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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Die Herrschaft des Taiko-sama.
Besitzungen mit anderen in entfernten Gegenden vertauschen, zer-
stückte und verband nach Willkühr die alten Provinzen des Reiches
und führte eine ganz neue Ordnung ein. Er liess den Lehnsfürsten
ihre Hoheitsrechte und die Verwaltung ihrer Territorien, erschöpfte
aber ihre Kassen durch Auferlegung kostbarer Hofreisen und Tribut-
geschenke, durch Lieferungen und Leistungen zum Bau der Festung
von Osaka und setzte ihnen seine Beamten zur Seite, welche sie
streng beaufsichtigen und jeden ihrer Schritte nach Hofe berichten
mussten. Die nach Selbstständigkeit zu streben scheinen oder
willkührlich und grausam gegen das Volk auftreten, verlieren Land
und Würde. Durch das ganze Reich wird strenge Gerechtigkeit
ohne Ansehn der Person geübt, jede Friedensstörung mit dem Tode
bestraft; entrinnt ein Missethäter, so müssen seine Verwandten und
Diener büssen. Das Volk soll ein sittliches Leben führen: die
Vielweiberei gestattet Taiko-sama nur sich selbst, und unterwirft
die zügellosen Bonzen einer strengen Zucht. Er unterhält eine starke
Kriegsmacht, die im Frieden bei den grossen Bauten beschäftigt
wird, reichen Sold erhält und ihm unbedingt ergeben ist. Die
Finanzen sind im besten Zustande, die Verwaltung geregelt, keine
Bedrückung erlaubt.

So legte Taiko-sama den ersten Grund zu dem in Japan
seitdem herrschenden politischen System. Das Land, das über ein
Jahrhundert lang von Kriegen beständig zerrissen war, wo man
geordnete Zustände nur noch als Fabel längst vergangener Zeiten
kannte, erfreute sich jetzt der vollkommensten Ruhe; überall
herrschte Wohlstand und Zufriedenheit. Das Volk, an die despo-
tische Willkühr der kleinen Machthaber gewöhnt, empfand nur die
Segnungen des einigen Regiments. Selbst die Jesuiten, Taiko-
sama
's
bittere Feinde, rühmen ihn als weisen Regenten, der auch
gegen seine Widersacher milde gewesen sei und die überwundenen
Fürsten nicht, wie Nobu-nanga, grausam getödtet, sondern mit Jahr-
gehalt in abgelegene Landestheile verwiesen habe. Das ganze Volk
huldigte seiner Herrschaft, die für legal erkannt wurde, sobald sie
fest begründet war. Trotzdem konnte Taiko-sama den Siogun-Titel
von dem Mikado nicht erlangen: diese Würde gehörte einmal der
Familie Minamoto, und der abgesetzte Siogun Yosi-aki, der letzte
aus dem Hause des Taka-udsi, weigerte sich hartnäckig, den
Herrscher zu adoptiren. Auch dem aus der altberühmten Familie
der Taira entsprossenen Nobu-nanga scheint die Siogun-Würde

Die Herrschaft des Taïko-sama.
Besitzungen mit anderen in entfernten Gegenden vertauschen, zer-
stückte und verband nach Willkühr die alten Provinzen des Reiches
und führte eine ganz neue Ordnung ein. Er liess den Lehnsfürsten
ihre Hoheitsrechte und die Verwaltung ihrer Territorien, erschöpfte
aber ihre Kassen durch Auferlegung kostbarer Hofreisen und Tribut-
geschenke, durch Lieferungen und Leistungen zum Bau der Festung
von Osaka und setzte ihnen seine Beamten zur Seite, welche sie
streng beaufsichtigen und jeden ihrer Schritte nach Hofe berichten
mussten. Die nach Selbstständigkeit zu streben scheinen oder
willkührlich und grausam gegen das Volk auftreten, verlieren Land
und Würde. Durch das ganze Reich wird strenge Gerechtigkeit
ohne Ansehn der Person geübt, jede Friedensstörung mit dem Tode
bestraft; entrinnt ein Missethäter, so müssen seine Verwandten und
Diener büssen. Das Volk soll ein sittliches Leben führen: die
Vielweiberei gestattet Taïko-sama nur sich selbst, und unterwirft
die zügellosen Bonzen einer strengen Zucht. Er unterhält eine starke
Kriegsmacht, die im Frieden bei den grossen Bauten beschäftigt
wird, reichen Sold erhält und ihm unbedingt ergeben ist. Die
Finanzen sind im besten Zustande, die Verwaltung geregelt, keine
Bedrückung erlaubt.

So legte Taïko-sama den ersten Grund zu dem in Japan
seitdem herrschenden politischen System. Das Land, das über ein
Jahrhundert lang von Kriegen beständig zerrissen war, wo man
geordnete Zustände nur noch als Fabel längst vergangener Zeiten
kannte, erfreute sich jetzt der vollkommensten Ruhe; überall
herrschte Wohlstand und Zufriedenheit. Das Volk, an die despo-
tische Willkühr der kleinen Machthaber gewöhnt, empfand nur die
Segnungen des einigen Regiments. Selbst die Jesuiten, Taïko-
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bittere Feinde, rühmen ihn als weisen Regenten, der auch
gegen seine Widersacher milde gewesen sei und die überwundenen
Fürsten nicht, wie Nobu-naṅga, grausam getödtet, sondern mit Jahr-
gehalt in abgelegene Landestheile verwiesen habe. Das ganze Volk
huldigte seiner Herrschaft, die für legal erkannt wurde, sobald sie
fest begründet war. Trotzdem konnte Taïko-sama den Siogun-Titel
von dem Mikado nicht erlangen: diese Würde gehörte einmal der
Familie Minamoto, und der abgesetzte Siogun Yosi-aki, der letzte
aus dem Hause des Taka-udsi, weigerte sich hartnäckig, den
Herrscher zu adoptiren. Auch dem aus der altberühmten Familie
der Taïra entsprossenen Nobu-naṅga scheint die Siogun-Würde

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[60/0090] Die Herrschaft des Taïko-sama. Besitzungen mit anderen in entfernten Gegenden vertauschen, zer- stückte und verband nach Willkühr die alten Provinzen des Reiches und führte eine ganz neue Ordnung ein. Er liess den Lehnsfürsten ihre Hoheitsrechte und die Verwaltung ihrer Territorien, erschöpfte aber ihre Kassen durch Auferlegung kostbarer Hofreisen und Tribut- geschenke, durch Lieferungen und Leistungen zum Bau der Festung von Osaka und setzte ihnen seine Beamten zur Seite, welche sie streng beaufsichtigen und jeden ihrer Schritte nach Hofe berichten mussten. Die nach Selbstständigkeit zu streben scheinen oder willkührlich und grausam gegen das Volk auftreten, verlieren Land und Würde. Durch das ganze Reich wird strenge Gerechtigkeit ohne Ansehn der Person geübt, jede Friedensstörung mit dem Tode bestraft; entrinnt ein Missethäter, so müssen seine Verwandten und Diener büssen. Das Volk soll ein sittliches Leben führen: die Vielweiberei gestattet Taïko-sama nur sich selbst, und unterwirft die zügellosen Bonzen einer strengen Zucht. Er unterhält eine starke Kriegsmacht, die im Frieden bei den grossen Bauten beschäftigt wird, reichen Sold erhält und ihm unbedingt ergeben ist. Die Finanzen sind im besten Zustande, die Verwaltung geregelt, keine Bedrückung erlaubt. So legte Taïko-sama den ersten Grund zu dem in Japan seitdem herrschenden politischen System. Das Land, das über ein Jahrhundert lang von Kriegen beständig zerrissen war, wo man geordnete Zustände nur noch als Fabel längst vergangener Zeiten kannte, erfreute sich jetzt der vollkommensten Ruhe; überall herrschte Wohlstand und Zufriedenheit. Das Volk, an die despo- tische Willkühr der kleinen Machthaber gewöhnt, empfand nur die Segnungen des einigen Regiments. Selbst die Jesuiten, Taïko- sama’s bittere Feinde, rühmen ihn als weisen Regenten, der auch gegen seine Widersacher milde gewesen sei und die überwundenen Fürsten nicht, wie Nobu-naṅga, grausam getödtet, sondern mit Jahr- gehalt in abgelegene Landestheile verwiesen habe. Das ganze Volk huldigte seiner Herrschaft, die für legal erkannt wurde, sobald sie fest begründet war. Trotzdem konnte Taïko-sama den Siogun-Titel von dem Mikado nicht erlangen: diese Würde gehörte einmal der Familie Minamoto, und der abgesetzte Siogun Yosi-aki, der letzte aus dem Hause des Taka-udsi, weigerte sich hartnäckig, den Herrscher zu adoptiren. Auch dem aus der altberühmten Familie der Taïra entsprossenen Nobu-naṅga scheint die Siogun-Würde

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/90>, abgerufen am 27.11.2024.