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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Die Wettertanne.
fen, mit den daran hangenden Bartflechten, den Eindruck des Ge¬
sammtbildes nur noch um so wilder stimmen. Die Ursache dieser
merkwürdigen Astbildung ist in vielen Umständen zu suchen. Ent¬
weder tritt die sogenannte "Trockniß", eine Baumkrankheit, ein,
welche die eigentliche Astspitze ausdörrt, so daß dann die Haupt¬
triebkraft in die Seitenäste tritt und einer derselben sich so ent¬
wickelt, daß er die anderen überholt und, lokal durch seine Nach¬
barn behindert, kerzengerade emporstrebt; -- oder das weidende
Vieh, namentlich Ziegen, in ihrer leidenschaftlichen Naschbegierde,
nagen, soweit sie an der jungen Tanne hinaufreichen können, die
äußersten Schößlinge ab, und der Ast, in seiner natürlichen Ent¬
wickelungsaufgabe gehemmt, sucht einen anderen Ausweg nach
Oben; -- oder Schnee und Sturm drücken die Endzacke des
Zweiges ab, oder der Blitz schlägt sie weg, -- genug, Beraubung,
Verstümmelung sind die Veranlassung, nicht nur des abnormen Ast¬
baues, sondern auch der buschigen, dichtstruppigen Nadelbelaubung.
Weiter unten im geschützten Walde trifft man keine so verwitter¬
ten ausgearteten Tannen.

Ein kolossales Exemplar, dreigipfelig wie eine zum Schwur
aufgehobene Hand, steht in den Valzeiner Alpen (am Eingang ins
Prätigau, Graubünden), dessen Stamm in Stockhöhe (41/2 Fuß über
der Erde) sieben Fuß im Durchmesser hat.

Das Alter der meisten ist schwer zu bestimmen, indem die
eigentlichen Veteranen oft kernfaul werden und somit die Zahl der
Jahresringe nicht zu bestimmen ist. Ueberdies werden höchst selten
Wettertannen absichtlich gefällt, da sie für die Alpenwirthschaft sehr
nützlich und ein treffliches Mittel gegen Lauinenbildung sind. Be¬
denkt man, wie auffallend langsam die Bäume in der Gebirgshöhe,
selbst bei geschützter Lage wachsen, so kann man sicher annehmen,
daß es viele 300jährige Wettertannen giebt.

Man hat schon oft die Frage aufgeworfen, ob Pflänzlinge
sorgsam gepflegter Forst-Baumschulen, namentlich solcher, die aus

Die Wettertanne.
fen, mit den daran hangenden Bartflechten, den Eindruck des Ge¬
ſammtbildes nur noch um ſo wilder ſtimmen. Die Urſache dieſer
merkwürdigen Aſtbildung iſt in vielen Umſtänden zu ſuchen. Ent¬
weder tritt die ſogenannte „Trockniß“, eine Baumkrankheit, ein,
welche die eigentliche Aſtſpitze ausdörrt, ſo daß dann die Haupt¬
triebkraft in die Seitenäſte tritt und einer derſelben ſich ſo ent¬
wickelt, daß er die anderen überholt und, lokal durch ſeine Nach¬
barn behindert, kerzengerade emporſtrebt; — oder das weidende
Vieh, namentlich Ziegen, in ihrer leidenſchaftlichen Naſchbegierde,
nagen, ſoweit ſie an der jungen Tanne hinaufreichen können, die
äußerſten Schößlinge ab, und der Aſt, in ſeiner natürlichen Ent¬
wickelungsaufgabe gehemmt, ſucht einen anderen Ausweg nach
Oben; — oder Schnee und Sturm drücken die Endzacke des
Zweiges ab, oder der Blitz ſchlägt ſie weg, — genug, Beraubung,
Verſtümmelung ſind die Veranlaſſung, nicht nur des abnormen Aſt¬
baues, ſondern auch der buſchigen, dichtſtruppigen Nadelbelaubung.
Weiter unten im geſchützten Walde trifft man keine ſo verwitter¬
ten ausgearteten Tannen.

Ein koloſſales Exemplar, dreigipfelig wie eine zum Schwur
aufgehobene Hand, ſteht in den Valzeiner Alpen (am Eingang ins
Prätigau, Graubünden), deſſen Stamm in Stockhöhe (4½ Fuß über
der Erde) ſieben Fuß im Durchmeſſer hat.

Das Alter der meiſten iſt ſchwer zu beſtimmen, indem die
eigentlichen Veteranen oft kernfaul werden und ſomit die Zahl der
Jahresringe nicht zu beſtimmen iſt. Ueberdies werden höchſt ſelten
Wettertannen abſichtlich gefällt, da ſie für die Alpenwirthſchaft ſehr
nützlich und ein treffliches Mittel gegen Lauinenbildung ſind. Be¬
denkt man, wie auffallend langſam die Bäume in der Gebirgshöhe,
ſelbſt bei geſchützter Lage wachſen, ſo kann man ſicher annehmen,
daß es viele 300jährige Wettertannen giebt.

Man hat ſchon oft die Frage aufgeworfen, ob Pflänzlinge
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[86/0110] Die Wettertanne. fen, mit den daran hangenden Bartflechten, den Eindruck des Ge¬ ſammtbildes nur noch um ſo wilder ſtimmen. Die Urſache dieſer merkwürdigen Aſtbildung iſt in vielen Umſtänden zu ſuchen. Ent¬ weder tritt die ſogenannte „Trockniß“, eine Baumkrankheit, ein, welche die eigentliche Aſtſpitze ausdörrt, ſo daß dann die Haupt¬ triebkraft in die Seitenäſte tritt und einer derſelben ſich ſo ent¬ wickelt, daß er die anderen überholt und, lokal durch ſeine Nach¬ barn behindert, kerzengerade emporſtrebt; — oder das weidende Vieh, namentlich Ziegen, in ihrer leidenſchaftlichen Naſchbegierde, nagen, ſoweit ſie an der jungen Tanne hinaufreichen können, die äußerſten Schößlinge ab, und der Aſt, in ſeiner natürlichen Ent¬ wickelungsaufgabe gehemmt, ſucht einen anderen Ausweg nach Oben; — oder Schnee und Sturm drücken die Endzacke des Zweiges ab, oder der Blitz ſchlägt ſie weg, — genug, Beraubung, Verſtümmelung ſind die Veranlaſſung, nicht nur des abnormen Aſt¬ baues, ſondern auch der buſchigen, dichtſtruppigen Nadelbelaubung. Weiter unten im geſchützten Walde trifft man keine ſo verwitter¬ ten ausgearteten Tannen. Ein koloſſales Exemplar, dreigipfelig wie eine zum Schwur aufgehobene Hand, ſteht in den Valzeiner Alpen (am Eingang ins Prätigau, Graubünden), deſſen Stamm in Stockhöhe (4½ Fuß über der Erde) ſieben Fuß im Durchmeſſer hat. Das Alter der meiſten iſt ſchwer zu beſtimmen, indem die eigentlichen Veteranen oft kernfaul werden und ſomit die Zahl der Jahresringe nicht zu beſtimmen iſt. Ueberdies werden höchſt ſelten Wettertannen abſichtlich gefällt, da ſie für die Alpenwirthſchaft ſehr nützlich und ein treffliches Mittel gegen Lauinenbildung ſind. Be¬ denkt man, wie auffallend langſam die Bäume in der Gebirgshöhe, ſelbſt bei geſchützter Lage wachſen, ſo kann man ſicher annehmen, daß es viele 300jährige Wettertannen giebt. Man hat ſchon oft die Frage aufgeworfen, ob Pflänzlinge ſorgſam gepflegter Forſt-Baumſchulen, namentlich ſolcher, die aus

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/110>, abgerufen am 21.11.2024.