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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Anh. II. Japans Zukunft.
welche Jye-motsi nicht so gewaltig ist, wie Jyeyas und dessen Nach-
folger waren. Die Fremden sind jetzt allen Partheien nothwendig;
ihre Vertreibung durch den Taikun würde den Sturz seiner Herr-
schaft nur beschleunigen.

Die Diplomaten, welche die ersten Verträge schlossen, konnten
von den Zuständen des Landes keine Ahnung haben; auch ihre
Nachfolger tappten lange im Dunkeln, der Schleier des Geheim-
nisses lüftete sich nur langsam. Man schloss unmögliche Verträge
mit einer in Auflösung begriffenen Regierung und mühte sich ver-
gebens sie zur Ausführung zu bringen; -- denn der Verfall der
Siogun-Herrschaft schreitet schon seit mehreren Jahrzehnten fort,
und die Verträge waren unmöglich, weil sie zum freien Verkehr
führten. Die Centralgewalt glaubte dem Adel und dem Auslande
partielle Zugeständnisse machen zu können, beraubte sich aber
damit ihrer Grundlagen. Die Daimio's werden unabhängiger, der
Verkehr gänzlich befreit werden; das alte System kann dabei nicht
fortbestehen.

Jetzt bahnt der Handel sich Wege in alle Theile des Reiches;
die dabei gemachten Erfahrungen müssen erst zeigen, worauf es
vorzüglich ankommt, und zur Modification der ursprünglichen Ver-
träge führen, welche als Schlüssel, als Grundlage wichtiger Rechte
vom grössten Werthe sind. Beim Verkehr in den Gebieten der unab-
hängigen Landesfürsten wird es aber nothwendig werden, auch mit
diesen Abmachungen zu treffen, welche sich dem örtlichen Bedürf-
niss, der Verfassung und Bevölkerung dieser Landestheile anpassen.
Nur der Ausdruck von Sitte und Nothwendigkeit ist haltbar als
Gesetz; die Erfahrungen der Kaufleute müssen hier die Wege zeigen.
Für jetzt scheinen dem Verfasser der Taikun in seinen Erbländern,
die souverainen Daimio's in den ihrigen diejenigen Grössen, mit
denen die fremden Diplomaten gesondert zu rechnen haben. Welche
politische Gestaltung folgen wird, ist nicht abzusehen, die Auf-
richtung der alten despotischen Centralgewalt unmöglich. Wahr-
scheinlich werden die Daimio's so lange in ihren Erblanden unabhängig
bleiben, bis einer das entscheidende Uebergewicht erhält und die
anderen unterdrückt; vielleicht auch zerfällt das Reich nach seiner
geographischen Eintheilung in mehrere Bundesstaaten, deren jeder
unter Oberhoheit des mächtigsten Territiorialfürsten steht. Jeden-
falls sind die Souverainetätsrechte der Daimio's trotz deren langer
Knechtschaft zu lebendig im Bewusstsein des Volkes, zu eng ver-

Anh. II. Japans Zukunft.
welche Jye-motsi nicht so gewaltig ist, wie Jyeyas und dessen Nach-
folger waren. Die Fremden sind jetzt allen Partheien nothwendig;
ihre Vertreibung durch den Taïkūn würde den Sturz seiner Herr-
schaft nur beschleunigen.

Die Diplomaten, welche die ersten Verträge schlossen, konnten
von den Zuständen des Landes keine Ahnung haben; auch ihre
Nachfolger tappten lange im Dunkeln, der Schleier des Geheim-
nisses lüftete sich nur langsam. Man schloss unmögliche Verträge
mit einer in Auflösung begriffenen Regierung und mühte sich ver-
gebens sie zur Ausführung zu bringen; — denn der Verfall der
Siogun-Herrschaft schreitet schon seit mehreren Jahrzehnten fort,
und die Verträge waren unmöglich, weil sie zum freien Verkehr
führten. Die Centralgewalt glaubte dem Adel und dem Auslande
partielle Zugeständnisse machen zu können, beraubte sich aber
damit ihrer Grundlagen. Die Daimio’s werden unabhängiger, der
Verkehr gänzlich befreit werden; das alte System kann dabei nicht
fortbestehen.

Jetzt bahnt der Handel sich Wege in alle Theile des Reiches;
die dabei gemachten Erfahrungen müssen erst zeigen, worauf es
vorzüglich ankommt, und zur Modification der ursprünglichen Ver-
träge führen, welche als Schlüssel, als Grundlage wichtiger Rechte
vom grössten Werthe sind. Beim Verkehr in den Gebieten der unab-
hängigen Landesfürsten wird es aber nothwendig werden, auch mit
diesen Abmachungen zu treffen, welche sich dem örtlichen Bedürf-
niss, der Verfassung und Bevölkerung dieser Landestheile anpassen.
Nur der Ausdruck von Sitte und Nothwendigkeit ist haltbar als
Gesetz; die Erfahrungen der Kaufleute müssen hier die Wege zeigen.
Für jetzt scheinen dem Verfasser der Taïkūn in seinen Erbländern,
die souverainen Daïmio’s in den ihrigen diejenigen Grössen, mit
denen die fremden Diplomaten gesondert zu rechnen haben. Welche
politische Gestaltung folgen wird, ist nicht abzusehen, die Auf-
richtung der alten despotischen Centralgewalt unmöglich. Wahr-
scheinlich werden die Daïmio’s so lange in ihren Erblanden unabhängig
bleiben, bis einer das entscheidende Uebergewicht erhält und die
anderen unterdrückt; vielleicht auch zerfällt das Reich nach seiner
geographischen Eintheilung in mehrere Bundesstaaten, deren jeder
unter Oberhoheit des mächtigsten Territiorialfürsten steht. Jeden-
falls sind die Souverainetätsrechte der Daïmio’s trotz deren langer
Knechtschaft zu lebendig im Bewusstsein des Volkes, zu eng ver-

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[359/0379] Anh. II. Japans Zukunft. welche Jye-motsi nicht so gewaltig ist, wie Jyeyas und dessen Nach- folger waren. Die Fremden sind jetzt allen Partheien nothwendig; ihre Vertreibung durch den Taïkūn würde den Sturz seiner Herr- schaft nur beschleunigen. Die Diplomaten, welche die ersten Verträge schlossen, konnten von den Zuständen des Landes keine Ahnung haben; auch ihre Nachfolger tappten lange im Dunkeln, der Schleier des Geheim- nisses lüftete sich nur langsam. Man schloss unmögliche Verträge mit einer in Auflösung begriffenen Regierung und mühte sich ver- gebens sie zur Ausführung zu bringen; — denn der Verfall der Siogun-Herrschaft schreitet schon seit mehreren Jahrzehnten fort, und die Verträge waren unmöglich, weil sie zum freien Verkehr führten. Die Centralgewalt glaubte dem Adel und dem Auslande partielle Zugeständnisse machen zu können, beraubte sich aber damit ihrer Grundlagen. Die Daimio’s werden unabhängiger, der Verkehr gänzlich befreit werden; das alte System kann dabei nicht fortbestehen. Jetzt bahnt der Handel sich Wege in alle Theile des Reiches; die dabei gemachten Erfahrungen müssen erst zeigen, worauf es vorzüglich ankommt, und zur Modification der ursprünglichen Ver- träge führen, welche als Schlüssel, als Grundlage wichtiger Rechte vom grössten Werthe sind. Beim Verkehr in den Gebieten der unab- hängigen Landesfürsten wird es aber nothwendig werden, auch mit diesen Abmachungen zu treffen, welche sich dem örtlichen Bedürf- niss, der Verfassung und Bevölkerung dieser Landestheile anpassen. Nur der Ausdruck von Sitte und Nothwendigkeit ist haltbar als Gesetz; die Erfahrungen der Kaufleute müssen hier die Wege zeigen. Für jetzt scheinen dem Verfasser der Taïkūn in seinen Erbländern, die souverainen Daïmio’s in den ihrigen diejenigen Grössen, mit denen die fremden Diplomaten gesondert zu rechnen haben. Welche politische Gestaltung folgen wird, ist nicht abzusehen, die Auf- richtung der alten despotischen Centralgewalt unmöglich. Wahr- scheinlich werden die Daïmio’s so lange in ihren Erblanden unabhängig bleiben, bis einer das entscheidende Uebergewicht erhält und die anderen unterdrückt; vielleicht auch zerfällt das Reich nach seiner geographischen Eintheilung in mehrere Bundesstaaten, deren jeder unter Oberhoheit des mächtigsten Territiorialfürsten steht. Jeden- falls sind die Souverainetätsrechte der Daïmio’s trotz deren langer Knechtschaft zu lebendig im Bewusstsein des Volkes, zu eng ver-

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/379>, abgerufen am 28.11.2024.