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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Der Staatsstreich in Pe-kin. XIX.
Verfügung, dass der Regentschaftsrath nur den Thronerben unter-
stützen, nicht selbst regieren solle; seine Stellung sei die frühere
des Grossen Staatsraths, der dem Kaiser alle Angelegenheiten vor-
getragen, seinen Willen erfahren und danach die Decrete aus-
gefertigt habe, welche dem Kaiser noch zur Bestätigung vorgelegt
wurden. Was der Erhabene darin missbilligte, habe er mit dem
Zinoberstift geändert. Bei dieser Einrichtung bleibe die höchste
Macht wirklich in Händen des Herrschers; eine Fälschung seines
Willens, eine Vertretung seiner Person sei dadurch ausgeschlos-
sen. Der Regentschaftsrath dagegen beschliesse ganz selbstständig,
zeige dem Kaiser nur einen Augenblick die ausgefertigten De-
crete und versehe sie dann mit dem kaiserlichen Siegel, das ihnen
bindende Kraft verleiht. So übten diese Räthe in Wahrheit die
kaiserliche Macht, was mit der Zeit im ganzen Reiche Besorgniss
und Zweifel erregen müsse. Die einzige angemessene Auskunft
unter den waltenden Umständen wäre die Einsetzung der Kaiserin-
Wittwe zur Regentin; dann hätte die Staatsverwaltung wieder einen
persönlichen Mittelpunct, an den sie berichten, von dem sie Ent-
scheidungen einholen könne. Nur solche Regentschaft wäre eine
effective, keine fingirte. Nun werden Beispiele von Regentinnen
aus der älteren chinesischen Geschichte aufgeführt. -- Der junge
Kaiser müsse nothwendig einige Jahre ganz dem Studium der Ge-
schichte und Poesie leben, dann aber selbst das Scepter ergreifen.
-- Ob die Formen des Empfanges der Staatsdiener durch die Regentin
dieselben wie unter den Kaisern bleiben oder geändert werden sollten,
darüber müssten die Räthe der Krone ihre Vorschläge machen,

Tsen-pao, der immer ein heftiger Gegner des Su-tsuen ge-
gewesen sein soll, spricht in demselben Sinne noch unumwundener.
Der Regentschaftsrath begehe Handlungen, die nur dem Kaiser
oder der Kaiserin Wittwe ziemten. Die Zurückweisung der Denk-
schrift des Censors Tun-yuen-tsun verrathe seine selbstsüchtigen
Zwecke. Trotz allen Bemühungen des Regentschaftsrathes, seinen
Decreten Ansehn zu geben, habe das Volk doch keine Achtung
davor und betrachte sie nicht als Ausfluss des kaiserlichen Willens.
Allgemein herrsche die Neigung ihnen zu widerstreben u. s. w.
Rebellionen müssten unterdrückt werden, aber grössere Gefahren
drohten im Palaste.

Beide Denkschriften scheinen mehrere Tage vor dem Staats-
streich überreicht worden zu sein. Der Prinz von Tsun, des Prinzen

Der Staatsstreich in Pe-kiṅ. XIX.
Verfügung, dass der Regentschaftsrath nur den Thronerben unter-
stützen, nicht selbst regieren solle; seine Stellung sei die frühere
des Grossen Staatsraths, der dem Kaiser alle Angelegenheiten vor-
getragen, seinen Willen erfahren und danach die Decrete aus-
gefertigt habe, welche dem Kaiser noch zur Bestätigung vorgelegt
wurden. Was der Erhabene darin missbilligte, habe er mit dem
Zinoberstift geändert. Bei dieser Einrichtung bleibe die höchste
Macht wirklich in Händen des Herrschers; eine Fälschung seines
Willens, eine Vertretung seiner Person sei dadurch ausgeschlos-
sen. Der Regentschaftsrath dagegen beschliesse ganz selbstständig,
zeige dem Kaiser nur einen Augenblick die ausgefertigten De-
crete und versehe sie dann mit dem kaiserlichen Siegel, das ihnen
bindende Kraft verleiht. So übten diese Räthe in Wahrheit die
kaiserliche Macht, was mit der Zeit im ganzen Reiche Besorgniss
und Zweifel erregen müsse. Die einzige angemessene Auskunft
unter den waltenden Umständen wäre die Einsetzung der Kaiserin-
Wittwe zur Regentin; dann hätte die Staatsverwaltung wieder einen
persönlichen Mittelpunct, an den sie berichten, von dem sie Ent-
scheidungen einholen könne. Nur solche Regentschaft wäre eine
effective, keine fingirte. Nun werden Beispiele von Regentinnen
aus der älteren chinesischen Geschichte aufgeführt. — Der junge
Kaiser müsse nothwendig einige Jahre ganz dem Studium der Ge-
schichte und Poesie leben, dann aber selbst das Scepter ergreifen.
— Ob die Formen des Empfanges der Staatsdiener durch die Regentin
dieselben wie unter den Kaisern bleiben oder geändert werden sollten,
darüber müssten die Räthe der Krone ihre Vorschläge machen,

Tšen-pao, der immer ein heftiger Gegner des Su-tšuen ge-
gewesen sein soll, spricht in demselben Sinne noch unumwundener.
Der Regentschaftsrath begehe Handlungen, die nur dem Kaiser
oder der Kaiserin Wittwe ziemten. Die Zurückweisung der Denk-
schrift des Censors Tuṅ-yuen-tšun verrathe seine selbstsüchtigen
Zwecke. Trotz allen Bemühungen des Regentschaftsrathes, seinen
Decreten Ansehn zu geben, habe das Volk doch keine Achtung
davor und betrachte sie nicht als Ausfluss des kaiserlichen Willens.
Allgemein herrsche die Neigung ihnen zu widerstreben u. s. w.
Rebellionen müssten unterdrückt werden, aber grössere Gefahren
drohten im Palaste.

Beide Denkschriften scheinen mehrere Tage vor dem Staats-
streich überreicht worden zu sein. Der Prinz von Tšuṅ, des Prinzen

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[208/0222] Der Staatsstreich in Pe-kiṅ. XIX. Verfügung, dass der Regentschaftsrath nur den Thronerben unter- stützen, nicht selbst regieren solle; seine Stellung sei die frühere des Grossen Staatsraths, der dem Kaiser alle Angelegenheiten vor- getragen, seinen Willen erfahren und danach die Decrete aus- gefertigt habe, welche dem Kaiser noch zur Bestätigung vorgelegt wurden. Was der Erhabene darin missbilligte, habe er mit dem Zinoberstift geändert. Bei dieser Einrichtung bleibe die höchste Macht wirklich in Händen des Herrschers; eine Fälschung seines Willens, eine Vertretung seiner Person sei dadurch ausgeschlos- sen. Der Regentschaftsrath dagegen beschliesse ganz selbstständig, zeige dem Kaiser nur einen Augenblick die ausgefertigten De- crete und versehe sie dann mit dem kaiserlichen Siegel, das ihnen bindende Kraft verleiht. So übten diese Räthe in Wahrheit die kaiserliche Macht, was mit der Zeit im ganzen Reiche Besorgniss und Zweifel erregen müsse. Die einzige angemessene Auskunft unter den waltenden Umständen wäre die Einsetzung der Kaiserin- Wittwe zur Regentin; dann hätte die Staatsverwaltung wieder einen persönlichen Mittelpunct, an den sie berichten, von dem sie Ent- scheidungen einholen könne. Nur solche Regentschaft wäre eine effective, keine fingirte. Nun werden Beispiele von Regentinnen aus der älteren chinesischen Geschichte aufgeführt. — Der junge Kaiser müsse nothwendig einige Jahre ganz dem Studium der Ge- schichte und Poesie leben, dann aber selbst das Scepter ergreifen. — Ob die Formen des Empfanges der Staatsdiener durch die Regentin dieselben wie unter den Kaisern bleiben oder geändert werden sollten, darüber müssten die Räthe der Krone ihre Vorschläge machen, Tšen-pao, der immer ein heftiger Gegner des Su-tšuen ge- gewesen sein soll, spricht in demselben Sinne noch unumwundener. Der Regentschaftsrath begehe Handlungen, die nur dem Kaiser oder der Kaiserin Wittwe ziemten. Die Zurückweisung der Denk- schrift des Censors Tuṅ-yuen-tšun verrathe seine selbstsüchtigen Zwecke. Trotz allen Bemühungen des Regentschaftsrathes, seinen Decreten Ansehn zu geben, habe das Volk doch keine Achtung davor und betrachte sie nicht als Ausfluss des kaiserlichen Willens. Allgemein herrsche die Neigung ihnen zu widerstreben u. s. w. Rebellionen müssten unterdrückt werden, aber grössere Gefahren drohten im Palaste. Beide Denkschriften scheinen mehrere Tage vor dem Staats- streich überreicht worden zu sein. Der Prinz von Tšuṅ, des Prinzen

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/222>, abgerufen am 27.11.2024.