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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Todtenverbrennung. XXI.
dachin wölbte sich darüber. Arme und Beine der Leiche werden
in den Gelenken gebogen und der Körper zusammengeklappt. Zu-
gleich mit dem Scheiterhaufen wurden lose Holzspähne im Sarge
entzündet; letzterer, dessen Wände die Bonzen fleissig mit Wasser
besprengten, fiel erst nach Verkohlung der Leiche zusammen. Die
Leidtragenden warfen brennende Spähne und Kerzen in die Flam-
men. Ringsum stand eine Schaar Musikanten: eine schrillende
Holzpfeife gab die Melodie, dazu wurden fassartige Pauken,
broncene Kessel und horizontal aufgehängte Metallstäbe mit Häm-
mern geschlagen, ein grässlicher Lärm. Dichte Volkshaufen drängten
sich auf den Höfen; in den Rasthallen sassen die Vornehmeren,
ihren Betel kauend, mit starkem Gefolge. Von gemauerten Bühnen
wurden Silbermünzen unter das Volk geworfen; seitwärts standen
Gerüste mit Feuerwerkskörpern zum Abbrennen bei einbrechender
Dunkelheit.

Unter jenen Steingebäuden werden nur Vornehme verbrannt;
für geringere Leichen stehen in einem angrenzenden Hofe gemauerte
Sockel unter freiem Himmel. -- Von der Verbrennung eines Mannes
aus dem Mittelstande wurde von Augenzeugen Folgendes erzählt.
Schaaren von Geiern stürzten sich zunächst auf den Sarg und
mussten mit Prügeln vertrieben werden; dann auf die Leiche, die
herausgenommen und auf den Holzstoss gelegt war. Der Wächter
schnitt Fetzen herunter und warf sie den Hunden zu, denen sie
Geier wieder abjagten; dann wurde der Holzstoss angezündet. --
Zu welchen Gräueln Gewöhnung und Aberglauben den Menschen
führen können, zeigt folgender Vorfall, den Sir Robert Schomburgk
dem Gesandteu mittheilte. Ein Bootsmann in seinem Dienst starb
nach kurzer Krankheit an Entzündung der Eingeweide; seine Ge-
fährten aber schworen, ihm sei heimtückischer Weise ein Stück
Rindfleisch beigebracht worden, dessen Genuss dem Buddisten ver-
boten ist; daran sei er gestorben. Sir Robert gab Geld zu seiner
Verbrennung her. Die Leiche war eben halb gebraten, als plötzlich
die anderen Bootsleute sich darauf stürzten, Fetzen Fleisch herunter-
rissen und auffrassen. Zur Rede gestellt behaupteten sie, das sei
kein Menschenfleisch, sondern das verbotene Rindfleisch, das von
dem Verstorbenen gegessen allmälig wachsend den ganzen Körper
verzehrt habe; der Genuss schütze sicher vor gleichem Schicksal.
-- Von solchen Zauberphantasieen strotzt der siamesische Volks-
glauben.

Todtenverbrennung. XXI.
dachin wölbte sich darüber. Arme und Beine der Leiche werden
in den Gelenken gebogen und der Körper zusammengeklappt. Zu-
gleich mit dem Scheiterhaufen wurden lose Holzspähne im Sarge
entzündet; letzterer, dessen Wände die Bonzen fleissig mit Wasser
besprengten, fiel erst nach Verkohlung der Leiche zusammen. Die
Leidtragenden warfen brennende Spähne und Kerzen in die Flam-
men. Ringsum stand eine Schaar Musikanten: eine schrillende
Holzpfeife gab die Melodie, dazu wurden fassartige Pauken,
broncene Kessel und horizontal aufgehängte Metallstäbe mit Häm-
mern geschlagen, ein grässlicher Lärm. Dichte Volkshaufen drängten
sich auf den Höfen; in den Rasthallen sassen die Vornehmeren,
ihren Betel kauend, mit starkem Gefolge. Von gemauerten Bühnen
wurden Silbermünzen unter das Volk geworfen; seitwärts standen
Gerüste mit Feuerwerkskörpern zum Abbrennen bei einbrechender
Dunkelheit.

Unter jenen Steingebäuden werden nur Vornehme verbrannt;
für geringere Leichen stehen in einem angrenzenden Hofe gemauerte
Sockel unter freiem Himmel. — Von der Verbrennung eines Mannes
aus dem Mittelstande wurde von Augenzeugen Folgendes erzählt.
Schaaren von Geiern stürzten sich zunächst auf den Sarg und
mussten mit Prügeln vertrieben werden; dann auf die Leiche, die
herausgenommen und auf den Holzstoss gelegt war. Der Wächter
schnitt Fetzen herunter und warf sie den Hunden zu, denen sie
Geier wieder abjagten; dann wurde der Holzstoss angezündet. —
Zu welchen Gräueln Gewöhnung und Aberglauben den Menschen
führen können, zeigt folgender Vorfall, den Sir Robert Schomburgk
dem Gesandteu mittheilte. Ein Bootsmann in seinem Dienst starb
nach kurzer Krankheit an Entzündung der Eingeweide; seine Ge-
fährten aber schworen, ihm sei heimtückischer Weise ein Stück
Rindfleisch beigebracht worden, dessen Genuss dem Buddisten ver-
boten ist; daran sei er gestorben. Sir Robert gab Geld zu seiner
Verbrennung her. Die Leiche war eben halb gebraten, als plötzlich
die anderen Bootsleute sich darauf stürzten, Fetzen Fleisch herunter-
rissen und auffrassen. Zur Rede gestellt behaupteten sie, das sei
kein Menschenfleisch, sondern das verbotene Rindfleisch, das von
dem Verstorbenen gegessen allmälig wachsend den ganzen Körper
verzehrt habe; der Genuss schütze sicher vor gleichem Schicksal.
— Von solchen Zauberphantasieen strotzt der siamesische Volks-
glauben.

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[284/0298] Todtenverbrennung. XXI. dachin wölbte sich darüber. Arme und Beine der Leiche werden in den Gelenken gebogen und der Körper zusammengeklappt. Zu- gleich mit dem Scheiterhaufen wurden lose Holzspähne im Sarge entzündet; letzterer, dessen Wände die Bonzen fleissig mit Wasser besprengten, fiel erst nach Verkohlung der Leiche zusammen. Die Leidtragenden warfen brennende Spähne und Kerzen in die Flam- men. Ringsum stand eine Schaar Musikanten: eine schrillende Holzpfeife gab die Melodie, dazu wurden fassartige Pauken, broncene Kessel und horizontal aufgehängte Metallstäbe mit Häm- mern geschlagen, ein grässlicher Lärm. Dichte Volkshaufen drängten sich auf den Höfen; in den Rasthallen sassen die Vornehmeren, ihren Betel kauend, mit starkem Gefolge. Von gemauerten Bühnen wurden Silbermünzen unter das Volk geworfen; seitwärts standen Gerüste mit Feuerwerkskörpern zum Abbrennen bei einbrechender Dunkelheit. Unter jenen Steingebäuden werden nur Vornehme verbrannt; für geringere Leichen stehen in einem angrenzenden Hofe gemauerte Sockel unter freiem Himmel. — Von der Verbrennung eines Mannes aus dem Mittelstande wurde von Augenzeugen Folgendes erzählt. Schaaren von Geiern stürzten sich zunächst auf den Sarg und mussten mit Prügeln vertrieben werden; dann auf die Leiche, die herausgenommen und auf den Holzstoss gelegt war. Der Wächter schnitt Fetzen herunter und warf sie den Hunden zu, denen sie Geier wieder abjagten; dann wurde der Holzstoss angezündet. — Zu welchen Gräueln Gewöhnung und Aberglauben den Menschen führen können, zeigt folgender Vorfall, den Sir Robert Schomburgk dem Gesandteu mittheilte. Ein Bootsmann in seinem Dienst starb nach kurzer Krankheit an Entzündung der Eingeweide; seine Ge- fährten aber schworen, ihm sei heimtückischer Weise ein Stück Rindfleisch beigebracht worden, dessen Genuss dem Buddisten ver- boten ist; daran sei er gestorben. Sir Robert gab Geld zu seiner Verbrennung her. Die Leiche war eben halb gebraten, als plötzlich die anderen Bootsleute sich darauf stürzten, Fetzen Fleisch herunter- rissen und auffrassen. Zur Rede gestellt behaupteten sie, das sei kein Menschenfleisch, sondern das verbotene Rindfleisch, das von dem Verstorbenen gegessen allmälig wachsend den ganzen Körper verzehrt habe; der Genuss schütze sicher vor gleichem Schicksal. — Von solchen Zauberphantasieen strotzt der siamesische Volks- glauben.

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/298>, abgerufen am 22.11.2024.