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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Die Wettertanne.
dem Samen geschlossener, also geschützter, Waldmassen des Flach¬
landes gezogen wurden, sich zu so hartlebigen Trutztannen hier
oben in der Nähe des permanenten Winters ausbilden, überhaupt
in diesen sturmumbrausten Höhen sich akklimatisiren könnten. Die
Alpen-Forstmänner bezweifeln es; sie halten den im Flachlande ge¬
wonnenen Waldsamen für zu verweichlicht. Es geht der Pflanze
wie dem Menschen; im Fleisch und Blut muß sie beim Volke
stecken, die Spartaner-Natur, durch Generationen hindurch muß sie
sich selbsthelfend gestählt haben, wenn sie nicht zur leidigen
Parodie herabsinken soll. -- Bezüglich des Samens benutzt
man dagegen sehr gern den von den Hochlandstannen für Forst¬
saaten im Tieflande, sowie ja auch die Getreidearten, welche in
hoher Lage wuchsen, sehr gern zum Saatkorn für tiefere Gegenden
benutzt werden.

So borstig und brummig solch eine Wettertanne nun auch
drein schaut, als ob sie mit allen anderen Bäumen in Haß und
Hader lebte und deshalb in diese Einsamkeit sich zurückgezogen
habe, -- so sehr sie das leibhafte Ebenbild eines alten, zerhaue¬
nen, narbenbedeckten Kriegers ist, der hundertmal mit dem Tode
auf der Mensur, doch immer wieder sich frei kämpfte, -- ein so
zuthunlicher, gastfreundschaftlicher Baum ist sie. Gerade wie man
unter den alten Haudegen und Eisenfressern die gemüthreichsten und
herzlichsten Kumpane findet, so auch bei diesen unter tausend Ge¬
fahren und Nöthen grau gewordenen Bauminvaliden. Sie ist ein
Obdach und Asyl gewährendes, von der Natur errichtetes Hospi¬
tium, unter dessen Schutz sich das weidende Vieh flüchtet, wenn
plötzlich schwarze Unwetter daherbrausen, Regenwolken strömend sich
entleeren oder Hagelladungen in dichten Massen herniederschmettern.
Freilich fielen dann schon oft die schönsten Häupter einer Alpen¬
heerde unter solch einem Baume dem Gewitter zum Opfer, wenn
der Blitz einschlug. Aber auch im sengenden Hochsommer, wenn
die Sonne beinahe im Zenith steht und auf der ganzen großen

Die Wettertanne.
dem Samen geſchloſſener, alſo geſchützter, Waldmaſſen des Flach¬
landes gezogen wurden, ſich zu ſo hartlebigen Trutztannen hier
oben in der Nähe des permanenten Winters ausbilden, überhaupt
in dieſen ſturmumbrauſten Höhen ſich akklimatiſiren könnten. Die
Alpen-Forſtmänner bezweifeln es; ſie halten den im Flachlande ge¬
wonnenen Waldſamen für zu verweichlicht. Es geht der Pflanze
wie dem Menſchen; im Fleiſch und Blut muß ſie beim Volke
ſtecken, die Spartaner-Natur, durch Generationen hindurch muß ſie
ſich ſelbſthelfend geſtählt haben, wenn ſie nicht zur leidigen
Parodie herabſinken ſoll. — Bezüglich des Samens benutzt
man dagegen ſehr gern den von den Hochlandstannen für Forſt¬
ſaaten im Tieflande, ſowie ja auch die Getreidearten, welche in
hoher Lage wuchſen, ſehr gern zum Saatkorn für tiefere Gegenden
benutzt werden.

So borſtig und brummig ſolch eine Wettertanne nun auch
drein ſchaut, als ob ſie mit allen anderen Bäumen in Haß und
Hader lebte und deshalb in dieſe Einſamkeit ſich zurückgezogen
habe, — ſo ſehr ſie das leibhafte Ebenbild eines alten, zerhaue¬
nen, narbenbedeckten Kriegers iſt, der hundertmal mit dem Tode
auf der Menſur, doch immer wieder ſich frei kämpfte, — ein ſo
zuthunlicher, gaſtfreundſchaftlicher Baum iſt ſie. Gerade wie man
unter den alten Haudegen und Eiſenfreſſern die gemüthreichſten und
herzlichſten Kumpane findet, ſo auch bei dieſen unter tauſend Ge¬
fahren und Nöthen grau gewordenen Bauminvaliden. Sie iſt ein
Obdach und Aſyl gewährendes, von der Natur errichtetes Hospi¬
tium, unter deſſen Schutz ſich das weidende Vieh flüchtet, wenn
plötzlich ſchwarze Unwetter daherbrauſen, Regenwolken ſtrömend ſich
entleeren oder Hagelladungen in dichten Maſſen herniederſchmettern.
Freilich fielen dann ſchon oft die ſchönſten Häupter einer Alpen¬
heerde unter ſolch einem Baume dem Gewitter zum Opfer, wenn
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[87/0111] Die Wettertanne. dem Samen geſchloſſener, alſo geſchützter, Waldmaſſen des Flach¬ landes gezogen wurden, ſich zu ſo hartlebigen Trutztannen hier oben in der Nähe des permanenten Winters ausbilden, überhaupt in dieſen ſturmumbrauſten Höhen ſich akklimatiſiren könnten. Die Alpen-Forſtmänner bezweifeln es; ſie halten den im Flachlande ge¬ wonnenen Waldſamen für zu verweichlicht. Es geht der Pflanze wie dem Menſchen; im Fleiſch und Blut muß ſie beim Volke ſtecken, die Spartaner-Natur, durch Generationen hindurch muß ſie ſich ſelbſthelfend geſtählt haben, wenn ſie nicht zur leidigen Parodie herabſinken ſoll. — Bezüglich des Samens benutzt man dagegen ſehr gern den von den Hochlandstannen für Forſt¬ ſaaten im Tieflande, ſowie ja auch die Getreidearten, welche in hoher Lage wuchſen, ſehr gern zum Saatkorn für tiefere Gegenden benutzt werden. So borſtig und brummig ſolch eine Wettertanne nun auch drein ſchaut, als ob ſie mit allen anderen Bäumen in Haß und Hader lebte und deshalb in dieſe Einſamkeit ſich zurückgezogen habe, — ſo ſehr ſie das leibhafte Ebenbild eines alten, zerhaue¬ nen, narbenbedeckten Kriegers iſt, der hundertmal mit dem Tode auf der Menſur, doch immer wieder ſich frei kämpfte, — ein ſo zuthunlicher, gaſtfreundſchaftlicher Baum iſt ſie. Gerade wie man unter den alten Haudegen und Eiſenfreſſern die gemüthreichſten und herzlichſten Kumpane findet, ſo auch bei dieſen unter tauſend Ge¬ fahren und Nöthen grau gewordenen Bauminvaliden. Sie iſt ein Obdach und Aſyl gewährendes, von der Natur errichtetes Hospi¬ tium, unter deſſen Schutz ſich das weidende Vieh flüchtet, wenn plötzlich ſchwarze Unwetter daherbrauſen, Regenwolken ſtrömend ſich entleeren oder Hagelladungen in dichten Maſſen herniederſchmettern. Freilich fielen dann ſchon oft die ſchönſten Häupter einer Alpen¬ heerde unter ſolch einem Baume dem Gewitter zum Opfer, wenn der Blitz einſchlug. Aber auch im ſengenden Hochſommer, wenn die Sonne beinahe im Zenith ſteht und auf der ganzen großen

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/111>, abgerufen am 21.11.2024.