IX. YEDDO. VOM 7. DECEMBER 1860 BIS 1. JANUAR 1861.
Der Winter machte sich mehr und mehr geltend und der Aufenthalt in unserem Papierhause war minder angenehm als früher; wir mussten unsere Zimmer mit Kohlenbecken heizen die oft abscheulichen Dunst verbreiteten. Die Hausdiener wurden zwar angewiesen die angezün- deten Kohlen im Freien erst durchzuglühen ehe sie die Becken her- einbrachten, -- aber wer hatte Geduld darauf zu warten! Man konnte häufig nur wählen zwischen eisiger Kälte und Kopfschmerzen. Das Wetter war, namentlich in der ersten Hälfte des Monats, äusserst veränderlich: oft Regengüsse und Sturm, dass Tage lang jede Verbindung mit den Schiffen aufhörte; dann wieder leichte Nachtfröste bei klarem Himmel und bei Tage strahlender Sonnen- schein, so dass man im Freien sitzen und sich im Frühling wähnen konnte. Gegen Ende des Monats wurde es ernstlich kalt: am Morgen des 22. stand das Quecksilber des Reaumurschen Thermometers zwei Grad, am 23. fünf Grad unter Null; der Boden war hart gefroren und thaute, bei hellem Sonnenschein, im Schatten den ganzen Tag nicht; auf den Pfützen zolldickes Eis. Später gab es auch Schnee der liegen blieb, so dass im Hofe von Akabane grosse Schneemänner gemacht und Schlittenfahrten improvisirt werden konnten. Wir warfen uns dort weidlich mit Schneeballen und schonten selbst der Japaner nicht; Yakunine, Diener und Krämer wurden mit einem Hagel davon überschüttet, wo sie in unseren Bereich kamen, und nahmen den Scherz so gut auf wie er gemeint war, ohne ihn jedoch zu erwidern. Sie schienen an der Berührung des kalten Schnees mit den Händen keinen Geschmack zu finden und machten sich meist lachend aus dem Staube. Die Japaner sahen in den kalten Tagen überhaupt etwas jämmerlich und erfroren aus; sie bedeckten die Köpfe mit dicken Kapuzen, und watschelten, in viele Röcke
IX. YEDDO. VOM 7. DECEMBER 1860 BIS 1. JANUAR 1861.
Der Winter machte sich mehr und mehr geltend und der Aufenthalt in unserem Papierhause war minder angenehm als früher; wir mussten unsere Zimmer mit Kohlenbecken heizen die oft abscheulichen Dunst verbreiteten. Die Hausdiener wurden zwar angewiesen die angezün- deten Kohlen im Freien erst durchzuglühen ehe sie die Becken her- einbrachten, — aber wer hatte Geduld darauf zu warten! Man konnte häufig nur wählen zwischen eisiger Kälte und Kopfschmerzen. Das Wetter war, namentlich in der ersten Hälfte des Monats, äusserst veränderlich: oft Regengüsse und Sturm, dass Tage lang jede Verbindung mit den Schiffen aufhörte; dann wieder leichte Nachtfröste bei klarem Himmel und bei Tage strahlender Sonnen- schein, so dass man im Freien sitzen und sich im Frühling wähnen konnte. Gegen Ende des Monats wurde es ernstlich kalt: am Morgen des 22. stand das Quecksilber des Réaumurschen Thermometers zwei Grad, am 23. fünf Grad unter Null; der Boden war hart gefroren und thaute, bei hellem Sonnenschein, im Schatten den ganzen Tag nicht; auf den Pfützen zolldickes Eis. Später gab es auch Schnee der liegen blieb, so dass im Hofe von Akabane grosse Schneemänner gemacht und Schlittenfahrten improvisirt werden konnten. Wir warfen uns dort weidlich mit Schneeballen und schonten selbst der Japaner nicht; Yakunine, Diener und Krämer wurden mit einem Hagel davon überschüttet, wo sie in unseren Bereich kamen, und nahmen den Scherz so gut auf wie er gemeint war, ohne ihn jedoch zu erwidern. Sie schienen an der Berührung des kalten Schnees mit den Händen keinen Geschmack zu finden und machten sich meist lachend aus dem Staube. Die Japaner sahen in den kalten Tagen überhaupt etwas jämmerlich und erfroren aus; sie bedeckten die Köpfe mit dicken Kapuzen, und watschelten, in viele Röcke
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0136"n="[116]"/><divn="2"><head><hirendition="#b">IX.<lb/><placeName>YEDDO</placeName>.</hi><lb/>
VOM 7. DECEMBER 1860 BIS 1. JANUAR 1861.</head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">D</hi>er Winter machte sich mehr und mehr geltend und der Aufenthalt<lb/>
in unserem Papierhause war minder angenehm als früher; wir mussten<lb/>
unsere Zimmer mit Kohlenbecken heizen die oft abscheulichen Dunst<lb/>
verbreiteten. Die Hausdiener wurden zwar angewiesen die angezün-<lb/>
deten Kohlen im Freien erst durchzuglühen ehe sie die Becken her-<lb/>
einbrachten, — aber wer hatte Geduld darauf zu warten! Man<lb/>
konnte häufig nur wählen zwischen eisiger Kälte und Kopfschmerzen.<lb/>
Das Wetter war, namentlich in der ersten Hälfte des Monats,<lb/>
äusserst veränderlich: oft Regengüsse und Sturm, dass Tage lang<lb/>
jede Verbindung mit den Schiffen aufhörte; dann wieder leichte<lb/>
Nachtfröste bei klarem Himmel und bei Tage strahlender Sonnen-<lb/>
schein, so dass man im Freien sitzen und sich im Frühling wähnen<lb/>
konnte. Gegen Ende des Monats wurde es ernstlich kalt: am Morgen<lb/>
des 22. stand das Quecksilber des Réaumurschen Thermometers zwei<lb/>
Grad, am 23. fünf Grad unter Null; der Boden war hart gefroren<lb/>
und thaute, bei hellem Sonnenschein, im Schatten den ganzen Tag<lb/>
nicht; auf den Pfützen zolldickes Eis. Später gab es auch Schnee<lb/>
der liegen blieb, so dass im Hofe von <hirendition="#k"><placeName>Akabane</placeName></hi> grosse Schneemänner<lb/>
gemacht und Schlittenfahrten improvisirt werden konnten. Wir<lb/>
warfen uns dort weidlich mit Schneeballen und schonten selbst der<lb/>
Japaner nicht; <hirendition="#k">Yakunin</hi>e, Diener und Krämer wurden mit einem<lb/>
Hagel davon überschüttet, wo sie in unseren Bereich kamen, und<lb/>
nahmen den Scherz so gut auf wie er gemeint war, ohne ihn jedoch<lb/>
zu erwidern. Sie schienen an der Berührung des kalten Schnees<lb/>
mit den Händen keinen Geschmack zu finden und machten sich<lb/>
meist lachend aus dem Staube. Die Japaner sahen in den kalten<lb/>
Tagen überhaupt etwas jämmerlich und erfroren aus; sie bedeckten<lb/>
die Köpfe mit dicken Kapuzen, und watschelten, in viele Röcke<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[116]/0136]
IX.
YEDDO.
VOM 7. DECEMBER 1860 BIS 1. JANUAR 1861.
Der Winter machte sich mehr und mehr geltend und der Aufenthalt
in unserem Papierhause war minder angenehm als früher; wir mussten
unsere Zimmer mit Kohlenbecken heizen die oft abscheulichen Dunst
verbreiteten. Die Hausdiener wurden zwar angewiesen die angezün-
deten Kohlen im Freien erst durchzuglühen ehe sie die Becken her-
einbrachten, — aber wer hatte Geduld darauf zu warten! Man
konnte häufig nur wählen zwischen eisiger Kälte und Kopfschmerzen.
Das Wetter war, namentlich in der ersten Hälfte des Monats,
äusserst veränderlich: oft Regengüsse und Sturm, dass Tage lang
jede Verbindung mit den Schiffen aufhörte; dann wieder leichte
Nachtfröste bei klarem Himmel und bei Tage strahlender Sonnen-
schein, so dass man im Freien sitzen und sich im Frühling wähnen
konnte. Gegen Ende des Monats wurde es ernstlich kalt: am Morgen
des 22. stand das Quecksilber des Réaumurschen Thermometers zwei
Grad, am 23. fünf Grad unter Null; der Boden war hart gefroren
und thaute, bei hellem Sonnenschein, im Schatten den ganzen Tag
nicht; auf den Pfützen zolldickes Eis. Später gab es auch Schnee
der liegen blieb, so dass im Hofe von Akabane grosse Schneemänner
gemacht und Schlittenfahrten improvisirt werden konnten. Wir
warfen uns dort weidlich mit Schneeballen und schonten selbst der
Japaner nicht; Yakunine, Diener und Krämer wurden mit einem
Hagel davon überschüttet, wo sie in unseren Bereich kamen, und
nahmen den Scherz so gut auf wie er gemeint war, ohne ihn jedoch
zu erwidern. Sie schienen an der Berührung des kalten Schnees
mit den Händen keinen Geschmack zu finden und machten sich
meist lachend aus dem Staube. Die Japaner sahen in den kalten
Tagen überhaupt etwas jämmerlich und erfroren aus; sie bedeckten
die Köpfe mit dicken Kapuzen, und watschelten, in viele Röcke
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. [116]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/136>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.