Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Friedhöfe. Umgebungen. XI.
gleichliche Ueppigkeit des Pflanzenwuchses. Früh Morgens perlt
der Thau auf jedem Blättchen, die erfrischten Laubmassen strotzen
in Kraft und Fülle und schwängern die Luft mit erquickenden wür-
zigen Düften. Man klettert staunend von Terrasse zu Terrasse, --
denn jedes Fleckchen ist zugänglich, -- und gewinnt bei jeder Wen-
dung, bei jeder veränderten Beleuchtung ein neues überraschendes
Bild. Der Blick auf die Bai und das ferne Meer, auf das Stadt-
gewimmel unten und die gegenüberliegenden Höhen wird immer
schöner und erhält den mannichfaltigsten Reiz durch die reichen
wechselnden Vordergründe. An Staffage fehlt es nicht, denn die
Bürger von Nangasaki lustwandeln an schönen Tagen mit Frau und
Kind auf diesen Friedhöfen. Der Verfasser, der dort viel zeichnete,
ward oft freundlich von ihnen angeredet und auf die Herrlichkeit
der Landschaft aufmerksam gemacht; so viel, und dass sie selbst
die schöne Natur recht freudig genossen, liess sich aus Mienen und
Gebehrden deutlich abnehmen. -- Hier und da sah man auch
Frauengestalten in schneeweissem Trauergewande vor den Gräbern
beten, sie knieten oft lange in tiefe Andacht versunken. Der
Japaner hat überhaupt die rührendste Pietät für seine Todten: vor
allen neuen Gräbern und vor vielen, deren dichte Berankung von
längst vergangenen Zeiten spricht, findet man frische Sträusse und
Opferkerzchen, und am Laternenfest werden die Todtenäcker
glänzend erleuchtet.

Auch die Berge jenseit des stadterfüllten Thales sind mit
Friedhöfen bedeckt. Dort liegen mehrere Tempel hoch am Abhange
in der Axenrichtung der Bucht, die reichste Aussicht über das
ganze Becken beherrschend. Die Natur von Nangasaki vereinigt
die Frische der Schweiz mit der Fülle des Südens. Rauschende
Giessbäche treiben malerische lorbeerbeschattete Mühlen; zwischen
moosbedeckten Steinen spriessen Palmen, Bambus, Camelien; überall
glüht die Orange unter üppigen Geländen. -- Ebene Wege gibt es
wenig, aber die Luft war frisch und erquickend, man stieg und
kletterte mit Lust.

Wir genossen köstliche Tage; die Abende wurden in trau-
lichem Gespräch mit den Bewohnern von Desima und der neuen An-
siedelung bald am Lande, bald an Bord der Schiffe verbracht. Der
Gesandte sah fast täglich Gäste zu Tisch, und die Musik der Arkona
übte ihre gewöhnliche Anziehungskraft auf die von heimischen
Lebensgenüssen entwöhnten Europäer. Während ringsum in Berg und

Friedhöfe. Umgebungen. XI.
gleichliche Ueppigkeit des Pflanzenwuchses. Früh Morgens perlt
der Thau auf jedem Blättchen, die erfrischten Laubmassen strotzen
in Kraft und Fülle und schwängern die Luft mit erquickenden wür-
zigen Düften. Man klettert staunend von Terrasse zu Terrasse, —
denn jedes Fleckchen ist zugänglich, — und gewinnt bei jeder Wen-
dung, bei jeder veränderten Beleuchtung ein neues überraschendes
Bild. Der Blick auf die Bai und das ferne Meer, auf das Stadt-
gewimmel unten und die gegenüberliegenden Höhen wird immer
schöner und erhält den mannichfaltigsten Reiz durch die reichen
wechselnden Vordergründe. An Staffage fehlt es nicht, denn die
Bürger von Naṅgasaki lustwandeln an schönen Tagen mit Frau und
Kind auf diesen Friedhöfen. Der Verfasser, der dort viel zeichnete,
ward oft freundlich von ihnen angeredet und auf die Herrlichkeit
der Landschaft aufmerksam gemacht; so viel, und dass sie selbst
die schöne Natur recht freudig genossen, liess sich aus Mienen und
Gebehrden deutlich abnehmen. — Hier und da sah man auch
Frauengestalten in schneeweissem Trauergewande vor den Gräbern
beten, sie knieten oft lange in tiefe Andacht versunken. Der
Japaner hat überhaupt die rührendste Pietät für seine Todten: vor
allen neuen Gräbern und vor vielen, deren dichte Berankung von
längst vergangenen Zeiten spricht, findet man frische Sträusse und
Opferkerzchen, und am Laternenfest werden die Todtenäcker
glänzend erleuchtet.

Auch die Berge jenseit des stadterfüllten Thales sind mit
Friedhöfen bedeckt. Dort liegen mehrere Tempel hoch am Abhange
in der Axenrichtung der Bucht, die reichste Aussicht über das
ganze Becken beherrschend. Die Natur von Naṅgasaki vereinigt
die Frische der Schweiz mit der Fülle des Südens. Rauschende
Giessbäche treiben malerische lorbeerbeschattete Mühlen; zwischen
moosbedeckten Steinen spriessen Palmen, Bambus, Camelien; überall
glüht die Orange unter üppigen Geländen. — Ebene Wege gibt es
wenig, aber die Luft war frisch und erquickend, man stieg und
kletterte mit Lust.

Wir genossen köstliche Tage; die Abende wurden in trau-
lichem Gespräch mit den Bewohnern von Desima und der neuen An-
siedelung bald am Lande, bald an Bord der Schiffe verbracht. Der
Gesandte sah fast täglich Gäste zu Tisch, und die Musik der Arkona
übte ihre gewöhnliche Anziehungskraft auf die von heimischen
Lebensgenüssen entwöhnten Europäer. Während ringsum in Berg und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0214" n="194"/><fw place="top" type="header">Friedhöfe. Umgebungen. XI.</fw><lb/>
gleichliche Ueppigkeit des Pflanzenwuchses. Früh Morgens perlt<lb/>
der Thau auf jedem Blättchen, die erfrischten Laubmassen strotzen<lb/>
in Kraft und Fülle und schwängern die Luft mit erquickenden wür-<lb/>
zigen Düften. Man klettert staunend von Terrasse zu Terrasse, &#x2014;<lb/>
denn jedes Fleckchen ist zugänglich, &#x2014; und gewinnt bei jeder Wen-<lb/>
dung, bei jeder veränderten Beleuchtung ein neues überraschendes<lb/>
Bild. Der Blick auf die Bai und das ferne Meer, auf das Stadt-<lb/>
gewimmel unten und die gegenüberliegenden Höhen wird immer<lb/>
schöner und erhält den mannichfaltigsten Reiz durch die reichen<lb/>
wechselnden Vordergründe. An Staffage fehlt es nicht, denn die<lb/>
Bürger von <hi rendition="#k"><placeName>Na&#x1E45;gasaki</placeName></hi> lustwandeln an schönen Tagen mit Frau und<lb/>
Kind auf diesen Friedhöfen. Der Verfasser, der dort viel zeichnete,<lb/>
ward oft freundlich von ihnen angeredet und auf die Herrlichkeit<lb/>
der Landschaft aufmerksam gemacht; so viel, und dass sie selbst<lb/>
die schöne Natur recht freudig genossen, liess sich aus Mienen und<lb/>
Gebehrden deutlich abnehmen. &#x2014; Hier und da sah man auch<lb/>
Frauengestalten in schneeweissem Trauergewande vor den Gräbern<lb/>
beten, sie knieten oft lange in tiefe Andacht versunken. Der<lb/>
Japaner hat überhaupt die rührendste Pietät für seine Todten: vor<lb/>
allen neuen Gräbern und vor vielen, deren dichte Berankung von<lb/>
längst vergangenen Zeiten spricht, findet man frische Sträusse und<lb/>
Opferkerzchen, und am Laternenfest werden die Todtenäcker<lb/>
glänzend erleuchtet.</p><lb/>
          <p>Auch die Berge jenseit des stadterfüllten Thales sind mit<lb/>
Friedhöfen bedeckt. Dort liegen mehrere Tempel hoch am Abhange<lb/>
in der Axenrichtung der Bucht, die reichste Aussicht über das<lb/>
ganze Becken beherrschend. Die Natur von <hi rendition="#k"><placeName>Na&#x1E45;gasaki</placeName></hi> vereinigt<lb/>
die Frische der <placeName>Schweiz</placeName> mit der Fülle des Südens. Rauschende<lb/>
Giessbäche treiben malerische lorbeerbeschattete Mühlen; zwischen<lb/>
moosbedeckten Steinen spriessen Palmen, Bambus, Camelien; überall<lb/>
glüht die Orange unter üppigen Geländen. &#x2014; Ebene Wege gibt es<lb/>
wenig, aber die Luft war frisch und erquickend, man stieg und<lb/>
kletterte mit Lust.</p><lb/>
          <p>Wir genossen köstliche Tage; die Abende wurden in trau-<lb/>
lichem Gespräch mit den Bewohnern von <hi rendition="#k"><placeName>Desima</placeName></hi> und der neuen An-<lb/>
siedelung bald am Lande, bald an Bord der Schiffe verbracht. Der<lb/>
Gesandte sah fast täglich Gäste zu Tisch, und die Musik der Arkona<lb/>
übte ihre gewöhnliche Anziehungskraft auf die von heimischen<lb/>
Lebensgenüssen entwöhnten Europäer. Während ringsum in Berg und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0214] Friedhöfe. Umgebungen. XI. gleichliche Ueppigkeit des Pflanzenwuchses. Früh Morgens perlt der Thau auf jedem Blättchen, die erfrischten Laubmassen strotzen in Kraft und Fülle und schwängern die Luft mit erquickenden wür- zigen Düften. Man klettert staunend von Terrasse zu Terrasse, — denn jedes Fleckchen ist zugänglich, — und gewinnt bei jeder Wen- dung, bei jeder veränderten Beleuchtung ein neues überraschendes Bild. Der Blick auf die Bai und das ferne Meer, auf das Stadt- gewimmel unten und die gegenüberliegenden Höhen wird immer schöner und erhält den mannichfaltigsten Reiz durch die reichen wechselnden Vordergründe. An Staffage fehlt es nicht, denn die Bürger von Naṅgasaki lustwandeln an schönen Tagen mit Frau und Kind auf diesen Friedhöfen. Der Verfasser, der dort viel zeichnete, ward oft freundlich von ihnen angeredet und auf die Herrlichkeit der Landschaft aufmerksam gemacht; so viel, und dass sie selbst die schöne Natur recht freudig genossen, liess sich aus Mienen und Gebehrden deutlich abnehmen. — Hier und da sah man auch Frauengestalten in schneeweissem Trauergewande vor den Gräbern beten, sie knieten oft lange in tiefe Andacht versunken. Der Japaner hat überhaupt die rührendste Pietät für seine Todten: vor allen neuen Gräbern und vor vielen, deren dichte Berankung von längst vergangenen Zeiten spricht, findet man frische Sträusse und Opferkerzchen, und am Laternenfest werden die Todtenäcker glänzend erleuchtet. Auch die Berge jenseit des stadterfüllten Thales sind mit Friedhöfen bedeckt. Dort liegen mehrere Tempel hoch am Abhange in der Axenrichtung der Bucht, die reichste Aussicht über das ganze Becken beherrschend. Die Natur von Naṅgasaki vereinigt die Frische der Schweiz mit der Fülle des Südens. Rauschende Giessbäche treiben malerische lorbeerbeschattete Mühlen; zwischen moosbedeckten Steinen spriessen Palmen, Bambus, Camelien; überall glüht die Orange unter üppigen Geländen. — Ebene Wege gibt es wenig, aber die Luft war frisch und erquickend, man stieg und kletterte mit Lust. Wir genossen köstliche Tage; die Abende wurden in trau- lichem Gespräch mit den Bewohnern von Desima und der neuen An- siedelung bald am Lande, bald an Bord der Schiffe verbracht. Der Gesandte sah fast täglich Gäste zu Tisch, und die Musik der Arkona übte ihre gewöhnliche Anziehungskraft auf die von heimischen Lebensgenüssen entwöhnten Europäer. Während ringsum in Berg und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/214
Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/214>, abgerufen am 24.11.2024.