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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Die Wettertanne.
Alpweide kein schirmendes Plätzchen zu finden ist, sucht das Vieh
instinktmäßig die Wettertannen auf und lagert behaglich im kühlen¬
den erfrischenden Schatten derselben. Diesem Doppeldienst, bei
gutem und schlimmem Wetter, verdankt sie wahrscheinlich ihren Na¬
men ebenso sehr als ihrem Aussehen.

Steht nun ein solcher Bergveteran droben auf der Paßhöhe
oder auf dem Scheitel einer Alpstaffel, oder dort, wo sich die Pfade
kreuzen, als weithin sichtbares Wegzeichen, dann trifft sichs schon,
daß sie zur zweiten Arche Noah wird; schnaufende Wanderer mit
großen Alpenstöcken, schwitzende Lastträger, naturschwelgende Tou¬
ristinnen mit großen Strohhüten und aufgelöstem Lockenhaar, be¬
packte Saumrosse und deren Führer rasten, allen Unterschied der
Stände vergessend, mitten unter der hier Siesta haltenden Kuh¬
heerde, -- ein uridyllisches Genrebild. Ja, wenns rundum so
brennend sonnengelb auf der ausgebreiteten, herrlichen Landschaft
lagert und die Gebirgsprospekte mit bläulich schimmerndem Duft¬
schleier überzogen sind, wenn Mücken, Käfer, Bienen und anderes
fliegende kleine Gesindel in belästigender Zudringlichkeit wonne¬
trunken umhersurrt und die vor Hitze zitternde Luft kein leiser
Windhauch bewegt, dann liegt sichs paradiesisch wohlig im Schat¬
ten der gastlichen Wettertanne; --

-- -- des dichten Mooses
Sanft nachgiebige Schwellung ist so ruhlich.
Möge hier mich holder Schlummer beschleichen,
Mir die Schlüssel zu meinen Schätzen stehlen
Und die Waffen entwenden, meines Zornes,
Daß die Seele, rings nach Außen vergessend
Sich in ihre Tiefen hinein erinnere.
    (Lenau.)

B'hüt euch Gott ihr lieben schönen Wettertannen.


Die Wettertanne.
Alpweide kein ſchirmendes Plätzchen zu finden iſt, ſucht das Vieh
inſtinktmäßig die Wettertannen auf und lagert behaglich im kühlen¬
den erfriſchenden Schatten derſelben. Dieſem Doppeldienſt, bei
gutem und ſchlimmem Wetter, verdankt ſie wahrſcheinlich ihren Na¬
men ebenſo ſehr als ihrem Ausſehen.

Steht nun ein ſolcher Bergveteran droben auf der Paßhöhe
oder auf dem Scheitel einer Alpſtaffel, oder dort, wo ſich die Pfade
kreuzen, als weithin ſichtbares Wegzeichen, dann trifft ſichs ſchon,
daß ſie zur zweiten Arche Noah wird; ſchnaufende Wanderer mit
großen Alpenſtöcken, ſchwitzende Laſtträger, naturſchwelgende Tou¬
riſtinnen mit großen Strohhüten und aufgelöſtem Lockenhaar, be¬
packte Saumroſſe und deren Führer raſten, allen Unterſchied der
Stände vergeſſend, mitten unter der hier Sieſta haltenden Kuh¬
heerde, — ein uridylliſches Genrebild. Ja, wenns rundum ſo
brennend ſonnengelb auf der ausgebreiteten, herrlichen Landſchaft
lagert und die Gebirgsproſpekte mit bläulich ſchimmerndem Duft¬
ſchleier überzogen ſind, wenn Mücken, Käfer, Bienen und anderes
fliegende kleine Geſindel in beläſtigender Zudringlichkeit wonne¬
trunken umherſurrt und die vor Hitze zitternde Luft kein leiſer
Windhauch bewegt, dann liegt ſichs paradieſiſch wohlig im Schat¬
ten der gaſtlichen Wettertanne; —

— — des dichten Mooſes
Sanft nachgiebige Schwellung iſt ſo ruhlich.
Möge hier mich holder Schlummer beſchleichen,
Mir die Schlüſſel zu meinen Schätzen ſtehlen
Und die Waffen entwenden, meines Zornes,
Daß die Seele, rings nach Außen vergeſſend
Sich in ihre Tiefen hinein erinnere.
    (Lenau.)

B'hüt euch Gott ihr lieben ſchönen Wettertannen.


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[88/0112] Die Wettertanne. Alpweide kein ſchirmendes Plätzchen zu finden iſt, ſucht das Vieh inſtinktmäßig die Wettertannen auf und lagert behaglich im kühlen¬ den erfriſchenden Schatten derſelben. Dieſem Doppeldienſt, bei gutem und ſchlimmem Wetter, verdankt ſie wahrſcheinlich ihren Na¬ men ebenſo ſehr als ihrem Ausſehen. Steht nun ein ſolcher Bergveteran droben auf der Paßhöhe oder auf dem Scheitel einer Alpſtaffel, oder dort, wo ſich die Pfade kreuzen, als weithin ſichtbares Wegzeichen, dann trifft ſichs ſchon, daß ſie zur zweiten Arche Noah wird; ſchnaufende Wanderer mit großen Alpenſtöcken, ſchwitzende Laſtträger, naturſchwelgende Tou¬ riſtinnen mit großen Strohhüten und aufgelöſtem Lockenhaar, be¬ packte Saumroſſe und deren Führer raſten, allen Unterſchied der Stände vergeſſend, mitten unter der hier Sieſta haltenden Kuh¬ heerde, — ein uridylliſches Genrebild. Ja, wenns rundum ſo brennend ſonnengelb auf der ausgebreiteten, herrlichen Landſchaft lagert und die Gebirgsproſpekte mit bläulich ſchimmerndem Duft¬ ſchleier überzogen ſind, wenn Mücken, Käfer, Bienen und anderes fliegende kleine Geſindel in beläſtigender Zudringlichkeit wonne¬ trunken umherſurrt und die vor Hitze zitternde Luft kein leiſer Windhauch bewegt, dann liegt ſichs paradieſiſch wohlig im Schat¬ ten der gaſtlichen Wettertanne; — — — des dichten Mooſes Sanft nachgiebige Schwellung iſt ſo ruhlich. Möge hier mich holder Schlummer beſchleichen, Mir die Schlüſſel zu meinen Schätzen ſtehlen Und die Waffen entwenden, meines Zornes, Daß die Seele, rings nach Außen vergeſſend Sich in ihre Tiefen hinein erinnere. (Lenau.) B'hüt euch Gott ihr lieben ſchönen Wettertannen.

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/112>, abgerufen am 21.11.2024.