Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.XVII. Lama-Tempel. tarenstadt in Bresche zu legen; der Boden zeigt hier Spuren eineralten Umwallung von Pe-kin. Jenseit des freien Platzes stehn in schattigem Hain die Lamatempel, wo Sir Hope Grant am 6. October 1860 mit der englischen Infanterie sein Lager aufschlug, während seine Cavallerie mit der französischen Colonne nach Yuan-min-yuan zog. Es ist eine ganze Reihe von Gebäuden, die verschiedene Höfe umschliessen und von mongolischen Mönchen bewohnt werden. Mongolische Fürsten des 17. Jahrhunderts sollen sie gegründet haben. In einem nur den Mönchen zugänglichen Saale des Tem- pels der Fruchtbarkeit waren vor den Altären unzüchtige Gruppen aufgestellt, welche der fromme Eifer eines englischen Officiers hat vernichten lassen. -- Der von uns besuchte Tempel, ein längliches Rechteck, zwei Stockwerke hoch aus Backstein gebaut, zeichnet sich äusserlich durch schöne Holzsculpturen aus, die gegen Zu- dringlichkeiten der Vögel durch Netze verwahrt sind. Im saal- artigen Innern, dessen farbenreiche Ornamentirung angenehm har- monisch wirkt, sitzen mehrere Götzen mit Altären davor. Trotz einer gewissen Uebereinstimmung wirkt diese Cultusstätte der mon- golischen Lamas doch typisch ganz anders als andere buddistische Tempel, etwa wie eine dem griechischen Ritus dienende Kirche sich von einer römisch-katholischen unterscheidet. In diesem Tempel verschied 1780 zum Aergerniss aller gläubigen Lamas der unsterb- liche Oberpriester dieser Secte, welcher auf den Wink des grossen Kien-lon mit prunkendem Gefolge aus Tibet gekommen war, um den Kaiser zu segnen und sich anbeten zu lassen. Das Lager, auf welchem er an den Blattern starb, wird in einem Zimmer des Ober- geschosses gezeigt. Zu seinem Gedächtniss soll auf kaiserlichen Befehl das grosse Marmor-Denkmal errichtet worden sein, das hinter dem Tempel in einem Hain dunkelen Nadelholzes steht. Ein aufgemauerter breiter Gang führt, mit Steinplatten belegt, von der Hinterfront nach dem Denkmal. Das freistehende dreifache Portal aus weissem Marmor, dessen oberer Theil den hölzernen chine- sischen Dachstuhl nachahmt, zeigt in der Bildhauerarbeit die höchste technische Vollendung. Eine Freitreppe führt auf den Unterbau, auf welchem von vier zierlichen Thürmen umgeben das Denkmal steht. Der achteckige Sockel hat ein reiches Profil; die ringsum laufenden Reliefdarstellungen, wahrscheinlich aus dem Le- ben des Budda, können in der Behandlung recht wohl mit italieni- schen Arbeiten des 14. Jahrhunderts verglichen werden und geben XVII. Lama-Tempel. tarenstadt in Bresche zu legen; der Boden zeigt hier Spuren eineralten Umwallung von Pe-kiṅ. Jenseit des freien Platzes stehn in schattigem Hain die Lamatempel, wo Sir Hope Grant am 6. October 1860 mit der englischen Infanterie sein Lager aufschlug, während seine Cavallerie mit der französischen Colonne nach Yuaṅ-miṅ-yuaṅ zog. Es ist eine ganze Reihe von Gebäuden, die verschiedene Höfe umschliessen und von mongolischen Mönchen bewohnt werden. Mongolische Fürsten des 17. Jahrhunderts sollen sie gegründet haben. In einem nur den Mönchen zugänglichen Saale des Tem- pels der Fruchtbarkeit waren vor den Altären unzüchtige Gruppen aufgestellt, welche der fromme Eifer eines englischen Officiers hat vernichten lassen. — Der von uns besuchte Tempel, ein längliches Rechteck, zwei Stockwerke hoch aus Backstein gebaut, zeichnet sich äusserlich durch schöne Holzsculpturen aus, die gegen Zu- dringlichkeiten der Vögel durch Netze verwahrt sind. Im saal- artigen Innern, dessen farbenreiche Ornamentirung angenehm har- monisch wirkt, sitzen mehrere Götzen mit Altären davor. Trotz einer gewissen Uebereinstimmung wirkt diese Cultusstätte der mon- golischen Lamas doch typisch ganz anders als andere buddistische Tempel, etwa wie eine dem griechischen Ritus dienende Kirche sich von einer römisch-katholischen unterscheidet. In diesem Tempel verschied 1780 zum Aergerniss aller gläubigen Lamas der unsterb- liche Oberpriester dieser Secte, welcher auf den Wink des grossen Kien-loṅ mit prunkendem Gefolge aus Tibet gekommen war, um den Kaiser zu segnen und sich anbeten zu lassen. Das Lager, auf welchem er an den Blattern starb, wird in einem Zimmer des Ober- geschosses gezeigt. Zu seinem Gedächtniss soll auf kaiserlichen Befehl das grosse Marmor-Denkmal errichtet worden sein, das hinter dem Tempel in einem Hain dunkelen Nadelholzes steht. Ein aufgemauerter breiter Gang führt, mit Steinplatten belegt, von der Hinterfront nach dem Denkmal. Das freistehende dreifache Portal aus weissem Marmor, dessen oberer Theil den hölzernen chine- sischen Dachstuhl nachahmt, zeigt in der Bildhauerarbeit die höchste technische Vollendung. Eine Freitreppe führt auf den Unterbau, auf welchem von vier zierlichen Thürmen umgeben das Denkmal steht. Der achteckige Sockel hat ein reiches Profil; die ringsum laufenden Reliefdarstellungen, wahrscheinlich aus dem Le- ben des Budda, können in der Behandlung recht wohl mit italieni- schen Arbeiten des 14. Jahrhunderts verglichen werden und geben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0149" n="135"/><fw place="top" type="header">XVII. Lama-Tempel.</fw><lb/><placeName xml:id="plN2b" prev="#plN2a">tarenstadt</placeName> in Bresche zu legen; der Boden zeigt hier Spuren einer<lb/> alten Umwallung von <hi rendition="#k"><placeName>Pe-kiṅ</placeName></hi>. Jenseit des freien Platzes stehn in<lb/> schattigem Hain die Lamatempel, wo Sir <persName ref="http://d-nb.info/gnd/180439049">Hope Grant</persName> am 6. October<lb/> 1860 mit der englischen Infanterie sein Lager aufschlug, während<lb/> seine Cavallerie mit der französischen Colonne nach <hi rendition="#k"><placeName>Yuaṅ-miṅ-yuaṅ</placeName></hi><lb/> zog. 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XVII. Lama-Tempel.
tarenstadt in Bresche zu legen; der Boden zeigt hier Spuren einer
alten Umwallung von Pe-kiṅ. Jenseit des freien Platzes stehn in
schattigem Hain die Lamatempel, wo Sir Hope Grant am 6. October
1860 mit der englischen Infanterie sein Lager aufschlug, während
seine Cavallerie mit der französischen Colonne nach Yuaṅ-miṅ-yuaṅ
zog. Es ist eine ganze Reihe von Gebäuden, die verschiedene Höfe
umschliessen und von mongolischen Mönchen bewohnt werden.
Mongolische Fürsten des 17. Jahrhunderts sollen sie gegründet
haben. In einem nur den Mönchen zugänglichen Saale des Tem-
pels der Fruchtbarkeit waren vor den Altären unzüchtige Gruppen
aufgestellt, welche der fromme Eifer eines englischen Officiers hat
vernichten lassen. — Der von uns besuchte Tempel, ein längliches
Rechteck, zwei Stockwerke hoch aus Backstein gebaut, zeichnet
sich äusserlich durch schöne Holzsculpturen aus, die gegen Zu-
dringlichkeiten der Vögel durch Netze verwahrt sind. Im saal-
artigen Innern, dessen farbenreiche Ornamentirung angenehm har-
monisch wirkt, sitzen mehrere Götzen mit Altären davor. Trotz
einer gewissen Uebereinstimmung wirkt diese Cultusstätte der mon-
golischen Lamas doch typisch ganz anders als andere buddistische
Tempel, etwa wie eine dem griechischen Ritus dienende Kirche
sich von einer römisch-katholischen unterscheidet. In diesem Tempel
verschied 1780 zum Aergerniss aller gläubigen Lamas der unsterb-
liche Oberpriester dieser Secte, welcher auf den Wink des grossen
Kien-loṅ mit prunkendem Gefolge aus Tibet gekommen war, um
den Kaiser zu segnen und sich anbeten zu lassen. Das Lager, auf
welchem er an den Blattern starb, wird in einem Zimmer des Ober-
geschosses gezeigt. Zu seinem Gedächtniss soll auf kaiserlichen
Befehl das grosse Marmor-Denkmal errichtet worden sein, das
hinter dem Tempel in einem Hain dunkelen Nadelholzes steht. Ein
aufgemauerter breiter Gang führt, mit Steinplatten belegt, von der
Hinterfront nach dem Denkmal. Das freistehende dreifache Portal
aus weissem Marmor, dessen oberer Theil den hölzernen chine-
sischen Dachstuhl nachahmt, zeigt in der Bildhauerarbeit die
höchste technische Vollendung. Eine Freitreppe führt auf den
Unterbau, auf welchem von vier zierlichen Thürmen umgeben das
Denkmal steht. Der achteckige Sockel hat ein reiches Profil; die
ringsum laufenden Reliefdarstellungen, wahrscheinlich aus dem Le-
ben des Budda, können in der Behandlung recht wohl mit italieni-
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