Je nachdem der Stamm mehr in gestreckter Linie mit hoch und kräftig sich emporrichtender Krone, -- oder gewunden, knorrig¬ verdreht, mit nur kurzen, dicht struppigen Gipfelausläufern am Bo¬ den hinkriecht, unterscheidet man die Legföhre in die schlankere Pinus pumilio als die, mehr in tieferer Lage vorkommende, und in die sehr verkrüppelte Pinus mughus, welche bis fast gegen die Schneegränze hinansteigt und den Kalkboden dem der granitischen Gesteine vorzieht. Da die ursprüngliche Aststellung der Kiefer büschelförmig ist, so durchflechten, umranken und verweben sich auch die Aeste und Zweige der Legföhre in ihrem engen, beschränkten Raume auf eine so unlösbare Weise, wie es in der Schling¬ pflanzenwelt nicht bunter durcheinander vorkommen kann. Solch einen Weichselzopf von Legföhrenästen zu entwirren, dürfte den her¬ kulischen Aufgaben beizuzählen sein. Dieser niedergedrückte, horizon¬ tale Wuchs wird zunächst dadurch veranlaßt, daß hier oben sieben bis acht Monate lang ein strenger Winter herrscht, der mit enormen Schneelasten tyrannisch seinen Fuß auf den Nacken dieser Pflanze setzt und sie nur in der kurzen Sommerpause aufathmen läßt. Die außerordentliche Geschmeidigkeit und Elastizität der schlanken, höch¬ stens 2 bis 3 Zoll im Durchmesser erreichenden Stämme, bequemt diese dem bedeutenden Drucke leicht an. Dazu kommt die Ab¬ schüssigkeit des Terrains, auf welchem die Legföhren am liebsten wachsen. Je steiler dasselbe ist, desto gepreßter liegt die Krumm¬ holzkiefer. Da, wo der Boden minder geneigt ist, richten sich die Stämme leichter auf und erreichen bisweilen eine vertikale Höhe von 15 Fuß.
Am seltsamsten gestalten sich die Stämme, wo sie über her¬ vorragende, nach Innen sich abwölbende Felsenstirnen hinauswach¬ sen. Da machen sie dann von der erlangten Souveränetät in wahrhaft seltsamen Formen Gebrauch, bohren in Spiralwindungen allerhand Arabesken in die Lüfte freiragend hinaus und hängen weitarmig, als schwebende Bäume, über gräulichen Abgründen.
Legföhren.
Je nachdem der Stamm mehr in geſtreckter Linie mit hoch und kräftig ſich emporrichtender Krone, — oder gewunden, knorrig¬ verdreht, mit nur kurzen, dicht ſtruppigen Gipfelausläufern am Bo¬ den hinkriecht, unterſcheidet man die Legföhre in die ſchlankere Pinus pumilio als die, mehr in tieferer Lage vorkommende, und in die ſehr verkrüppelte Pinus mughus, welche bis faſt gegen die Schneegränze hinanſteigt und den Kalkboden dem der granitiſchen Geſteine vorzieht. Da die urſprüngliche Aſtſtellung der Kiefer büſchelförmig iſt, ſo durchflechten, umranken und verweben ſich auch die Aeſte und Zweige der Legföhre in ihrem engen, beſchränkten Raume auf eine ſo unlösbare Weiſe, wie es in der Schling¬ pflanzenwelt nicht bunter durcheinander vorkommen kann. Solch einen Weichſelzopf von Legföhrenäſten zu entwirren, dürfte den her¬ kuliſchen Aufgaben beizuzählen ſein. Dieſer niedergedrückte, horizon¬ tale Wuchs wird zunächſt dadurch veranlaßt, daß hier oben ſieben bis acht Monate lang ein ſtrenger Winter herrſcht, der mit enormen Schneelaſten tyranniſch ſeinen Fuß auf den Nacken dieſer Pflanze ſetzt und ſie nur in der kurzen Sommerpauſe aufathmen läßt. Die außerordentliche Geſchmeidigkeit und Elaſtizität der ſchlanken, höch¬ ſtens 2 bis 3 Zoll im Durchmeſſer erreichenden Stämme, bequemt dieſe dem bedeutenden Drucke leicht an. Dazu kommt die Ab¬ ſchüſſigkeit des Terrains, auf welchem die Legföhren am liebſten wachſen. Je ſteiler daſſelbe iſt, deſto gepreßter liegt die Krumm¬ holzkiefer. Da, wo der Boden minder geneigt iſt, richten ſich die Stämme leichter auf und erreichen bisweilen eine vertikale Höhe von 15 Fuß.
Am ſeltſamſten geſtalten ſich die Stämme, wo ſie über her¬ vorragende, nach Innen ſich abwölbende Felſenſtirnen hinauswach¬ ſen. Da machen ſie dann von der erlangten Souveränetät in wahrhaft ſeltſamen Formen Gebrauch, bohren in Spiralwindungen allerhand Arabesken in die Lüfte freiragend hinaus und hängen weitarmig, als ſchwebende Bäume, über gräulichen Abgründen.
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Legföhren.
Je nachdem der Stamm mehr in geſtreckter Linie mit hoch
und kräftig ſich emporrichtender Krone, — oder gewunden, knorrig¬
verdreht, mit nur kurzen, dicht ſtruppigen Gipfelausläufern am Bo¬
den hinkriecht, unterſcheidet man die Legföhre in die ſchlankere
Pinus pumilio als die, mehr in tieferer Lage vorkommende, und
in die ſehr verkrüppelte Pinus mughus, welche bis faſt gegen die
Schneegränze hinanſteigt und den Kalkboden dem der granitiſchen
Geſteine vorzieht. Da die urſprüngliche Aſtſtellung der Kiefer
büſchelförmig iſt, ſo durchflechten, umranken und verweben ſich auch
die Aeſte und Zweige der Legföhre in ihrem engen, beſchränkten
Raume auf eine ſo unlösbare Weiſe, wie es in der Schling¬
pflanzenwelt nicht bunter durcheinander vorkommen kann. Solch
einen Weichſelzopf von Legföhrenäſten zu entwirren, dürfte den her¬
kuliſchen Aufgaben beizuzählen ſein. Dieſer niedergedrückte, horizon¬
tale Wuchs wird zunächſt dadurch veranlaßt, daß hier oben ſieben
bis acht Monate lang ein ſtrenger Winter herrſcht, der mit enormen
Schneelaſten tyranniſch ſeinen Fuß auf den Nacken dieſer Pflanze
ſetzt und ſie nur in der kurzen Sommerpauſe aufathmen läßt. Die
außerordentliche Geſchmeidigkeit und Elaſtizität der ſchlanken, höch¬
ſtens 2 bis 3 Zoll im Durchmeſſer erreichenden Stämme, bequemt
dieſe dem bedeutenden Drucke leicht an. Dazu kommt die Ab¬
ſchüſſigkeit des Terrains, auf welchem die Legföhren am liebſten
wachſen. Je ſteiler daſſelbe iſt, deſto gepreßter liegt die Krumm¬
holzkiefer. Da, wo der Boden minder geneigt iſt, richten ſich die
Stämme leichter auf und erreichen bisweilen eine vertikale Höhe
von 15 Fuß.
Am ſeltſamſten geſtalten ſich die Stämme, wo ſie über her¬
vorragende, nach Innen ſich abwölbende Felſenſtirnen hinauswach¬
ſen. Da machen ſie dann von der erlangten Souveränetät in
wahrhaft ſeltſamen Formen Gebrauch, bohren in Spiralwindungen
allerhand Arabesken in die Lüfte freiragend hinaus und hängen
weitarmig, als ſchwebende Bäume, über gräulichen Abgründen.
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/118>, abgerufen am 21.11.2024.
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