[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.II. Die Badegäste. Stimmungen. dem Einerlei des Seelebens; je ärmer die Gegenwart, desto gierigerist die Phantasie des Menschen; was ihm in der Wirklichkeit abgeht, will seine Einbildungskraft erleben. Der Seemann liest fast unaus- gesetzt in seinen wenigen Freistunden; -- der Passagier liest, bis ihm der Kopf schwirrt und jede bequeme Körperstellung erschöpft ist, dann treibt er sich im Schiffe herum, guckt in die See, in die Ferne, nach den Masten und Segeln, oder sieht den Arbeiten der Mannschaft zu, und ist dabei überall im Wege; und indem er sich träumend alle die wunderbaren Einrichtungen an Geschützen, Masten und Takelwerk, alle die blank geputzten Messingknöpfe, die niedlich "aufgeschossenen Enden" besieht und ihren Bestimmungen nachgrübelt, -- bedeutet ihn plötzlich ein höflicher Matrose, dass hier das Log geworfen oder ein Segel zugeschnitten werden soll. Oft geht es schlimmer, und wer bei den Segelmanövern nicht auf- passt, wird von täppischen Schiffsjungen angerannt und in die Taue verwickelt, oder sitzt plötzlich im Gedränge eines mächtig arbeitenden Menschenknäuels fest, aus dem er nicht wieder heraus kann. -- Jedes und das kleinste äussere Ereigniss weckt das lebhafteste Interesse, ein Segel in der Ferne, eine Schaar Fische im Wasser, ein Vogel, der sich auf die Raae setzt. Am besten ist die Stimmung bei günstigem Winde; man freut sich vorwärts zu kommen, die Bewe- gung des Schiffes ist gleichmässig, der beständige Luftzug erfrischend. Bei heftigen und widrigen Winden ist die Existenz etwas geräuschvoll und unruhig, aber es giebt doch immer etwas zu thun und zu sehen: bald werden Segel gesetzt, bald gekürzt und eingenommen, bald alle Mann aufgepfiffen um das Schiff über den anderen Bug zu legen. Diese Manöver sind auf grossen Schiffen sehr interessant, und erregen jedes Mal die neue Bewunderung des Laien der den Organismus nicht kennt. Aber selbst schlechtes Wetter und Sturm, -- wenn alle Pforten der Batterie geschlossen werden, wenn das Wasser sich stromweise über das Verdeck und in die unteren Räume ergiesst, wenn man, ohne sich festzuhalten, keinen sicheren Schritt gehen kann und das Schiff in allen Fugen kracht, -- sind nicht so schlimm als anhaltende Windstille zwischen den Wendekreisen. Die Segel klappen ermüdend an die Masten, die Taue hangen schlaff herab, auf der weiten Fluth herrscht lautlose Stille und man hört im Schiffe jedes kleinste Geräusch. Der wachthabende Officier ver- wünscht sein langweiliges Schicksal und die Leute am Ruder starren gähnend in die blaue Luft. Abspannung und Lethargie bemächtigen II. Die Badegäste. Stimmungen. dem Einerlei des Seelebens; je ärmer die Gegenwart, desto gierigerist die Phantasie des Menschen; was ihm in der Wirklichkeit abgeht, will seine Einbildungskraft erleben. Der Seemann liest fast unaus- gesetzt in seinen wenigen Freistunden; — der Passagier liest, bis ihm der Kopf schwirrt und jede bequeme Körperstellung erschöpft ist, dann treibt er sich im Schiffe herum, guckt in die See, in die Ferne, nach den Masten und Segeln, oder sieht den Arbeiten der Mannschaft zu, und ist dabei überall im Wege; und indem er sich träumend alle die wunderbaren Einrichtungen an Geschützen, Masten und Takelwerk, alle die blank geputzten Messingknöpfe, die niedlich »aufgeschossenen Enden« besieht und ihren Bestimmungen nachgrübelt, — bedeutet ihn plötzlich ein höflicher Matrose, dass hier das Log geworfen oder ein Segel zugeschnitten werden soll. Oft geht es schlimmer, und wer bei den Segelmanövern nicht auf- passt, wird von täppischen Schiffsjungen angerannt und in die Taue verwickelt, oder sitzt plötzlich im Gedränge eines mächtig arbeitenden Menschenknäuels fest, aus dem er nicht wieder heraus kann. — Jedes und das kleinste äussere Ereigniss weckt das lebhafteste Interesse, ein Segel in der Ferne, eine Schaar Fische im Wasser, ein Vogel, der sich auf die Raae setzt. Am besten ist die Stimmung bei günstigem Winde; man freut sich vorwärts zu kommen, die Bewe- gung des Schiffes ist gleichmässig, der beständige Luftzug erfrischend. Bei heftigen und widrigen Winden ist die Existenz etwas geräuschvoll und unruhig, aber es giebt doch immer etwas zu thun und zu sehen: bald werden Segel gesetzt, bald gekürzt und eingenommen, bald alle Mann aufgepfiffen um das Schiff über den anderen Bug zu legen. Diese Manöver sind auf grossen Schiffen sehr interessant, und erregen jedes Mal die neue Bewunderung des Laien der den Organismus nicht kennt. Aber selbst schlechtes Wetter und Sturm, — wenn alle Pforten der Batterie geschlossen werden, wenn das Wasser sich stromweise über das Verdeck und in die unteren Räume ergiesst, wenn man, ohne sich festzuhalten, keinen sicheren Schritt gehen kann und das Schiff in allen Fugen kracht, — sind nicht so schlimm als anhaltende Windstille zwischen den Wendekreisen. Die Segel klappen ermüdend an die Masten, die Taue hangen schlaff herab, auf der weiten Fluth herrscht lautlose Stille und man hört im Schiffe jedes kleinste Geräusch. Der wachthabende Officier ver- wünscht sein langweiliges Schicksal und die Leute am Ruder starren gähnend in die blaue Luft. Abspannung und Lethargie bemächtigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0261" n="231"/><fw place="top" type="header">II. Die Badegäste. 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Am besten ist die Stimmung bei<lb/> günstigem Winde; man freut sich vorwärts zu kommen, die Bewe-<lb/> gung des Schiffes ist gleichmässig, der beständige Luftzug erfrischend.<lb/> Bei heftigen und widrigen Winden ist die Existenz etwas geräuschvoll<lb/> und unruhig, aber es giebt doch immer etwas zu thun und zu sehen:<lb/> bald werden Segel gesetzt, bald gekürzt und eingenommen, bald<lb/> alle Mann aufgepfiffen um das Schiff über den anderen Bug zu<lb/> legen. Diese Manöver sind auf grossen Schiffen sehr interessant,<lb/> und erregen jedes Mal die neue Bewunderung des Laien der den<lb/> Organismus nicht kennt. 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II. Die Badegäste. Stimmungen.
dem Einerlei des Seelebens; je ärmer die Gegenwart, desto gieriger
ist die Phantasie des Menschen; was ihm in der Wirklichkeit abgeht,
will seine Einbildungskraft erleben. Der Seemann liest fast unaus-
gesetzt in seinen wenigen Freistunden; — der Passagier liest, bis
ihm der Kopf schwirrt und jede bequeme Körperstellung erschöpft
ist, dann treibt er sich im Schiffe herum, guckt in die See, in die
Ferne, nach den Masten und Segeln, oder sieht den Arbeiten der
Mannschaft zu, und ist dabei überall im Wege; und indem er
sich träumend alle die wunderbaren Einrichtungen an Geschützen,
Masten und Takelwerk, alle die blank geputzten Messingknöpfe, die
niedlich »aufgeschossenen Enden« besieht und ihren Bestimmungen
nachgrübelt, — bedeutet ihn plötzlich ein höflicher Matrose, dass
hier das Log geworfen oder ein Segel zugeschnitten werden soll.
Oft geht es schlimmer, und wer bei den Segelmanövern nicht auf-
passt, wird von täppischen Schiffsjungen angerannt und in die Taue
verwickelt, oder sitzt plötzlich im Gedränge eines mächtig arbeitenden
Menschenknäuels fest, aus dem er nicht wieder heraus kann. — Jedes
und das kleinste äussere Ereigniss weckt das lebhafteste Interesse,
ein Segel in der Ferne, eine Schaar Fische im Wasser, ein Vogel,
der sich auf die Raae setzt. Am besten ist die Stimmung bei
günstigem Winde; man freut sich vorwärts zu kommen, die Bewe-
gung des Schiffes ist gleichmässig, der beständige Luftzug erfrischend.
Bei heftigen und widrigen Winden ist die Existenz etwas geräuschvoll
und unruhig, aber es giebt doch immer etwas zu thun und zu sehen:
bald werden Segel gesetzt, bald gekürzt und eingenommen, bald
alle Mann aufgepfiffen um das Schiff über den anderen Bug zu
legen. Diese Manöver sind auf grossen Schiffen sehr interessant,
und erregen jedes Mal die neue Bewunderung des Laien der den
Organismus nicht kennt. Aber selbst schlechtes Wetter und Sturm, —
wenn alle Pforten der Batterie geschlossen werden, wenn das
Wasser sich stromweise über das Verdeck und in die unteren Räume
ergiesst, wenn man, ohne sich festzuhalten, keinen sicheren Schritt
gehen kann und das Schiff in allen Fugen kracht, — sind nicht so
schlimm als anhaltende Windstille zwischen den Wendekreisen.
Die Segel klappen ermüdend an die Masten, die Taue hangen schlaff
herab, auf der weiten Fluth herrscht lautlose Stille und man hört
im Schiffe jedes kleinste Geräusch. Der wachthabende Officier ver-
wünscht sein langweiliges Schicksal und die Leute am Ruder starren
gähnend in die blaue Luft. Abspannung und Lethargie bemächtigen
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