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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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V. Das Innere des Tempels. Die Bonzen.
welche ihr Licht nur durch die Haupt- und Nebenthüren erhält;
riesenhafte Papierlaternen, deren jede mehrere Menschen bergen
könnte, hangen von der Decke herab. Dem Haupteingang gegenüber
erhebt sich ein vergoldetes Gitter durch welches der Altar mit den
Götzenbildern sichtbar ist, -- nur die Priester scheinen zu diesem
Allerheiligsten Zutritt zu haben; -- davor steht ein mächtiger
Gotteskasten, wohl dreissig Fuss lang und halb so breit, und kaum
eine Elle aus dem Fussboden hervorragend; die ganze obere Fläche
ist offen, und weitläuftig mit hochkantigen Sparren vergittert, so
dass Jeder auch vom Eingange aus mit Sicherheit über die Köpfe
der Vornstehenden hineintreffen kann; denn das Gedränge ist im
Tempel oft so gross, dass nur Wenige bis an das Heiligthum ge-
langen. Wir sahen Kupfermünzen aus allen Theilen des Gebäudes
in den Gotteskasten fliegen, der die Mitte des Tempelraumes einnimmt
und für die Priester gewiss dessen wesentlichster Theil ist. -- In
einigen Nebengemächern sind viele Gemälde und andere Votivsachen
aufgehängt, unter denen eine Reihe von Bildnissen der berühmtesten
Courtisanen von Yeddo besonders auffallen muss; sie gelten als
Schutzheilige gefallener Schönheit. Ein anderes ziemlich hoch gehäng-
tes Gemälde war mit lauter kleinen weissen Puncten bedeckt, und es
stellte sich heraus dass dies Papierkugeln seien, gekaute Gebet-
formeln welche die Andächtigen da hinaufgeblasen hatten. -- An
den Säulen und Wänden sitzen kahlgeschorene Bonzen mit feisten
ausdruckslosen Gesichtern, Heiligenbilder und Gebetbücher aller
Art verkaufend; sie treiben einen einträglichen Ablasshandel und
üben grossen Einfluss auf die niederen Classen, stehen aber bei
allen Gebildeten in tiefer Verachtung, denn der heutige japanische
Buddismus ist nur noch ein verworrenes Gewebe abergläubischer
Gebräuche und todter Formen, und die Bonzen thun ihr Möglichstes
um das Volk in Dunkel und Unwissenheit zu erhalten; die herrschen-
den Stände aber sehen, so sehr sie für sich selbst nach Aufklärung
streben, die Verdummung des Volkes für nothwendig zur Erhaltung
der alten Staatsverfassung an. Der Buddismus gilt überdies als
die beste Schutzwehr gegen das Christenthum und wurde deshalb
im siebzehnten Jahrhundert zur Staatsreligion erhoben.

So viel wir herausbringen konnten, ist der Tempel von Asaksa
der Mutter des Budda geweiht, sein voller Namen O-Kuannon-
Sama
, d. h. "der grosse Herr Kuannon". Dieser Ausdruck aber
bedeutet nach dem Zeugniss gelehrter Sprachforscher "die Menschen

V. Das Innere des Tempels. Die Bonzen.
welche ihr Licht nur durch die Haupt- und Nebenthüren erhält;
riesenhafte Papierlaternen, deren jede mehrere Menschen bergen
könnte, hangen von der Decke herab. Dem Haupteingang gegenüber
erhebt sich ein vergoldetes Gitter durch welches der Altar mit den
Götzenbildern sichtbar ist, — nur die Priester scheinen zu diesem
Allerheiligsten Zutritt zu haben; — davor steht ein mächtiger
Gotteskasten, wohl dreissig Fuss lang und halb so breit, und kaum
eine Elle aus dem Fussboden hervorragend; die ganze obere Fläche
ist offen, und weitläuftig mit hochkantigen Sparren vergittert, so
dass Jeder auch vom Eingange aus mit Sicherheit über die Köpfe
der Vornstehenden hineintreffen kann; denn das Gedränge ist im
Tempel oft so gross, dass nur Wenige bis an das Heiligthum ge-
langen. Wir sahen Kupfermünzen aus allen Theilen des Gebäudes
in den Gotteskasten fliegen, der die Mitte des Tempelraumes einnimmt
und für die Priester gewiss dessen wesentlichster Theil ist. — In
einigen Nebengemächern sind viele Gemälde und andere Votivsachen
aufgehängt, unter denen eine Reihe von Bildnissen der berühmtesten
Courtisanen von Yeddo besonders auffallen muss; sie gelten als
Schutzheilige gefallener Schönheit. Ein anderes ziemlich hoch gehäng-
tes Gemälde war mit lauter kleinen weissen Puncten bedeckt, und es
stellte sich heraus dass dies Papierkugeln seien, gekaute Gebet-
formeln welche die Andächtigen da hinaufgeblasen hatten. — An
den Säulen und Wänden sitzen kahlgeschorene Bonzen mit feisten
ausdruckslosen Gesichtern, Heiligenbilder und Gebetbücher aller
Art verkaufend; sie treiben einen einträglichen Ablasshandel und
üben grossen Einfluss auf die niederen Classen, stehen aber bei
allen Gebildeten in tiefer Verachtung, denn der heutige japanische
Buddismus ist nur noch ein verworrenes Gewebe abergläubischer
Gebräuche und todter Formen, und die Bonzen thun ihr Möglichstes
um das Volk in Dunkel und Unwissenheit zu erhalten; die herrschen-
den Stände aber sehen, so sehr sie für sich selbst nach Aufklärung
streben, die Verdummung des Volkes für nothwendig zur Erhaltung
der alten Staatsverfassung an. Der Buddismus gilt überdies als
die beste Schutzwehr gegen das Christenthum und wurde deshalb
im siebzehnten Jahrhundert zur Staatsreligion erhoben.

So viel wir herausbringen konnten, ist der Tempel von Asaksa
der Mutter des Budda geweiht, sein voller Namen O-Kuannon-
Sama
, d. h. »der grosse Herr Kuannon«. Dieser Ausdruck aber
bedeutet nach dem Zeugniss gelehrter Sprachforscher »die Menschen

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[341/0371] V. Das Innere des Tempels. Die Bonzen. welche ihr Licht nur durch die Haupt- und Nebenthüren erhält; riesenhafte Papierlaternen, deren jede mehrere Menschen bergen könnte, hangen von der Decke herab. Dem Haupteingang gegenüber erhebt sich ein vergoldetes Gitter durch welches der Altar mit den Götzenbildern sichtbar ist, — nur die Priester scheinen zu diesem Allerheiligsten Zutritt zu haben; — davor steht ein mächtiger Gotteskasten, wohl dreissig Fuss lang und halb so breit, und kaum eine Elle aus dem Fussboden hervorragend; die ganze obere Fläche ist offen, und weitläuftig mit hochkantigen Sparren vergittert, so dass Jeder auch vom Eingange aus mit Sicherheit über die Köpfe der Vornstehenden hineintreffen kann; denn das Gedränge ist im Tempel oft so gross, dass nur Wenige bis an das Heiligthum ge- langen. Wir sahen Kupfermünzen aus allen Theilen des Gebäudes in den Gotteskasten fliegen, der die Mitte des Tempelraumes einnimmt und für die Priester gewiss dessen wesentlichster Theil ist. — In einigen Nebengemächern sind viele Gemälde und andere Votivsachen aufgehängt, unter denen eine Reihe von Bildnissen der berühmtesten Courtisanen von Yeddo besonders auffallen muss; sie gelten als Schutzheilige gefallener Schönheit. Ein anderes ziemlich hoch gehäng- tes Gemälde war mit lauter kleinen weissen Puncten bedeckt, und es stellte sich heraus dass dies Papierkugeln seien, gekaute Gebet- formeln welche die Andächtigen da hinaufgeblasen hatten. — An den Säulen und Wänden sitzen kahlgeschorene Bonzen mit feisten ausdruckslosen Gesichtern, Heiligenbilder und Gebetbücher aller Art verkaufend; sie treiben einen einträglichen Ablasshandel und üben grossen Einfluss auf die niederen Classen, stehen aber bei allen Gebildeten in tiefer Verachtung, denn der heutige japanische Buddismus ist nur noch ein verworrenes Gewebe abergläubischer Gebräuche und todter Formen, und die Bonzen thun ihr Möglichstes um das Volk in Dunkel und Unwissenheit zu erhalten; die herrschen- den Stände aber sehen, so sehr sie für sich selbst nach Aufklärung streben, die Verdummung des Volkes für nothwendig zur Erhaltung der alten Staatsverfassung an. Der Buddismus gilt überdies als die beste Schutzwehr gegen das Christenthum und wurde deshalb im siebzehnten Jahrhundert zur Staatsreligion erhoben. So viel wir herausbringen konnten, ist der Tempel von Asaksa der Mutter des Budda geweiht, sein voller Namen O-Kuannon- Sama, d. h. »der grosse Herr Kuannon«. Dieser Ausdruck aber bedeutet nach dem Zeugniss gelehrter Sprachforscher »die Menschen

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/371>, abgerufen am 21.11.2024.