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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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XI. Simabara. Der Wuntsen-take.
gestade, das reich ist an schönen Felsparthieen. Der weite Golf
lag in spiegelglatter Ruhe, von jenseit schimmerten die Gebirge der
Halbinsel Simabara aus bläulichem Dufte herüber; sie gipfeln in der
breiten Masse des übel berufenen Wuntsen-take, eines mächtigen
Vulcanberges, der, soweit die geschichtliche Ueberlieferung reicht,
im Jahre 1792 seinen ersten Ausbruch hatte. Erscheinungen vul-
canischer Thätigkeit zeigte der Berg schon seit Jahrhunderten; die
siedenden Quellen an seinen Abhängen, Oho-tsigok und Ko-tsigok
-- die grosse und die kleine Hölle -- dienten schon in den Christen-
verfolgungen des siebzehnten Jahrhunderts zu den grausamsten
Foltern der Märtyrer. -- Die Ausbrüche des Jahres 1792 aber ge-
hören zu den gewaltsamsten Ereignissen der neueren Erdgeschichte.
Am 18. des ersten japanischen Monats Nachmittags sank plötzlich
der ganze Gipfel des Wuntsen-take zusammen; Ströme siedenden
Wassers stiegen, dichte Dampfwolken über den Himmel verbreitend,
aus dem Abgrunde und ergossen sich in die Thäler. Am 6. des
zweiten Monats erfolgte ein Ausbruch des Nebengipfels Bivo-no-
kubi
; der Berg spie Flammen und Feuer, steckte die Wälder der
Umgegend in Brand und füllte ein benachbartes Thal mit Asche und
Steinen. Am 2. des dritten Monats Nachts um zehn Uhr wurde die
ganze Insel Kiusiu, besonders die Halbinsel Simabara durch heftige
Erdstösse erschüttert. Der erste Ruck war so gewaltig, dass man
sich kaum auf den Füssen halten konnte; von den Abhängen des
Wuntsen rollten ungeheuere Felsmassen herab, und die Erde öffnete
sich in weiten Spalten. In dieser Nacht gingen viele Häuser zu
Grunde; die ganze Bevölkerung von Simabara zog mit Kranken und
Kindern aus, kehrte aber, als es ruhiger wurde, wieder zu ihren
Wohnungen zurück. Der Berg fuhr unterdessen fort Flammen zu
speien und die Lava strömte langsam an den Seiten herab. Am 1.
des vierten Monats begann die Erde abermals zu schwanken; die
Stösse hielten ununterbrochen anderthalb Stunden an und drohten
gänzliche Vernichtung. Felstrümmer rollten Alles begrabend in
Lawinen von den Bergen, der unterirdische Donner glich einer an-
haltenden Kanonade. Dann flog plötzlich unter furchtbarem Gekrach
der Mioken-yama, ein nördlicher Gipfel des Wuntsen in die Luft;
gewaltige Felsmassen stürzten in die See und trieben sie aus ihren
Ufern, so dass der Wogenschwall die an der Küste der Halbinsel
gelegene Stadt Simabara überströmte. Zu gleicher Zeit rauschten
Ströme siedenden Wassers aus den Spalten des Berges nieder,

XI. Simabara. Der Wuntsen-take.
gestade, das reich ist an schönen Felsparthieen. Der weite Golf
lag in spiegelglatter Ruhe, von jenseit schimmerten die Gebirge der
Halbinsel Simabara aus bläulichem Dufte herüber; sie gipfeln in der
breiten Masse des übel berufenen Wuntsen-take, eines mächtigen
Vulcanberges, der, soweit die geschichtliche Ueberlieferung reicht,
im Jahre 1792 seinen ersten Ausbruch hatte. Erscheinungen vul-
canischer Thätigkeit zeigte der Berg schon seit Jahrhunderten; die
siedenden Quellen an seinen Abhängen, Oho-tsigok und Ko-tsigok
— die grosse und die kleine Hölle — dienten schon in den Christen-
verfolgungen des siebzehnten Jahrhunderts zu den grausamsten
Foltern der Märtyrer. — Die Ausbrüche des Jahres 1792 aber ge-
hören zu den gewaltsamsten Ereignissen der neueren Erdgeschichte.
Am 18. des ersten japanischen Monats Nachmittags sank plötzlich
der ganze Gipfel des Wuntsen-take zusammen; Ströme siedenden
Wassers stiegen, dichte Dampfwolken über den Himmel verbreitend,
aus dem Abgrunde und ergossen sich in die Thäler. Am 6. des
zweiten Monats erfolgte ein Ausbruch des Nebengipfels Bivo-no-
kubi
; der Berg spie Flammen und Feuer, steckte die Wälder der
Umgegend in Brand und füllte ein benachbartes Thal mit Asche und
Steinen. Am 2. des dritten Monats Nachts um zehn Uhr wurde die
ganze Insel Kiusiu, besonders die Halbinsel Simabara durch heftige
Erdstösse erschüttert. Der erste Ruck war so gewaltig, dass man
sich kaum auf den Füssen halten konnte; von den Abhängen des
Wuntsen rollten ungeheuere Felsmassen herab, und die Erde öffnete
sich in weiten Spalten. In dieser Nacht gingen viele Häuser zu
Grunde; die ganze Bevölkerung von Simabara zog mit Kranken und
Kindern aus, kehrte aber, als es ruhiger wurde, wieder zu ihren
Wohnungen zurück. Der Berg fuhr unterdessen fort Flammen zu
speien und die Lava strömte langsam an den Seiten herab. Am 1.
des vierten Monats begann die Erde abermals zu schwanken; die
Stösse hielten ununterbrochen anderthalb Stunden an und drohten
gänzliche Vernichtung. Felstrümmer rollten Alles begrabend in
Lawinen von den Bergen, der unterirdische Donner glich einer an-
haltenden Kanonade. Dann flog plötzlich unter furchtbarem Gekrach
der Mioken-yama, ein nördlicher Gipfel des Wuntsen in die Luft;
gewaltige Felsmassen stürzten in die See und trieben sie aus ihren
Ufern, so dass der Wogenschwall die an der Küste der Halbinsel
gelegene Stadt Simabara überströmte. Zu gleicher Zeit rauschten
Ströme siedenden Wassers aus den Spalten des Berges nieder,

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[199/0219] XI. Simabara. Der Wuntsen-take. gestade, das reich ist an schönen Felsparthieen. Der weite Golf lag in spiegelglatter Ruhe, von jenseit schimmerten die Gebirge der Halbinsel Simabara aus bläulichem Dufte herüber; sie gipfeln in der breiten Masse des übel berufenen Wuntsen-take, eines mächtigen Vulcanberges, der, soweit die geschichtliche Ueberlieferung reicht, im Jahre 1792 seinen ersten Ausbruch hatte. Erscheinungen vul- canischer Thätigkeit zeigte der Berg schon seit Jahrhunderten; die siedenden Quellen an seinen Abhängen, Oho-tsigok und Ko-tsigok — die grosse und die kleine Hölle — dienten schon in den Christen- verfolgungen des siebzehnten Jahrhunderts zu den grausamsten Foltern der Märtyrer. — Die Ausbrüche des Jahres 1792 aber ge- hören zu den gewaltsamsten Ereignissen der neueren Erdgeschichte. Am 18. des ersten japanischen Monats Nachmittags sank plötzlich der ganze Gipfel des Wuntsen-take zusammen; Ströme siedenden Wassers stiegen, dichte Dampfwolken über den Himmel verbreitend, aus dem Abgrunde und ergossen sich in die Thäler. Am 6. des zweiten Monats erfolgte ein Ausbruch des Nebengipfels Bivo-no- kubi; der Berg spie Flammen und Feuer, steckte die Wälder der Umgegend in Brand und füllte ein benachbartes Thal mit Asche und Steinen. Am 2. des dritten Monats Nachts um zehn Uhr wurde die ganze Insel Kiusiu, besonders die Halbinsel Simabara durch heftige Erdstösse erschüttert. Der erste Ruck war so gewaltig, dass man sich kaum auf den Füssen halten konnte; von den Abhängen des Wuntsen rollten ungeheuere Felsmassen herab, und die Erde öffnete sich in weiten Spalten. In dieser Nacht gingen viele Häuser zu Grunde; die ganze Bevölkerung von Simabara zog mit Kranken und Kindern aus, kehrte aber, als es ruhiger wurde, wieder zu ihren Wohnungen zurück. Der Berg fuhr unterdessen fort Flammen zu speien und die Lava strömte langsam an den Seiten herab. Am 1. des vierten Monats begann die Erde abermals zu schwanken; die Stösse hielten ununterbrochen anderthalb Stunden an und drohten gänzliche Vernichtung. Felstrümmer rollten Alles begrabend in Lawinen von den Bergen, der unterirdische Donner glich einer an- haltenden Kanonade. Dann flog plötzlich unter furchtbarem Gekrach der Mioken-yama, ein nördlicher Gipfel des Wuntsen in die Luft; gewaltige Felsmassen stürzten in die See und trieben sie aus ihren Ufern, so dass der Wogenschwall die an der Küste der Halbinsel gelegene Stadt Simabara überströmte. Zu gleicher Zeit rauschten Ströme siedenden Wassers aus den Spalten des Berges nieder,

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/219>, abgerufen am 23.05.2024.