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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Die politische Lage. Anh. II.
Verträgen erwachsenen Schwierigkeiten behandelt werden. -- Herr
von Bellecourt stellte als Bedingung, dass die Träger der Gesandt-
schaft Männer von hohem Range wären und ein eigenhändiges
Schreiben des Taikun überreichten, vor Allem aber, das sie mit
Vollmachten versehen
würden, was bei der Gesandtschaft von
1862 unterblieben war; für die französischen Behörden müsse die
Genugthuung der ostensibele Gegenstand der Gesandtschaft sein,
wenn sie auch im Geheimen noch andere Zwecke verfolgte. Diese
Bedingungen wurden von der japanischen Regierung angenommen.
Die Gesandtschaft sollte sich zuerst nach Paris, dann an die anderen
Höfe begeben.

December und Januar gingen über die Vorbereitungen hin.
In dieser Zeit verbreitete sich abermals das Gerücht von einem
Angriff Nangato's auf den Palast des Mikado, gegen den er jetzt
auch in Auflehnung stände. Die Regierung hatte schon im September
von den Diplomaten in Yokuhama verlangt, dass keine fremden
Schiffe durch die Strasse von Simonoseki passirten, "weil sie mit
der Bestrafung des Fürsten beschäftigt sei", in Wahrheit wohl,
weil sie Anknüpfung des Verkehrs mit ihm fürchtete. Man be-
hauptete, dass sie ein Bündniss mit dem Fürsten von Satsuma und
anderen Daimio's auf Kiusiu suche, um ihn zu unterdrücken; dass
diese jedoch im Geheimen die Throne von Miako und Yeddo zu
stürzen, mit den Fremden in freien Verkehr zu treten, eine liberale
Regierungsform und europäische Cultur einzuführen wünschten. Die
Auflösung schritt augenscheinlich rasch vorwärts. Nur der viel-
fachen Kreuzung und Zersplitterung der Interessen wie dem Um-
stande, dass die Partheien nicht deutlich gesondert, bestimmte
klare Ziele verfolgend einander gegenüberstanden, ist es zuzu-
schreiben, dass es nicht schneller, und auch jetzt noch nicht zu
bedeutsamen durchschlagenden Ereignissen gekommen ist, welche
den Abschluss bilden und eine neue Gestaltung anbahnen könnten.
Die nach Unabhängigkeit lüsternen Fürsten scheinen deshalb zu
keiner rechten Einigung gekommen zu sein, weil Jeder am liebsten
für sich selbst arbeitete, und die innerlich zerrüttete Centralgewalt
immer weniger furchtbar wurde. Jeder verfolgte seine Sonder-In-
teressen, und je weniger die Regierung von Yeddo ihn darin be-
schränken konnte, desto mehr schwand das Bedürfniss der Eini-
gung zu deren gewaltsamem Sturz. Das System des Jyeyas war
schon vor Zulassung der Fremden unhaltbar geworden; diese hat

Die politische Lage. Anh. II.
Verträgen erwachsenen Schwierigkeiten behandelt werden. — Herr
von Bellecourt stellte als Bedingung, dass die Träger der Gesandt-
schaft Männer von hohem Range wären und ein eigenhändiges
Schreiben des Taïkūn überreichten, vor Allem aber, das sie mit
Vollmachten versehen
würden, was bei der Gesandtschaft von
1862 unterblieben war; für die französischen Behörden müsse die
Genugthuung der ostensibele Gegenstand der Gesandtschaft sein,
wenn sie auch im Geheimen noch andere Zwecke verfolgte. Diese
Bedingungen wurden von der japanischen Regierung angenommen.
Die Gesandtschaft sollte sich zuerst nach Paris, dann an die anderen
Höfe begeben.

December und Januar gingen über die Vorbereitungen hin.
In dieser Zeit verbreitete sich abermals das Gerücht von einem
Angriff Naṅgato’s auf den Palast des Mikado, gegen den er jetzt
auch in Auflehnung stände. Die Regierung hatte schon im September
von den Diplomaten in Yokuhama verlangt, dass keine fremden
Schiffe durch die Strasse von Simonoseki passirten, »weil sie mit
der Bestrafung des Fürsten beschäftigt sei«, in Wahrheit wohl,
weil sie Anknüpfung des Verkehrs mit ihm fürchtete. Man be-
hauptete, dass sie ein Bündniss mit dem Fürsten von Satsuma und
anderen Daïmio’s auf Kiusiu suche, um ihn zu unterdrücken; dass
diese jedoch im Geheimen die Throne von Miako und Yeddo zu
stürzen, mit den Fremden in freien Verkehr zu treten, eine liberale
Regierungsform und europäische Cultur einzuführen wünschten. Die
Auflösung schritt augenscheinlich rasch vorwärts. Nur der viel-
fachen Kreuzung und Zersplitterung der Interessen wie dem Um-
stande, dass die Partheien nicht deutlich gesondert, bestimmte
klare Ziele verfolgend einander gegenüberstanden, ist es zuzu-
schreiben, dass es nicht schneller, und auch jetzt noch nicht zu
bedeutsamen durchschlagenden Ereignissen gekommen ist, welche
den Abschluss bilden und eine neue Gestaltung anbahnen könnten.
Die nach Unabhängigkeit lüsternen Fürsten scheinen deshalb zu
keiner rechten Einigung gekommen zu sein, weil Jeder am liebsten
für sich selbst arbeitete, und die innerlich zerrüttete Centralgewalt
immer weniger furchtbar wurde. Jeder verfolgte seine Sonder-In-
teressen, und je weniger die Regierung von Yeddo ihn darin be-
schränken konnte, desto mehr schwand das Bedürfniss der Eini-
gung zu deren gewaltsamem Sturz. Das System des Jyeyas war
schon vor Zulassung der Fremden unhaltbar geworden; diese hat

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[314/0334] Die politische Lage. Anh. II. Verträgen erwachsenen Schwierigkeiten behandelt werden. — Herr von Bellecourt stellte als Bedingung, dass die Träger der Gesandt- schaft Männer von hohem Range wären und ein eigenhändiges Schreiben des Taïkūn überreichten, vor Allem aber, das sie mit Vollmachten versehen würden, was bei der Gesandtschaft von 1862 unterblieben war; für die französischen Behörden müsse die Genugthuung der ostensibele Gegenstand der Gesandtschaft sein, wenn sie auch im Geheimen noch andere Zwecke verfolgte. Diese Bedingungen wurden von der japanischen Regierung angenommen. Die Gesandtschaft sollte sich zuerst nach Paris, dann an die anderen Höfe begeben. December und Januar gingen über die Vorbereitungen hin. In dieser Zeit verbreitete sich abermals das Gerücht von einem Angriff Naṅgato’s auf den Palast des Mikado, gegen den er jetzt auch in Auflehnung stände. Die Regierung hatte schon im September von den Diplomaten in Yokuhama verlangt, dass keine fremden Schiffe durch die Strasse von Simonoseki passirten, »weil sie mit der Bestrafung des Fürsten beschäftigt sei«, in Wahrheit wohl, weil sie Anknüpfung des Verkehrs mit ihm fürchtete. Man be- hauptete, dass sie ein Bündniss mit dem Fürsten von Satsuma und anderen Daïmio’s auf Kiusiu suche, um ihn zu unterdrücken; dass diese jedoch im Geheimen die Throne von Miako und Yeddo zu stürzen, mit den Fremden in freien Verkehr zu treten, eine liberale Regierungsform und europäische Cultur einzuführen wünschten. Die Auflösung schritt augenscheinlich rasch vorwärts. Nur der viel- fachen Kreuzung und Zersplitterung der Interessen wie dem Um- stande, dass die Partheien nicht deutlich gesondert, bestimmte klare Ziele verfolgend einander gegenüberstanden, ist es zuzu- schreiben, dass es nicht schneller, und auch jetzt noch nicht zu bedeutsamen durchschlagenden Ereignissen gekommen ist, welche den Abschluss bilden und eine neue Gestaltung anbahnen könnten. Die nach Unabhängigkeit lüsternen Fürsten scheinen deshalb zu keiner rechten Einigung gekommen zu sein, weil Jeder am liebsten für sich selbst arbeitete, und die innerlich zerrüttete Centralgewalt immer weniger furchtbar wurde. Jeder verfolgte seine Sonder-In- teressen, und je weniger die Regierung von Yeddo ihn darin be- schränken konnte, desto mehr schwand das Bedürfniss der Eini- gung zu deren gewaltsamem Sturz. Das System des Jyeyas war schon vor Zulassung der Fremden unhaltbar geworden; diese hat

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/334>, abgerufen am 22.11.2024.