Nach Sonnenuntergang wird die unheimliche Nachbarschaft gemieden. Nicht nur Todte, sondern auch Lebende sollen dort zu- weilen verbrannt, und im vorbeifliessenden Wasser bei nächtlichem Dunkel die Opfer des heimlichen Gerichtes ertränkt werden. 68)
Neben Wat saket liegt die malerische Ruine einer grossen Backsteinpyramide, deren Bau zu Anfang dieses Jahrhunderts be- gonnen aber nicht fortgesetzt wurde, weil die Fundamente sanken. Acht Stockwerke von 12 Fuss Höhe, auf welchen dichtes Gesträuch wuchert, lagen stufenförmig übereinander; das oberste ist höher.
Ein anderer grosser Tempel, Wat Sudat, zeichnet sich durch reiche Wandmalereien und ein geräumiges Kloster aus: die Bonzen wohnen dort in vierzig Gebäuden von hundertzwanzig Schritt Länge, die in zehn Reihen je vier hintereinander mit etwa fünf Schritt Zwischenraum stehen und lauter einzelne Zellen enthalten Für schattige Gärten ist gesorgt; auf einer Seitenterrasse stehen viele Pavillons, deren Wände ganz kunstreich mit allerlei Gethier bemalt sind. -- Um die Haupttempel laufen breite Steinterrassen mit den grotesken Figuren holländischer Schildwachen.
Wat Ko Kwei heisst ein Tempel am Menam, dessen Ufer- facade eine grosse Dschunke darstellt: der Rumpf aus Mauerwerk ist nach der Wirklichkeit angemalt; die Masten bilden drei hohe Pratsedi. Der eigentliche Tempel, von der gewöhnlichen Form, liegt hinter dieser Steinfacade.
Landschaftliche Reize bieten die meisten Klöster von Ban- kok; das Innere zu besehen ermüdet man bei der ewigen Wieder- holung bald. Es giebt in der äusseren Stadt, an den weit verzweig- ten Flussarmen wohl Hunderte von Tempeln; dort gestaltet sich die üppige Pflanzenwelt mit den bunten Gebäuden und Hütten zu einer endlosen Fülle reizender Landschaftsbilder. Mit Benutzung von Ebbe und Fluth kann man, ohne die Ruderer zu ermüden, in kurzen Stunden weite Strecken durchmessen.
Einer der breitesten Nebenarme, Klon-katmei, zweigt sich oberhalb der Binnenstadt vom Strome ab und bespült eine Strecke deren östliche Mauer, fliesst dann südlich und mündet erst bei den Consulaten in den Hauptstrom. Im unteren Theil liegen in der Nähe der Fremdenhäuser viele Reisboote zusammengedrängt, lange Kähne mit gewölbter Bedachung aus Flechtwerk. Am Ufer stehen
68) So erzählt Mrs. Leonowens in ihrem Buche The English governess at the Siamese court.
XXI. Tempel.
Nach Sonnenuntergang wird die unheimliche Nachbarschaft gemieden. Nicht nur Todte, sondern auch Lebende sollen dort zu- weilen verbrannt, und im vorbeifliessenden Wasser bei nächtlichem Dunkel die Opfer des heimlichen Gerichtes ertränkt werden. 68)
Neben Wat saket liegt die malerische Ruine einer grossen Backsteinpyramide, deren Bau zu Anfang dieses Jahrhunderts be- gonnen aber nicht fortgesetzt wurde, weil die Fundamente sanken. Acht Stockwerke von 12 Fuss Höhe, auf welchen dichtes Gesträuch wuchert, lagen stufenförmig übereinander; das oberste ist höher.
Ein anderer grosser Tempel, Wat Sudat, zeichnet sich durch reiche Wandmalereien und ein geräumiges Kloster aus: die Bonzen wohnen dort in vierzig Gebäuden von hundertzwanzig Schritt Länge, die in zehn Reihen je vier hintereinander mit etwa fünf Schritt Zwischenraum stehen und lauter einzelne Zellen enthalten Für schattige Gärten ist gesorgt; auf einer Seitenterrasse stehen viele Pavillons, deren Wände ganz kunstreich mit allerlei Gethier bemalt sind. — Um die Haupttempel laufen breite Steinterrassen mit den grotesken Figuren holländischer Schildwachen.
Wat Ko Kwei heisst ein Tempel am Menam, dessen Ufer- façade eine grosse Dschunke darstellt: der Rumpf aus Mauerwerk ist nach der Wirklichkeit angemalt; die Masten bilden drei hohe Pratšedi. Der eigentliche Tempel, von der gewöhnlichen Form, liegt hinter dieser Steinfaçade.
Landschaftliche Reize bieten die meisten Klöster von Baṅ- kok; das Innere zu besehen ermüdet man bei der ewigen Wieder- holung bald. Es giebt in der äusseren Stadt, an den weit verzweig- ten Flussarmen wohl Hunderte von Tempeln; dort gestaltet sich die üppige Pflanzenwelt mit den bunten Gebäuden und Hütten zu einer endlosen Fülle reizender Landschaftsbilder. Mit Benutzung von Ebbe und Fluth kann man, ohne die Ruderer zu ermüden, in kurzen Stunden weite Strecken durchmessen.
Einer der breitesten Nebenarme, Kloṅ-katmei, zweigt sich oberhalb der Binnenstadt vom Strome ab und bespült eine Strecke deren östliche Mauer, fliesst dann südlich und mündet erst bei den Consulaten in den Hauptstrom. Im unteren Theil liegen in der Nähe der Fremdenhäuser viele Reisboote zusammengedrängt, lange Kähne mit gewölbter Bedachung aus Flechtwerk. Am Ufer stehen
68) So erzählt Mrs. Leonowens in ihrem Buche The English governess at the Siamese court.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0299"n="285"/><fwplace="top"type="header">XXI. Tempel.</fw><lb/><p>Nach Sonnenuntergang wird die unheimliche Nachbarschaft<lb/>
gemieden. Nicht nur Todte, sondern auch Lebende sollen dort zu-<lb/>
weilen verbrannt, und im vorbeifliessenden Wasser bei nächtlichem<lb/>
Dunkel die Opfer des heimlichen Gerichtes ertränkt werden. <noteplace="foot"n="68)">So erzählt Mrs. <persNameref="http://d-nb.info/gnd/119152959">Leonowens</persName> in ihrem Buche The English governess at<lb/>
the Siamese court.</note></p><lb/><p>Neben <hirendition="#k"><placeName>Wat saket</placeName></hi> liegt die malerische Ruine einer grossen<lb/>
Backsteinpyramide, deren Bau zu Anfang dieses Jahrhunderts be-<lb/>
gonnen aber nicht fortgesetzt wurde, weil die Fundamente sanken.<lb/>
Acht Stockwerke von 12 Fuss Höhe, auf welchen dichtes Gesträuch<lb/>
wuchert, lagen stufenförmig übereinander; das oberste ist höher.</p><lb/><p>Ein anderer grosser Tempel, <hirendition="#k"><placeName>Wat Sudat</placeName></hi>, zeichnet sich durch<lb/>
reiche Wandmalereien und ein geräumiges Kloster aus: die Bonzen<lb/>
wohnen dort in vierzig Gebäuden von hundertzwanzig Schritt Länge,<lb/>
die in zehn Reihen je vier hintereinander mit etwa fünf Schritt<lb/>
Zwischenraum stehen und lauter einzelne Zellen enthalten Für<lb/>
schattige Gärten ist gesorgt; auf einer Seitenterrasse stehen viele<lb/>
Pavillons, deren Wände ganz kunstreich mit allerlei Gethier bemalt<lb/>
sind. — Um die Haupttempel laufen breite Steinterrassen mit den<lb/>
grotesken Figuren holländischer Schildwachen.</p><lb/><p><hirendition="#k"><placeName>Wat Ko Kwei</placeName></hi> heisst ein Tempel am <hirendition="#k"><placeName>Menam</placeName></hi>, dessen Ufer-<lb/>
façade eine grosse Dschunke darstellt: der Rumpf aus Mauerwerk<lb/>
ist nach der Wirklichkeit angemalt; die Masten bilden drei hohe<lb/><hirendition="#k">Pratšedi</hi>. Der eigentliche Tempel, von der gewöhnlichen Form,<lb/>
liegt hinter dieser Steinfaçade.</p><lb/><p>Landschaftliche Reize bieten die meisten Klöster von <hirendition="#k"><placeName>Baṅ-<lb/>
kok</placeName></hi>; das Innere zu besehen ermüdet man bei der ewigen Wieder-<lb/>
holung bald. Es giebt in der äusseren Stadt, an den weit verzweig-<lb/>
ten Flussarmen wohl Hunderte von Tempeln; dort gestaltet sich<lb/>
die üppige Pflanzenwelt mit den bunten Gebäuden und Hütten zu<lb/>
einer endlosen Fülle reizender Landschaftsbilder. Mit Benutzung<lb/>
von Ebbe und Fluth kann man, ohne die Ruderer zu ermüden, in<lb/>
kurzen Stunden weite Strecken durchmessen.</p><lb/><p>Einer der breitesten Nebenarme, <hirendition="#k"><placeName>Kloṅ-katmei</placeName></hi>, zweigt sich<lb/>
oberhalb der Binnenstadt vom Strome ab und bespült eine Strecke<lb/>
deren östliche Mauer, fliesst dann südlich und mündet erst bei den<lb/>
Consulaten in den Hauptstrom. Im unteren Theil liegen in der<lb/>
Nähe der Fremdenhäuser viele Reisboote zusammengedrängt, lange<lb/>
Kähne mit gewölbter Bedachung aus Flechtwerk. Am Ufer stehen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[285/0299]
XXI. Tempel.
Nach Sonnenuntergang wird die unheimliche Nachbarschaft
gemieden. Nicht nur Todte, sondern auch Lebende sollen dort zu-
weilen verbrannt, und im vorbeifliessenden Wasser bei nächtlichem
Dunkel die Opfer des heimlichen Gerichtes ertränkt werden. 68)
Neben Wat saket liegt die malerische Ruine einer grossen
Backsteinpyramide, deren Bau zu Anfang dieses Jahrhunderts be-
gonnen aber nicht fortgesetzt wurde, weil die Fundamente sanken.
Acht Stockwerke von 12 Fuss Höhe, auf welchen dichtes Gesträuch
wuchert, lagen stufenförmig übereinander; das oberste ist höher.
Ein anderer grosser Tempel, Wat Sudat, zeichnet sich durch
reiche Wandmalereien und ein geräumiges Kloster aus: die Bonzen
wohnen dort in vierzig Gebäuden von hundertzwanzig Schritt Länge,
die in zehn Reihen je vier hintereinander mit etwa fünf Schritt
Zwischenraum stehen und lauter einzelne Zellen enthalten Für
schattige Gärten ist gesorgt; auf einer Seitenterrasse stehen viele
Pavillons, deren Wände ganz kunstreich mit allerlei Gethier bemalt
sind. — Um die Haupttempel laufen breite Steinterrassen mit den
grotesken Figuren holländischer Schildwachen.
Wat Ko Kwei heisst ein Tempel am Menam, dessen Ufer-
façade eine grosse Dschunke darstellt: der Rumpf aus Mauerwerk
ist nach der Wirklichkeit angemalt; die Masten bilden drei hohe
Pratšedi. Der eigentliche Tempel, von der gewöhnlichen Form,
liegt hinter dieser Steinfaçade.
Landschaftliche Reize bieten die meisten Klöster von Baṅ-
kok; das Innere zu besehen ermüdet man bei der ewigen Wieder-
holung bald. Es giebt in der äusseren Stadt, an den weit verzweig-
ten Flussarmen wohl Hunderte von Tempeln; dort gestaltet sich
die üppige Pflanzenwelt mit den bunten Gebäuden und Hütten zu
einer endlosen Fülle reizender Landschaftsbilder. Mit Benutzung
von Ebbe und Fluth kann man, ohne die Ruderer zu ermüden, in
kurzen Stunden weite Strecken durchmessen.
Einer der breitesten Nebenarme, Kloṅ-katmei, zweigt sich
oberhalb der Binnenstadt vom Strome ab und bespült eine Strecke
deren östliche Mauer, fliesst dann südlich und mündet erst bei den
Consulaten in den Hauptstrom. Im unteren Theil liegen in der
Nähe der Fremdenhäuser viele Reisboote zusammengedrängt, lange
Kähne mit gewölbter Bedachung aus Flechtwerk. Am Ufer stehen
68) So erzählt Mrs. Leonowens in ihrem Buche The English governess at
the Siamese court.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/299>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.