizen-no-kami, ein Anhänger des
alten Systems, soll sich damals mit mehreren Daimio's in Yeddo verschworen haben,
durch Vergiftung des Iye-yosi, eines anerkannt tüchtigen und erfahrenen Herrschers,
das Land vom Einfluss der Fremden zu retten, mit der Nebenabsicht, wie man sagt,
die Herrschaft an sich zu reissen, da der Thronfolger schwachsinnig war. Der Siogun
schöpft Verdacht und wirft den Giftbecher dem Diener, der ihn überreicht, in das
Gesicht; dieser durchbohrt ihn mit dem Schwerte und vollzieht dann sogleich das

Thatsachen und Gerüchte.
Kaisers zu lähmen, hat aber bis jetzt die herrschende Linie der
Minamoto nicht vom Throne verdrängen können.

Der Verlauf der Begebenheiten im Einzelnen ist, wie gesagt,
in Dunkel gehüllt. Constatirte Thatsachen sind nur: dass bald nach
dem ersten Erscheinen des amerikanischen Geschwaders (1853) der
regierende Siogun starb, und dass sein kinderloser Nachfolger die
Unterzeichnung des Harris’schen Vertrages nur um wenige Tage über-
lebte; dass damals ein unmündiger Spross des Hauses Kii auf den
Thron erhoben, der Fürst von Mito seiner Würde beraubt und auf
seine Güter verbannt wurde, und dass die Leitung des Staates dem
erblichen Regenten Ikamo-no-kami anheimfiel, welcher im Frühjahr
1860 — einige Monate vor Ankunft des preussischen Geschwaders —
von den Bravo’s des Fürsten von Mito auf offener Strasse ermordet
wurde. Alle übrigen Nachrichten sind mehr oder minder unver-
bürgt. Die in Japan verbreiteten Gerüchte mögen viel Wahres
enthalten 180), widersprechen einander aber in den Einzelnheiten

180) Um dem Leser einen Begriff sowohl von dem Charakter der Ereignisse, als
von der Unvereinbarkeit der in Japan selbst den Fremden bekannt gewordenen Ge-
rüchte zu geben, mögen hier kurze Auszüge von zwei Darstellungen der Begebenheiten
seit Perry’s Ankunft stehen, die beide auf an Ort und Stelle gesammelten Nachrichten
basiren. Die erste ist dem Buche des englischen Gesandten Sir Rutherford Alcock
»The Capital of the Tycoon« entnommen, welcher selbst sagt, dass er nur Gerüchte
wieder erzählt; die zweite ist zuerst in der Revue des deux mondes abgedruckt
worden. Der Verfasser der letzteren hat seine Berichte später in einem besonderen
Bande zusammengefasst, welchen Lebendigkeit der Auffassung des Gesehenen und
Erlebten, Treue der Schilderungen, Humanität der Anschauung, Wohlwollen und
Gewissenhaftigkeit zu einem der anziehendsten und nützlichsten Bücher über Japan
machen; in allem Historischen dagegen ist er ohne Kritik verfahren, und berichtet,
auf die Zuverlässigkeit seiner Gewährsmänner bauend, neben vielem Phantastischen auch
Dinge, die nachweisbar unrichtig, und andere, von denen Niemand etwas wissen kann.
Nach der Version des Herrn Alcock scheint man bei Perry’s erster Ankunft die
Absicht gehabt zu haben, seine Anträge zurückzuweisen. Die für die Vertheidigung
des Golfes von Yeddo verantwortlichen Daïmio’s brachten in zwei Tagen ein Heer
von 10,000 Mann und eine grosse Anzahl Geschütze bei Uraga zusammen. Man
beschloss jedoch, den Brief des Präsidenten in Empfang zu nehmen. — Der erste
Minister des Siogun Iye-yosi, Midsuno Yetsizen-no-kami, ein Anhänger des
alten Systems, soll sich damals mit mehreren Daïmio’s in Yeddo verschworen haben,
durch Vergiftung des Iye-yosi, eines anerkannt tüchtigen und erfahrenen Herrschers,
das Land vom Einfluss der Fremden zu retten, mit der Nebenabsicht, wie man sagt,
die Herrschaft an sich zu reissen, da der Thronfolger schwachsinnig war. Der Siogun
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[184/0214] Thatsachen und Gerüchte. Kaisers zu lähmen, hat aber bis jetzt die herrschende Linie der Minamoto nicht vom Throne verdrängen können. Der Verlauf der Begebenheiten im Einzelnen ist, wie gesagt, in Dunkel gehüllt. Constatirte Thatsachen sind nur: dass bald nach dem ersten Erscheinen des amerikanischen Geschwaders (1853) der regierende Siogun starb, und dass sein kinderloser Nachfolger die Unterzeichnung des Harris’schen Vertrages nur um wenige Tage über- lebte; dass damals ein unmündiger Spross des Hauses Kii auf den Thron erhoben, der Fürst von Mito seiner Würde beraubt und auf seine Güter verbannt wurde, und dass die Leitung des Staates dem erblichen Regenten Ikamo-no-kami anheimfiel, welcher im Frühjahr 1860 — einige Monate vor Ankunft des preussischen Geschwaders — von den Bravo’s des Fürsten von Mito auf offener Strasse ermordet wurde. Alle übrigen Nachrichten sind mehr oder minder unver- bürgt. Die in Japan verbreiteten Gerüchte mögen viel Wahres enthalten 180), widersprechen einander aber in den Einzelnheiten 180) Um dem Leser einen Begriff sowohl von dem Charakter der Ereignisse, als von der Unvereinbarkeit der in Japan selbst den Fremden bekannt gewordenen Ge- rüchte zu geben, mögen hier kurze Auszüge von zwei Darstellungen der Begebenheiten seit Perry’s Ankunft stehen, die beide auf an Ort und Stelle gesammelten Nachrichten basiren. Die erste ist dem Buche des englischen Gesandten Sir Rutherford Alcock »The Capital of the Tycoon« entnommen, welcher selbst sagt, dass er nur Gerüchte wieder erzählt; die zweite ist zuerst in der Revue des deux mondes abgedruckt worden. Der Verfasser der letzteren hat seine Berichte später in einem besonderen Bande zusammengefasst, welchen Lebendigkeit der Auffassung des Gesehenen und Erlebten, Treue der Schilderungen, Humanität der Anschauung, Wohlwollen und Gewissenhaftigkeit zu einem der anziehendsten und nützlichsten Bücher über Japan machen; in allem Historischen dagegen ist er ohne Kritik verfahren, und berichtet, auf die Zuverlässigkeit seiner Gewährsmänner bauend, neben vielem Phantastischen auch Dinge, die nachweisbar unrichtig, und andere, von denen Niemand etwas wissen kann. Nach der Version des Herrn Alcock scheint man bei Perry’s erster Ankunft die Absicht gehabt zu haben, seine Anträge zurückzuweisen. Die für die Vertheidigung des Golfes von Yeddo verantwortlichen Daïmio’s brachten in zwei Tagen ein Heer von 10,000 Mann und eine grosse Anzahl Geschütze bei Uraga zusammen. Man beschloss jedoch, den Brief des Präsidenten in Empfang zu nehmen. — Der erste Minister des Siogun Iye-yosi, Midsuno Yetsizen-no-kami, ein Anhänger des alten Systems, soll sich damals mit mehreren Daïmio’s in Yeddo verschworen haben, durch Vergiftung des Iye-yosi, eines anerkannt tüchtigen und erfahrenen Herrschers, das Land vom Einfluss der Fremden zu retten, mit der Nebenabsicht, wie man sagt, die Herrschaft an sich zu reissen, da der Thronfolger schwachsinnig war. Der Siogun schöpft Verdacht und wirft den Giftbecher dem Diener, der ihn überreicht, in das Gesicht; dieser durchbohrt ihn mit dem Schwerte und vollzieht dann sogleich das

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/214>, abgerufen am 24.11.2024.