Ueber die letzten Tage des Tae-pin-Reiches geben die Auf- zeichnungen des Tsun-wan oder Treuen Königs, der an Gesinnung weit über allen seinen Genossen stand, denkwürdige Aufschlüsse. Der Stempel der Wahrhaftigkeit ist ihnen aufgeprägt; das brave, bis zum Tode treue Gemüth redet aus jeder Zeile.
Der Tsun-wan commandirte den Feldzug, welcher im März 1864 die Tae-pin bis Wai-su führte, zog sich, als Tsan-tsu un- haltbar schien, auf Nan-kin zurück, das die Kaiserlichen unter Tsen-kwo-tsun eng eingeschlossen hatten, und gelangte glücklich in die Stadt. Dort fehlte es schon am Nöthigsten. Der Tien-wan, welchen der Treue König zur Flucht zu bereden suchte, erwiederte alle Berichte über die Operationen des Feindes mit erhabenen Sen- tenzen über Himmel und Erde. "Ich habe die Befehle des San-ti und Jesus erhalten, auf die Erde herabzusteigen und das Reich zu lenken. Ich bin der alleinige Herr von zehntausend Völkern; was sollte ich fürchten? Du wirst durchaus nicht um Rath ge- fragt und die Regierung bedarf deiner Aufsicht nicht. Thue was dir beliebt, ob du gehen oder bleiben magst in der Hauptstadt. Mit eiserner Hand halte ich das Reich, die Berge und Ströme, und wenn du mir nicht beistehst, so werden es andere. Du sagst, es seien keine Soldaten da; aber meine Truppen sind zahlreicher als die Ströme. Wie sollte ich den Teufel Tsen fürchten? Fürchtest du den Tod, so wirst du sterben." -- Der Tien-wan begrub sich, nur auf Ceremonien bedacht, in die Tiefen des Harem. Mit der Gefahr wuchs seine despotische Grausamkeit: wer in amtlichen Documenten nicht reichlich den Ausdruck "himmlisch" brauchte, sollte von Pferden in Stücke gerissen werden; wer mit dem Feinde verkehrte, lebendig geschunden und zu Tode gestampft werden. Viele Tae-pin entkamen durch die feindlichen Linien; der Tsun- wan aber blieb seinem Namen treu, obgleich der Tien-wan ihn ganz bei Seite schob und Alles Hun-dzin, dem Kan-wan oder Schildkönig überliess, der eben so feige und grausam war wie er selbst, der seine Person im Felde niemals exponirt hatte, in Nan- kin aber mit wildem Blutdurst zu wüthen pflegte.
Die Noth wuchs mit jedem Tage. Da der Tien-wan streng verboten hatte, die hungernden Bewohner aus der Stadt zu lassen, so bewirkte der Tsun-wan insgeheim die Entfernung von 3000 Frauen und Kindern, welche Tsen-kwo-tsun versorgte. Männer
Ueber die letzten Tage des Tae-piṅ-Reiches geben die Auf- zeichnungen des Tšun-waṅ oder Treuen Königs, der an Gesinnung weit über allen seinen Genossen stand, denkwürdige Aufschlüsse. Der Stempel der Wahrhaftigkeit ist ihnen aufgeprägt; das brave, bis zum Tode treue Gemüth redet aus jeder Zeile.
Der Tšun-waṅ commandirte den Feldzug, welcher im März 1864 die Tae-piṅ bis Wai-su führte, zog sich, als Tšan-tšu un- haltbar schien, auf Nan-kiṅ zurück, das die Kaiserlichen unter Tseṅ-kwo-tsun eng eingeschlossen hatten, und gelangte glücklich in die Stadt. Dort fehlte es schon am Nöthigsten. Der Tien-waṅ, welchen der Treue König zur Flucht zu bereden suchte, erwiederte alle Berichte über die Operationen des Feindes mit erhabenen Sen- tenzen über Himmel und Erde. »Ich habe die Befehle des Šan-ti und Jesus erhalten, auf die Erde herabzusteigen und das Reich zu lenken. Ich bin der alleinige Herr von zehntausend Völkern; was sollte ich fürchten? Du wirst durchaus nicht um Rath ge- fragt und die Regierung bedarf deiner Aufsicht nicht. Thue was dir beliebt, ob du gehen oder bleiben magst in der Hauptstadt. Mit eiserner Hand halte ich das Reich, die Berge und Ströme, und wenn du mir nicht beistehst, so werden es andere. Du sagst, es seien keine Soldaten da; aber meine Truppen sind zahlreicher als die Ströme. Wie sollte ich den Teufel Tseṅ fürchten? Fürchtest du den Tod, so wirst du sterben.« — Der Tien-waṅ begrub sich, nur auf Ceremonien bedacht, in die Tiefen des Harem. Mit der Gefahr wuchs seine despotische Grausamkeit: wer in amtlichen Documenten nicht reichlich den Ausdruck »himmlisch« brauchte, sollte von Pferden in Stücke gerissen werden; wer mit dem Feinde verkehrte, lebendig geschunden und zu Tode gestampft werden. Viele Tae-piṅ entkamen durch die feindlichen Linien; der Tšun- waṅ aber blieb seinem Namen treu, obgleich der Tien-waṅ ihn ganz bei Seite schob und Alles Huṅ-džin, dem Kan-waṅ oder Schildkönig überliess, der eben so feige und grausam war wie er selbst, der seine Person im Felde niemals exponirt hatte, in Nan- kiṅ aber mit wildem Blutdurst zu wüthen pflegte.
Die Noth wuchs mit jedem Tage. Da der Tien-waṅ streng verboten hatte, die hungernden Bewohner aus der Stadt zu lassen, so bewirkte der Tšun-waṅ insgeheim die Entfernung von 3000 Frauen und Kindern, welche Tseṅ-kwo-tsun versorgte. Männer
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Anh. IV. Der Tšun-waṅ in Nan-kiṅ.
Ueber die letzten Tage des Tae-piṅ-Reiches geben die Auf-
zeichnungen des Tšun-waṅ oder Treuen Königs, der an Gesinnung
weit über allen seinen Genossen stand, denkwürdige Aufschlüsse.
Der Stempel der Wahrhaftigkeit ist ihnen aufgeprägt; das brave,
bis zum Tode treue Gemüth redet aus jeder Zeile.
Der Tšun-waṅ commandirte den Feldzug, welcher im März
1864 die Tae-piṅ bis Wai-su führte, zog sich, als Tšan-tšu un-
haltbar schien, auf Nan-kiṅ zurück, das die Kaiserlichen unter
Tseṅ-kwo-tsun eng eingeschlossen hatten, und gelangte glücklich
in die Stadt. Dort fehlte es schon am Nöthigsten. Der Tien-waṅ,
welchen der Treue König zur Flucht zu bereden suchte, erwiederte
alle Berichte über die Operationen des Feindes mit erhabenen Sen-
tenzen über Himmel und Erde. »Ich habe die Befehle des Šan-ti
und Jesus erhalten, auf die Erde herabzusteigen und das Reich
zu lenken. Ich bin der alleinige Herr von zehntausend Völkern;
was sollte ich fürchten? Du wirst durchaus nicht um Rath ge-
fragt und die Regierung bedarf deiner Aufsicht nicht. Thue was
dir beliebt, ob du gehen oder bleiben magst in der Hauptstadt.
Mit eiserner Hand halte ich das Reich, die Berge und Ströme, und
wenn du mir nicht beistehst, so werden es andere. Du sagst, es
seien keine Soldaten da; aber meine Truppen sind zahlreicher als
die Ströme. Wie sollte ich den Teufel Tseṅ fürchten? Fürchtest
du den Tod, so wirst du sterben.« — Der Tien-waṅ begrub sich,
nur auf Ceremonien bedacht, in die Tiefen des Harem. Mit der
Gefahr wuchs seine despotische Grausamkeit: wer in amtlichen
Documenten nicht reichlich den Ausdruck »himmlisch« brauchte,
sollte von Pferden in Stücke gerissen werden; wer mit dem Feinde
verkehrte, lebendig geschunden und zu Tode gestampft werden.
Viele Tae-piṅ entkamen durch die feindlichen Linien; der Tšun-
waṅ aber blieb seinem Namen treu, obgleich der Tien-waṅ ihn
ganz bei Seite schob und Alles Huṅ-džin, dem Kan-waṅ oder
Schildkönig überliess, der eben so feige und grausam war wie er
selbst, der seine Person im Felde niemals exponirt hatte, in Nan-
kiṅ aber mit wildem Blutdurst zu wüthen pflegte.
Die Noth wuchs mit jedem Tage. Da der Tien-waṅ streng
verboten hatte, die hungernden Bewohner aus der Stadt zu lassen,
so bewirkte der Tšun-waṅ insgeheim die Entfernung von 3000
Frauen und Kindern, welche Tseṅ-kwo-tsun versorgte. Männer
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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/441>, abgerufen am 22.11.2024.
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