und sinnlichen Aberglaubens, welcher das Gehirn der Gründer ver- zehren musste.
Anfang Juni 1853 besuchte der americanische Missionar Taylor auf eigene Hand Tsin-kian, wurde freundlich behandelt und mit Büchern beschenkt. Der Commandant gab ihm aber ein an die "fremden Brüder" in Shang-hae gerichtetes Schreiben mit, in welchem unter Hindeutung auf den durch die fremdgetakelten Schiffe bei Anwesenheit des Hermes verübten Angriff in freund- lichem Ton um Unterlassung ähnlicher Besuche gebeten wird, bis in einigen Monaten die Tartaren gänzlich ausgerottet wären. -- Dieser Wahn war damals bei den Rebellen allgemein; so sicher glaubten ihre Führer, dass die gegen Norden gesandte Heersäule solchem Unternehmen gewachsen sei.
Im Juli 1853 ging Herr Meadows in Begleitung des Lieute- nant Spratt noch einmal in amtlicher Sendung den Yan-tse hinauf. Durch den hohen Sold verlockt, waren von den englischen Schiffen viele Matrosen desertirt, und wenn man auch deren Auslieferung nicht erwarten konnte, so sollte doch eine Demonstration die kaiser- lichen Behörden abschrecken, in Zukunft Deserteure in Dienst zu nehmen. Meadows blieb mit seinen Booten mehrere Tage bei dem unterhalb Tsin-kian geankerten kaiserlichen Geschwader und forschte vergebens nach Deserteuren. Darauf gelang es ihm, nach Tsin- kian hinein zu kommen, wo er, vom Commandanten 82) freundlich aufgenommen, seine gute Meinung von den Rebellen befestigte. Der persönliche Verkehr mit ihren besten Führern, deren ernste Ge- sinnung und tiefe Ueberzeugung, die Einigkeit, strenge Zucht und Sitte, welche damals bei den Garnisonen am Yan-tse, dem vor- züglichsten Theile des alten Heeres herrschten, machten dem trägen, gleichgültigen, zucht- und haltungslosen Wesen bei den Kaiserlichen gegenüber den besten Eindruck. Bei vielen in Shang-hae an- gesiedelten Fremden fand seine Meinung Anklang: die protestan- tischen Missionare erwarteten, auf die damals gesammelten Nach- richten fussend, schnelle Bekehrung des chinesischen Reiches zum Christenthum. Die Kaufleute hofften von der Tae-pin-Herrschaft Befreiung des Handels von den immer noch drückenden Fesseln; andere dachten an den grossen Gewinn, den sie durch Waffen- lieferungen an die Insurgenten erzielen könnten. So bildete sich
und sinnlichen Aberglaubens, welcher das Gehirn der Gründer ver- zehren musste.
Anfang Juni 1853 besuchte der americanische Missionar Taylor auf eigene Hand Tšiṅ-kiaṅ, wurde freundlich behandelt und mit Büchern beschenkt. Der Commandant gab ihm aber ein an die »fremden Brüder« in Shang-hae gerichtetes Schreiben mit, in welchem unter Hindeutung auf den durch die fremdgetakelten Schiffe bei Anwesenheit des Hermes verübten Angriff in freund- lichem Ton um Unterlassung ähnlicher Besuche gebeten wird, bis in einigen Monaten die Tartaren gänzlich ausgerottet wären. — Dieser Wahn war damals bei den Rebellen allgemein; so sicher glaubten ihre Führer, dass die gegen Norden gesandte Heersäule solchem Unternehmen gewachsen sei.
Im Juli 1853 ging Herr Meadows in Begleitung des Lieute- nant Spratt noch einmal in amtlicher Sendung den Yaṅ-tse hinauf. Durch den hohen Sold verlockt, waren von den englischen Schiffen viele Matrosen desertirt, und wenn man auch deren Auslieferung nicht erwarten konnte, so sollte doch eine Demonstration die kaiser- lichen Behörden abschrecken, in Zukunft Deserteure in Dienst zu nehmen. Meadows blieb mit seinen Booten mehrere Tage bei dem unterhalb Tšiṅ-kiaṅ geankerten kaiserlichen Geschwader und forschte vergebens nach Deserteuren. Darauf gelang es ihm, nach Tšiṅ- kiaṅ hinein zu kommen, wo er, vom Commandanten 82) freundlich aufgenommen, seine gute Meinung von den Rebellen befestigte. Der persönliche Verkehr mit ihren besten Führern, deren ernste Ge- sinnung und tiefe Ueberzeugung, die Einigkeit, strenge Zucht und Sitte, welche damals bei den Garnisonen am Yaṅ-tse, dem vor- züglichsten Theile des alten Heeres herrschten, machten dem trägen, gleichgültigen, zucht- und haltungslosen Wesen bei den Kaiserlichen gegenüber den besten Eindruck. Bei vielen in Shang-hae an- gesiedelten Fremden fand seine Meinung Anklang: die protestan- tischen Missionare erwarteten, auf die damals gesammelten Nach- richten fussend, schnelle Bekehrung des chinesischen Reiches zum Christenthum. Die Kaufleute hofften von der Tae-piṅ-Herrschaft Befreiung des Handels von den immer noch drückenden Fesseln; andere dachten an den grossen Gewinn, den sie durch Waffen- lieferungen an die Insurgenten erzielen könnten. So bildete sich
82) Der S. 175 Anm. 76 erwähnte Lo-ta-kan.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0213"n="191"/><fwplace="top"type="header"><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118621106">Taylor</persName> und <persNameref="http://d-nb.info/gnd/102584729">Meadows</persName> in <hirendition="#k"><placeName>Tšiṅ-kiaṅ</placeName></hi>.</fw><lb/>
und sinnlichen Aberglaubens, welcher das Gehirn der Gründer ver-<lb/>
zehren musste.</p><lb/><p>Anfang Juni 1853 besuchte der americanische Missionar<lb/><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118621106">Taylor</persName> auf eigene Hand <hirendition="#k"><placeName>Tšiṅ-kiaṅ</placeName></hi>, wurde freundlich behandelt<lb/>
und mit Büchern beschenkt. Der Commandant gab ihm aber ein<lb/>
an die »fremden Brüder« in <hirendition="#k"><placeName>Shang-hae</placeName></hi> gerichtetes Schreiben mit,<lb/>
in welchem unter Hindeutung auf den durch die fremdgetakelten<lb/>
Schiffe bei Anwesenheit des Hermes verübten Angriff in freund-<lb/>
lichem Ton um Unterlassung ähnlicher Besuche gebeten wird, bis<lb/>
in einigen Monaten die Tartaren gänzlich ausgerottet wären. — Dieser<lb/>
Wahn war damals bei den Rebellen allgemein; so sicher glaubten<lb/>
ihre Führer, dass die gegen Norden gesandte Heersäule solchem<lb/>
Unternehmen gewachsen sei.</p><lb/><p>Im Juli 1853 ging Herr <persNameref="http://d-nb.info/gnd/102584729">Meadows</persName> in Begleitung des Lieute-<lb/>
nant <persNameref="nognd">Spratt</persName> noch einmal in amtlicher Sendung den <hirendition="#k"><placeName>Yaṅ-tse</placeName></hi> hinauf.<lb/>
Durch den hohen Sold verlockt, waren von den englischen Schiffen<lb/>
viele Matrosen desertirt, und wenn man auch deren Auslieferung<lb/>
nicht erwarten konnte, so sollte doch eine Demonstration die kaiser-<lb/>
lichen Behörden abschrecken, in Zukunft Deserteure in Dienst zu<lb/>
nehmen. <persNameref="http://d-nb.info/gnd/102584729">Meadows</persName> blieb mit seinen Booten mehrere Tage bei dem<lb/>
unterhalb <hirendition="#k"><placeName>Tšiṅ-kiaṅ</placeName></hi> geankerten kaiserlichen Geschwader und forschte<lb/>
vergebens nach Deserteuren. Darauf gelang es ihm, nach <hirendition="#k"><placeName>Tšiṅ-<lb/>
kiaṅ</placeName></hi> hinein zu kommen, wo er, vom Commandanten <noteplace="foot"n="82)">Der S. 175 Anm. 76 erwähnte <hirendition="#k"><persNameref="nognd">Lo-ta-kan</persName></hi>.</note> freundlich<lb/>
aufgenommen, seine gute Meinung von den Rebellen befestigte. Der<lb/>
persönliche Verkehr mit ihren besten Führern, deren ernste Ge-<lb/>
sinnung und tiefe Ueberzeugung, die Einigkeit, strenge Zucht und<lb/>
Sitte, welche damals bei den Garnisonen am <hirendition="#k"><placeName>Yaṅ-tse</placeName></hi>, dem vor-<lb/>
züglichsten Theile des alten Heeres herrschten, machten dem trägen,<lb/>
gleichgültigen, zucht- und haltungslosen Wesen bei den Kaiserlichen<lb/>
gegenüber den besten Eindruck. Bei vielen in <hirendition="#k"><placeName>Shang-hae</placeName></hi> an-<lb/>
gesiedelten Fremden fand seine Meinung Anklang: die protestan-<lb/>
tischen Missionare erwarteten, auf die damals gesammelten Nach-<lb/>
richten fussend, schnelle Bekehrung des chinesischen Reiches zum<lb/>
Christenthum. Die Kaufleute hofften von der <hirendition="#k">Tae-piṅ</hi>-Herrschaft<lb/>
Befreiung des Handels von den immer noch drückenden Fesseln;<lb/>
andere dachten an den grossen Gewinn, den sie durch Waffen-<lb/>
lieferungen an die Insurgenten erzielen könnten. So bildete sich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[191/0213]
Taylor und Meadows in Tšiṅ-kiaṅ.
und sinnlichen Aberglaubens, welcher das Gehirn der Gründer ver-
zehren musste.
Anfang Juni 1853 besuchte der americanische Missionar
Taylor auf eigene Hand Tšiṅ-kiaṅ, wurde freundlich behandelt
und mit Büchern beschenkt. Der Commandant gab ihm aber ein
an die »fremden Brüder« in Shang-hae gerichtetes Schreiben mit,
in welchem unter Hindeutung auf den durch die fremdgetakelten
Schiffe bei Anwesenheit des Hermes verübten Angriff in freund-
lichem Ton um Unterlassung ähnlicher Besuche gebeten wird, bis
in einigen Monaten die Tartaren gänzlich ausgerottet wären. — Dieser
Wahn war damals bei den Rebellen allgemein; so sicher glaubten
ihre Führer, dass die gegen Norden gesandte Heersäule solchem
Unternehmen gewachsen sei.
Im Juli 1853 ging Herr Meadows in Begleitung des Lieute-
nant Spratt noch einmal in amtlicher Sendung den Yaṅ-tse hinauf.
Durch den hohen Sold verlockt, waren von den englischen Schiffen
viele Matrosen desertirt, und wenn man auch deren Auslieferung
nicht erwarten konnte, so sollte doch eine Demonstration die kaiser-
lichen Behörden abschrecken, in Zukunft Deserteure in Dienst zu
nehmen. Meadows blieb mit seinen Booten mehrere Tage bei dem
unterhalb Tšiṅ-kiaṅ geankerten kaiserlichen Geschwader und forschte
vergebens nach Deserteuren. Darauf gelang es ihm, nach Tšiṅ-
kiaṅ hinein zu kommen, wo er, vom Commandanten 82) freundlich
aufgenommen, seine gute Meinung von den Rebellen befestigte. Der
persönliche Verkehr mit ihren besten Führern, deren ernste Ge-
sinnung und tiefe Ueberzeugung, die Einigkeit, strenge Zucht und
Sitte, welche damals bei den Garnisonen am Yaṅ-tse, dem vor-
züglichsten Theile des alten Heeres herrschten, machten dem trägen,
gleichgültigen, zucht- und haltungslosen Wesen bei den Kaiserlichen
gegenüber den besten Eindruck. Bei vielen in Shang-hae an-
gesiedelten Fremden fand seine Meinung Anklang: die protestan-
tischen Missionare erwarteten, auf die damals gesammelten Nach-
richten fussend, schnelle Bekehrung des chinesischen Reiches zum
Christenthum. Die Kaufleute hofften von der Tae-piṅ-Herrschaft
Befreiung des Handels von den immer noch drückenden Fesseln;
andere dachten an den grossen Gewinn, den sie durch Waffen-
lieferungen an die Insurgenten erzielen könnten. So bildete sich
82) Der S. 175 Anm. 76 erwähnte Lo-ta-kan.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/213>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.