Eine dritte Art Feste, die Jahrestage der Götter und Kami, heissen Matsuri. Manche werden durch ganz Japan gefeiert, so vor allen das des nationalen Sonnengottes Ten-zio-dai-zin, andere sind, nach Art unserer Kirchweihen, örtlicher Bedeutung, Feste des localen Schutzpatrons. Keine Volksclasse, mit Ausnahme der lebenslang unreinen Yeta, ist von diesen Festen ausgeschlossen, die mit treuer Beibehaltung der alten volksthümlichen Gebräuche begangen werden; sie bilden einen Einigungspunct der Jugend, welche unter Musik und mimischen Tänzen die Thaten und merkwürdigen Schicksale ihrer göttlichen Ahnen, Heroen und Wohlthäter theatralisch dar zustellen pflegt. Die Matsuri sollen einen bedeutenden Einfluss auf die sittliche, geistige und körperliche Entwickelung der japanischen Jugend üben, und viel zur Erhaltung der alten Gebräuche und patriotischen Eigenthümlichkeiten beitragen.
Siebold giebt folgende allgemeine Beschreibung der Kami- Feste: "Das Gebot der Körper- und Seelenreinigung eröffnet die Feier. Nach einer sieben- und mehrtägigen Reinigung versammeln sich die zu einer Kami-Halle gehörigen Priester und Laien um den Oberpriester und begeben sich, meistens Nachts unter Fackellicht, nach der Halle des Kami, dessen Jahrestag bevorsteht, wo sie zur Reinigung des Mikosi schreiten. Dies ist eine kostbare Sänfte, worin man Geräthe, Waffen, Harnische und andere Ueberreste des Kami bewahrt. Wenn Ortsumstände es gestatten, wird dies Gotteshäus- chen an ein klares fliessendes Wasser gebracht und unter mancherlei Feierlichkeiten von den Priestern gewaschen. Die Sinto-Hallen und der Weg den der Zug nimmt, werden beleuchtet. Unterdess suchen Priester und Volk den Geist des Kami, der mit dem Mikosi seinen Thron auf Erden einstweilen verlieren muss, durch Gebet und Musik zufrieden zu stellen, während mehrere Feuer zur Abwehr böser Geister unterhalten werden. -- Dieser Dienst währt bis spät in die Nacht und die Musik des heiligen Chors ertönt häufig noch den ganzen folgenden Tag hindurch, um dem Geiste im Himmel seine Verherrlichung auf Erden zu verkünden. Das gereinigte Mikosi wird mit den übrigen Geräthen nach einer eigens dazu errichteten Halle gebracht, wo gottesdienstliche Feierlichkeiten, Volksfeste und Belustigungen mancherlei Art mehrere Tage über statt haben. Diese Hallen -- sie führen den Namen Oho-tabi-tokoro, hoher Ruheplatz der Reise -- sind zum Gedächtniss der Vorzeit äusserst einfach in ihrer Bauart und bestehen gewöhnlich aus Bambusstangen und Matten
Kami-Feste. VI.
Eine dritte Art Feste, die Jahrestage der Götter und Kami, heissen Matsuri. Manche werden durch ganz Japan gefeiert, so vor allen das des nationalen Sonnengottes Ten-zio-daï-zin, andere sind, nach Art unserer Kirchweihen, örtlicher Bedeutung, Feste des localen Schutzpatrons. Keine Volksclasse, mit Ausnahme der lebenslang unreinen Yeta, ist von diesen Festen ausgeschlossen, die mit treuer Beibehaltung der alten volksthümlichen Gebräuche begangen werden; sie bilden einen Einigungspunct der Jugend, welche unter Musik und mimischen Tänzen die Thaten und merkwürdigen Schicksale ihrer göttlichen Ahnen, Heroen und Wohlthäter theatralisch dar zustellen pflegt. Die Matsuri sollen einen bedeutenden Einfluss auf die sittliche, geistige und körperliche Entwickelung der japanischen Jugend üben, und viel zur Erhaltung der alten Gebräuche und patriotischen Eigenthümlichkeiten beitragen.
Siebold giebt folgende allgemeine Beschreibung der Kami- Feste: »Das Gebot der Körper- und Seelenreinigung eröffnet die Feier. Nach einer sieben- und mehrtägigen Reinigung versammeln sich die zu einer Kami-Halle gehörigen Priester und Laien um den Oberpriester und begeben sich, meistens Nachts unter Fackellicht, nach der Halle des Kami, dessen Jahrestag bevorsteht, wo sie zur Reinigung des Mikosi schreiten. Dies ist eine kostbare Sänfte, worin man Geräthe, Waffen, Harnische und andere Ueberreste des Kami bewahrt. Wenn Ortsumstände es gestatten, wird dies Gotteshäus- chen an ein klares fliessendes Wasser gebracht und unter mancherlei Feierlichkeiten von den Priestern gewaschen. Die Sinto-Hallen und der Weg den der Zug nimmt, werden beleuchtet. Unterdess suchen Priester und Volk den Geist des Kami, der mit dem Mikosi seinen Thron auf Erden einstweilen verlieren muss, durch Gebet und Musik zufrieden zu stellen, während mehrere Feuer zur Abwehr böser Geister unterhalten werden. — Dieser Dienst währt bis spät in die Nacht und die Musik des heiligen Chors ertönt häufig noch den ganzen folgenden Tag hindurch, um dem Geiste im Himmel seine Verherrlichung auf Erden zu verkünden. Das gereinigte Mikosi wird mit den übrigen Geräthen nach einer eigens dazu errichteten Halle gebracht, wo gottesdienstliche Feierlichkeiten, Volksfeste und Belustigungen mancherlei Art mehrere Tage über statt haben. Diese Hallen — sie führen den Namen Oho-tabi-tokoro, hoher Ruheplatz der Reise — sind zum Gedächtniss der Vorzeit äusserst einfach in ihrer Bauart und bestehen gewöhnlich aus Bambusstangen und Matten
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Kami-Feste. VI.
Eine dritte Art Feste, die Jahrestage der Götter und Kami,
heissen Matsuri. Manche werden durch ganz Japan gefeiert, so
vor allen das des nationalen Sonnengottes Ten-zio-daï-zin, andere
sind, nach Art unserer Kirchweihen, örtlicher Bedeutung, Feste des
localen Schutzpatrons. Keine Volksclasse, mit Ausnahme der lebenslang
unreinen Yeta, ist von diesen Festen ausgeschlossen, die mit treuer
Beibehaltung der alten volksthümlichen Gebräuche begangen werden;
sie bilden einen Einigungspunct der Jugend, welche unter Musik
und mimischen Tänzen die Thaten und merkwürdigen Schicksale
ihrer göttlichen Ahnen, Heroen und Wohlthäter theatralisch dar
zustellen pflegt. Die Matsuri sollen einen bedeutenden Einfluss auf
die sittliche, geistige und körperliche Entwickelung der japanischen
Jugend üben, und viel zur Erhaltung der alten Gebräuche und
patriotischen Eigenthümlichkeiten beitragen.
Siebold giebt folgende allgemeine Beschreibung der Kami-
Feste: »Das Gebot der Körper- und Seelenreinigung eröffnet die
Feier. Nach einer sieben- und mehrtägigen Reinigung versammeln
sich die zu einer Kami-Halle gehörigen Priester und Laien um den
Oberpriester und begeben sich, meistens Nachts unter Fackellicht,
nach der Halle des Kami, dessen Jahrestag bevorsteht, wo sie zur
Reinigung des Mikosi schreiten. Dies ist eine kostbare Sänfte, worin
man Geräthe, Waffen, Harnische und andere Ueberreste des Kami
bewahrt. Wenn Ortsumstände es gestatten, wird dies Gotteshäus-
chen an ein klares fliessendes Wasser gebracht und unter mancherlei
Feierlichkeiten von den Priestern gewaschen. Die Sinto-Hallen
und der Weg den der Zug nimmt, werden beleuchtet. Unterdess
suchen Priester und Volk den Geist des Kami, der mit dem Mikosi
seinen Thron auf Erden einstweilen verlieren muss, durch Gebet
und Musik zufrieden zu stellen, während mehrere Feuer zur Abwehr
böser Geister unterhalten werden. — Dieser Dienst währt bis spät
in die Nacht und die Musik des heiligen Chors ertönt häufig noch
den ganzen folgenden Tag hindurch, um dem Geiste im Himmel seine
Verherrlichung auf Erden zu verkünden. Das gereinigte Mikosi
wird mit den übrigen Geräthen nach einer eigens dazu errichteten
Halle gebracht, wo gottesdienstliche Feierlichkeiten, Volksfeste und
Belustigungen mancherlei Art mehrere Tage über statt haben. Diese
Hallen — sie führen den Namen Oho-tabi-tokoro, hoher Ruheplatz
der Reise — sind zum Gedächtniss der Vorzeit äusserst einfach in
ihrer Bauart und bestehen gewöhnlich aus Bambusstangen und Matten
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/40>, abgerufen am 24.11.2024.
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