Nun standen die Alliirten dicht vor Pe-kin, und es wäre gewiss auch für die Sicherheit der Gefangenen am besten gewesen, sogleich die Hauptstadt zu nehmen. Dazu fehlten aber die erfor- derliche Truppenzahl und das schwere Geschütz. Die blosse An- drohung solcher Maassregel musste unverständig erscheinen ohne schleunige Action. Man war in der schwierigsten Lage. Einerseits durfte nicht zugegeben werden, dass die englischen und französi- schen Parlamentäre als rechtmässig gefangen zu betrachten seien, auf der anderen Seite konnte es denselben, ohne die Friedensaus- sichten zu fördern, Gefahr bringen, wenn man den Chinesen ihren Verrath in ungeschminkten Worten vorhielt. Ein Moment der Aufregung bei den leitenden Staatsbeamten, des panischen Schreckens und tumultuarischer Verwirrung beim Volke konnte Jenen das Leben kosten. Die öffentlichen Interessen mussten den individuellen voranstehen. Sich durch die Zurückhaltung der Gefangenen irgend ein Zugeständniss entlocken zu lassen, wäre po- litisch ein äusserst gefährlicher Präcedenzfall gewesen; denn es hätte die Chinesen gelehrt, dass sie durch verrätherische Aufhebung Einzelner durchsetzen könnten, was sie im Wege ehrlicher Unter- handlung und offenen Kampfes nicht erreichten. Deshalb erforder- ten sowohl die diplomatische Correspondenz als die kriegerischen Operationen grosse Vorsicht und Stätigkeit.
Lord Elgin antwortete dem Prinzen von Kun zunächst mit einem Schreiben, welches demselben die Möglichkeit liess, die Fest- haltung der Parlamentäre nach chinesischer Weise auf untergeord- nete Officiere zu schieben. Er fügte eine Abschrift der an die Be- hörden von Tun-tsau gerichteten Notification bei und erklärte, dass er nicht in der Lage sei, die Einstellung der Feindseligkeiten vor Rückkehr der Gefangenen zu veranlassen.
Schon am 23. September kam eine Erwiederung des Prinzen: Die englischen Beamten hätten bei ihrer Anwesenheit in Tun-tsau mit den früheren Commissaren acht Anträge erörtert, welchen zu- gestimmt worden sei. Beim zweiten Besuch habe man sich wegen Ueberreichung des königlichen Schreibens nicht gleich geeinigt; die englischen Officiere seien ärgerlich aufgebrochen. Unterwegs wären sie mit chinesischen Soldaten aneinandergerathen und von diesen verhaftet worden. "Daher ist es nicht die chinesische Regierung, welche irgendwie gegen die Aufrechthaltung des freundschaftlichen Verhältnisses fehlte. Die in Rede stehenden Officiere sind jetzt in
III. 22
Correspondenz mit dem Prinzen von Kuṅ.
Nun standen die Alliirten dicht vor Pe-kiṅ, und es wäre gewiss auch für die Sicherheit der Gefangenen am besten gewesen, sogleich die Hauptstadt zu nehmen. Dazu fehlten aber die erfor- derliche Truppenzahl und das schwere Geschütz. Die blosse An- drohung solcher Maassregel musste unverständig erscheinen ohne schleunige Action. Man war in der schwierigsten Lage. Einerseits durfte nicht zugegeben werden, dass die englischen und französi- schen Parlamentäre als rechtmässig gefangen zu betrachten seien, auf der anderen Seite konnte es denselben, ohne die Friedensaus- sichten zu fördern, Gefahr bringen, wenn man den Chinesen ihren Verrath in ungeschminkten Worten vorhielt. Ein Moment der Aufregung bei den leitenden Staatsbeamten, des panischen Schreckens und tumultuarischer Verwirrung beim Volke konnte Jenen das Leben kosten. Die öffentlichen Interessen mussten den individuellen voranstehen. Sich durch die Zurückhaltung der Gefangenen irgend ein Zugeständniss entlocken zu lassen, wäre po- litisch ein äusserst gefährlicher Präcedenzfall gewesen; denn es hätte die Chinesen gelehrt, dass sie durch verrätherische Aufhebung Einzelner durchsetzen könnten, was sie im Wege ehrlicher Unter- handlung und offenen Kampfes nicht erreichten. Deshalb erforder- ten sowohl die diplomatische Correspondenz als die kriegerischen Operationen grosse Vorsicht und Stätigkeit.
Lord Elgin antwortete dem Prinzen von Kuṅ zunächst mit einem Schreiben, welches demselben die Möglichkeit liess, die Fest- haltung der Parlamentäre nach chinesischer Weise auf untergeord- nete Officiere zu schieben. Er fügte eine Abschrift der an die Be- hörden von Tuṅ-tšau gerichteten Notification bei und erklärte, dass er nicht in der Lage sei, die Einstellung der Feindseligkeiten vor Rückkehr der Gefangenen zu veranlassen.
Schon am 23. September kam eine Erwiederung des Prinzen: Die englischen Beamten hätten bei ihrer Anwesenheit in Tuṅ-tšau mit den früheren Commissaren acht Anträge erörtert, welchen zu- gestimmt worden sei. Beim zweiten Besuch habe man sich wegen Ueberreichung des königlichen Schreibens nicht gleich geeinigt; die englischen Officiere seien ärgerlich aufgebrochen. Unterwegs wären sie mit chinesischen Soldaten aneinandergerathen und von diesen verhaftet worden. »Daher ist es nicht die chinesische Regierung, welche irgendwie gegen die Aufrechthaltung des freundschaftlichen Verhältnisses fehlte. Die in Rede stehenden Officiere sind jetzt in
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Correspondenz mit dem Prinzen von Kuṅ.
Nun standen die Alliirten dicht vor Pe-kiṅ, und es wäre
gewiss auch für die Sicherheit der Gefangenen am besten gewesen,
sogleich die Hauptstadt zu nehmen. Dazu fehlten aber die erfor-
derliche Truppenzahl und das schwere Geschütz. Die blosse An-
drohung solcher Maassregel musste unverständig erscheinen ohne
schleunige Action. Man war in der schwierigsten Lage. Einerseits
durfte nicht zugegeben werden, dass die englischen und französi-
schen Parlamentäre als rechtmässig gefangen zu betrachten seien,
auf der anderen Seite konnte es denselben, ohne die Friedensaus-
sichten zu fördern, Gefahr bringen, wenn man den Chinesen ihren
Verrath in ungeschminkten Worten vorhielt. Ein Moment der
Aufregung bei den leitenden Staatsbeamten, des panischen
Schreckens und tumultuarischer Verwirrung beim Volke konnte
Jenen das Leben kosten. Die öffentlichen Interessen mussten
den individuellen voranstehen. Sich durch die Zurückhaltung der
Gefangenen irgend ein Zugeständniss entlocken zu lassen, wäre po-
litisch ein äusserst gefährlicher Präcedenzfall gewesen; denn es
hätte die Chinesen gelehrt, dass sie durch verrätherische Aufhebung
Einzelner durchsetzen könnten, was sie im Wege ehrlicher Unter-
handlung und offenen Kampfes nicht erreichten. Deshalb erforder-
ten sowohl die diplomatische Correspondenz als die kriegerischen
Operationen grosse Vorsicht und Stätigkeit.
Lord Elgin antwortete dem Prinzen von Kuṅ zunächst mit
einem Schreiben, welches demselben die Möglichkeit liess, die Fest-
haltung der Parlamentäre nach chinesischer Weise auf untergeord-
nete Officiere zu schieben. Er fügte eine Abschrift der an die Be-
hörden von Tuṅ-tšau gerichteten Notification bei und erklärte,
dass er nicht in der Lage sei, die Einstellung der Feindseligkeiten
vor Rückkehr der Gefangenen zu veranlassen.
Schon am 23. September kam eine Erwiederung des Prinzen:
Die englischen Beamten hätten bei ihrer Anwesenheit in Tuṅ-tšau
mit den früheren Commissaren acht Anträge erörtert, welchen zu-
gestimmt worden sei. Beim zweiten Besuch habe man sich wegen
Ueberreichung des königlichen Schreibens nicht gleich geeinigt; die
englischen Officiere seien ärgerlich aufgebrochen. Unterwegs wären
sie mit chinesischen Soldaten aneinandergerathen und von diesen
verhaftet worden. »Daher ist es nicht die chinesische Regierung,
welche irgendwie gegen die Aufrechthaltung des freundschaftlichen
Verhältnisses fehlte. Die in Rede stehenden Officiere sind jetzt in
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/359>, abgerufen am 23.11.2024.
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