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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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VI. Syuto. Sinto.
Ausflüsse und Repräsentanten des ewigen Princips, eingesetzt und
berufen die Ausbildung des Geistig-Sittlichen im Ganzen und Ein-
zelnen zu leiten, zu fördern. Symbol des Scheinbaren, Endlichen
ist die Erde, Symbol der Ewigkeit und Wahrheit der Himmel. Die
Wahrheit wird im Bewusstsein jedes Menschen geboren; er ist
bestimmt, ihr durch eigene Wahl anzugehören, mit dem Ewigen
eins zu werden. Das sind die Grundlagen der Confucius-Lehre,
über deren weitere Aus- und Umbildung in der Syuto-Secte der
Verfasser keine Auskunft zu geben vermag. Ihre Auffassung erheischt
offenbar einen höheren Bildungsgrad, als bei der Menge des japanischen
Volkes zu finden ist.

Fragt man den Japaner über die Verbreitung des Buddismus
und des Kami-Dienstes, so heisst es, "auf hundert Buddisten sei
kaum ein einziger Bekenner der Sinto-Lehre zu rechnen". Das
ist aber nur von den Anhängern des reinen Sinto-Cultus zu ver-
stehen, dessen Vorschriften allen Bilderdienst und den Besuch der
Budda-Tempel streng verbieten. Ihnen scheint die Secte Ikosyo
schroff gegenüber zu stehen, welche die reine Lehre des Budda-
Amida
ausgebildet hat und jeden anderen Cultus verdammt. Dagegen
sollen die Anschauungen und Gebräuche aller übrigen Budda-Secten
sich mehr oder weniger denen des alt-nationalen Kami-Dienstes
angepasst und verschmolzen haben, und so kann man noch heut
mit vollem Rechte sagen, dass die Sinto-Religion durch das ganze
Volk verbreitet ist. Die Secte der Riobu-Sinto, in welcher Ge-
bräuche und Lehren des Buddismus und des Kami-Dienstes auf das
innigste verschmolzen zu sein scheinen, gilt für eine der zahlreichsten.
Die ersten Verkünder des Buddismus in Japan haben ihre Lehre
gradezu auf den Kami-Dienst gepfropft; Wunder, Götter- und
Geistererscheinungen waren in jenem Zeitalter an der Tagesordnung;
die im Sinto-Cultus hochverehrten göttlichen Ahnen kamen bald
hier bald dort unter der Hülle indischer Gottheiten in buddistischen
Tempeln zum Vorschein, während indische Götter und Propheten,
in Japan wiedergeboren, in den Personen lebender Regenten, grosser
Männer und Helden auftraten. Buddistische Mönche gaben vor,
den japanischen Sonnengott in China in der Gestalt eines in-
dischen Heiligen angetroffen zu haben, wo er erschienen sei um
feindliche Anschläge gegen sein Schutzland abzuwenden; sie brach-
ten das Götzenbild sogar herüber und erhielten einen Tempel
dafür. Diese Beispiele zeigen deutlich, dass der Buddismus

VI. Syuto. Sinto.
Ausflüsse und Repräsentanten des ewigen Princips, eingesetzt und
berufen die Ausbildung des Geistig-Sittlichen im Ganzen und Ein-
zelnen zu leiten, zu fördern. Symbol des Scheinbaren, Endlichen
ist die Erde, Symbol der Ewigkeit und Wahrheit der Himmel. Die
Wahrheit wird im Bewusstsein jedes Menschen geboren; er ist
bestimmt, ihr durch eigene Wahl anzugehören, mit dem Ewigen
eins zu werden. Das sind die Grundlagen der Confucius-Lehre,
über deren weitere Aus- und Umbildung in der Syuto-Secte der
Verfasser keine Auskunft zu geben vermag. Ihre Auffassung erheischt
offenbar einen höheren Bildungsgrad, als bei der Menge des japanischen
Volkes zu finden ist.

Fragt man den Japaner über die Verbreitung des Buddismus
und des Kami-Dienstes, so heisst es, »auf hundert Buddisten sei
kaum ein einziger Bekenner der Sinto-Lehre zu rechnen«. Das
ist aber nur von den Anhängern des reinen Sinto-Cultus zu ver-
stehen, dessen Vorschriften allen Bilderdienst und den Besuch der
Budda-Tempel streng verbieten. Ihnen scheint die Secte Ikosyo
schroff gegenüber zu stehen, welche die reine Lehre des Budda-
Amida
ausgebildet hat und jeden anderen Cultus verdammt. Dagegen
sollen die Anschauungen und Gebräuche aller übrigen Budda-Secten
sich mehr oder weniger denen des alt-nationalen Kami-Dienstes
angepasst und verschmolzen haben, und so kann man noch heut
mit vollem Rechte sagen, dass die Sinto-Religion durch das ganze
Volk verbreitet ist. Die Secte der Riobu-Sinto, in welcher Ge-
bräuche und Lehren des Buddismus und des Kami-Dienstes auf das
innigste verschmolzen zu sein scheinen, gilt für eine der zahlreichsten.
Die ersten Verkünder des Buddismus in Japan haben ihre Lehre
gradezu auf den Kami-Dienst gepfropft; Wunder, Götter- und
Geistererscheinungen waren in jenem Zeitalter an der Tagesordnung;
die im Sinto-Cultus hochverehrten göttlichen Ahnen kamen bald
hier bald dort unter der Hülle indischer Gottheiten in buddistischen
Tempeln zum Vorschein, während indische Götter und Propheten,
in Japan wiedergeboren, in den Personen lebender Regenten, grosser
Männer und Helden auftraten. Buddistische Mönche gaben vor,
den japanischen Sonnengott in China in der Gestalt eines in-
dischen Heiligen angetroffen zu haben, wo er erschienen sei um
feindliche Anschläge gegen sein Schutzland abzuwenden; sie brach-
ten das Götzenbild sogar herüber und erhielten einen Tempel
dafür. Diese Beispiele zeigen deutlich, dass der Buddismus

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[25/0045] VI. Syuto. Sinto. Ausflüsse und Repräsentanten des ewigen Princips, eingesetzt und berufen die Ausbildung des Geistig-Sittlichen im Ganzen und Ein- zelnen zu leiten, zu fördern. Symbol des Scheinbaren, Endlichen ist die Erde, Symbol der Ewigkeit und Wahrheit der Himmel. Die Wahrheit wird im Bewusstsein jedes Menschen geboren; er ist bestimmt, ihr durch eigene Wahl anzugehören, mit dem Ewigen eins zu werden. Das sind die Grundlagen der Confucius-Lehre, über deren weitere Aus- und Umbildung in der Syuto-Secte der Verfasser keine Auskunft zu geben vermag. Ihre Auffassung erheischt offenbar einen höheren Bildungsgrad, als bei der Menge des japanischen Volkes zu finden ist. Fragt man den Japaner über die Verbreitung des Buddismus und des Kami-Dienstes, so heisst es, »auf hundert Buddisten sei kaum ein einziger Bekenner der Sinto-Lehre zu rechnen«. Das ist aber nur von den Anhängern des reinen Sinto-Cultus zu ver- stehen, dessen Vorschriften allen Bilderdienst und den Besuch der Budda-Tempel streng verbieten. Ihnen scheint die Secte Ikosyo schroff gegenüber zu stehen, welche die reine Lehre des Budda- Amida ausgebildet hat und jeden anderen Cultus verdammt. Dagegen sollen die Anschauungen und Gebräuche aller übrigen Budda-Secten sich mehr oder weniger denen des alt-nationalen Kami-Dienstes angepasst und verschmolzen haben, und so kann man noch heut mit vollem Rechte sagen, dass die Sinto-Religion durch das ganze Volk verbreitet ist. Die Secte der Riobu-Sinto, in welcher Ge- bräuche und Lehren des Buddismus und des Kami-Dienstes auf das innigste verschmolzen zu sein scheinen, gilt für eine der zahlreichsten. Die ersten Verkünder des Buddismus in Japan haben ihre Lehre gradezu auf den Kami-Dienst gepfropft; Wunder, Götter- und Geistererscheinungen waren in jenem Zeitalter an der Tagesordnung; die im Sinto-Cultus hochverehrten göttlichen Ahnen kamen bald hier bald dort unter der Hülle indischer Gottheiten in buddistischen Tempeln zum Vorschein, während indische Götter und Propheten, in Japan wiedergeboren, in den Personen lebender Regenten, grosser Männer und Helden auftraten. Buddistische Mönche gaben vor, den japanischen Sonnengott in China in der Gestalt eines in- dischen Heiligen angetroffen zu haben, wo er erschienen sei um feindliche Anschläge gegen sein Schutzland abzuwenden; sie brach- ten das Götzenbild sogar herüber und erhielten einen Tempel dafür. Diese Beispiele zeigen deutlich, dass der Buddismus

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/45>, abgerufen am 21.11.2024.