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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Alpenrose.
"Meitschi" am ganzen See. So viel Freier sie hatte, so wenig
schien ihr einer derselben vornehm genug, um ihm die Hand für
Lebenszeit zu reichen. Unter diesen war auch Einer mit treuem, red¬
lichem Herzen in unendlicher Liebe ihr zugethan; aber Eisi (Elisa¬
beth) verwarf ihn wie die anderen und ließ ihn nur am Narren¬
seile trotten. Einstmals, am Aelpler Sonntage Abends, als der
Bursch das Mädchen mit Wein regalirte, schien sie seinen Be¬
theuerungen Gehör schenken zu wollen und sagte: sie sei entschlossen,
sein Weib zu werden, wenn er ihr von jener berüchtigten Felsenspitze
Fluhblüemli holen wolle. Statt zurückzuschrecken, ging Johannes
freudig auf den Vorschlag ein, denn er war ein verwegener Klette¬
rer. Schon mit dem nächsten Morgengrauen eilte er durch die
Allment am Geribach zur wilden Fluh hinauf. Wie ein Eichkätz¬
chen "chräsmete" er an den glatten Wänden umher; -- die
schmalste Ritze, der unbedeutendste Vorsprung mußte ihm dienen,
krampfhaft mit Zehen und Fingern sich einzuklammern. Schon
war das schwere Werk fast gelungen, schon sieht er die Spitze nah
ob seinem Haupte, und Triumph! schon hat er die erste, -- die
zweite, -- die dritte Preisblume gepflückt, da bröckelt ein Stein
los, er verliert das Gleichgewicht und, -- in der nächsten Minute
liegt der arme Tropf grausam zerfallen, zu Tode gestürzt am Fuße
der Fluhwand. Wenige Stunden später geht Eisi fröhlich singend
am Felsen vorüber. -- Ein Blick! -- ein Schrei! -- und ohnmächtig
zusammengesunken liegt sie neben Dem, den ihr Hochmuth in
jähen Tod getrieben. Die errungenen Blumen hielt der treue
Bursch noch in seiner Hand. Gram und Irrsinn brachen Elsi's
Herz.

U--n--a der Flueh, wo Hans isch g'lege,
Wachst us sym Bluet e Blueme--n--uf;
D'Alprose, wie 're d'Lüt jetz säge.
Ihr Meitleni get Achtig druf!
Die Bluemi dra sy roth wie Bluet
U stah im dunkle Laub gar guet.

Alpenroſe.
„Meitſchi“ am ganzen See. So viel Freier ſie hatte, ſo wenig
ſchien ihr einer derſelben vornehm genug, um ihm die Hand für
Lebenszeit zu reichen. Unter dieſen war auch Einer mit treuem, red¬
lichem Herzen in unendlicher Liebe ihr zugethan; aber Eiſi (Eliſa¬
beth) verwarf ihn wie die anderen und ließ ihn nur am Narren¬
ſeile trotten. Einſtmals, am Aelpler Sonntage Abends, als der
Burſch das Mädchen mit Wein regalirte, ſchien ſie ſeinen Be¬
theuerungen Gehör ſchenken zu wollen und ſagte: ſie ſei entſchloſſen,
ſein Weib zu werden, wenn er ihr von jener berüchtigten Felſenſpitze
Fluhblüemli holen wolle. Statt zurückzuſchrecken, ging Johannes
freudig auf den Vorſchlag ein, denn er war ein verwegener Klette¬
rer. Schon mit dem nächſten Morgengrauen eilte er durch die
Allment am Geribach zur wilden Fluh hinauf. Wie ein Eichkätz¬
chen „chräsmete“ er an den glatten Wänden umher; — die
ſchmalſte Ritze, der unbedeutendſte Vorſprung mußte ihm dienen,
krampfhaft mit Zehen und Fingern ſich einzuklammern. Schon
war das ſchwere Werk faſt gelungen, ſchon ſieht er die Spitze nah
ob ſeinem Haupte, und Triumph! ſchon hat er die erſte, — die
zweite, — die dritte Preisblume gepflückt, da bröckelt ein Stein
los, er verliert das Gleichgewicht und, — in der nächſten Minute
liegt der arme Tropf grauſam zerfallen, zu Tode geſtürzt am Fuße
der Fluhwand. Wenige Stunden ſpäter geht Eiſi fröhlich ſingend
am Felſen vorüber. — Ein Blick! — ein Schrei! — und ohnmächtig
zuſammengeſunken liegt ſie neben Dem, den ihr Hochmuth in
jähen Tod getrieben. Die errungenen Blumen hielt der treue
Burſch noch in ſeiner Hand. Gram und Irrſinn brachen Elſi's
Herz.

U—n—a der Flueh, wo Hans iſch g'lege,
Wachſt us ſym Bluet e Blueme—n—uf;
D’Alproſe, wie ’re d’Lüt jetz ſäge.
Ihr Meitleni get Achtig druf!
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[98/0124] Alpenroſe. „Meitſchi“ am ganzen See. So viel Freier ſie hatte, ſo wenig ſchien ihr einer derſelben vornehm genug, um ihm die Hand für Lebenszeit zu reichen. Unter dieſen war auch Einer mit treuem, red¬ lichem Herzen in unendlicher Liebe ihr zugethan; aber Eiſi (Eliſa¬ beth) verwarf ihn wie die anderen und ließ ihn nur am Narren¬ ſeile trotten. Einſtmals, am Aelpler Sonntage Abends, als der Burſch das Mädchen mit Wein regalirte, ſchien ſie ſeinen Be¬ theuerungen Gehör ſchenken zu wollen und ſagte: ſie ſei entſchloſſen, ſein Weib zu werden, wenn er ihr von jener berüchtigten Felſenſpitze Fluhblüemli holen wolle. Statt zurückzuſchrecken, ging Johannes freudig auf den Vorſchlag ein, denn er war ein verwegener Klette¬ rer. Schon mit dem nächſten Morgengrauen eilte er durch die Allment am Geribach zur wilden Fluh hinauf. Wie ein Eichkätz¬ chen „chräsmete“ er an den glatten Wänden umher; — die ſchmalſte Ritze, der unbedeutendſte Vorſprung mußte ihm dienen, krampfhaft mit Zehen und Fingern ſich einzuklammern. Schon war das ſchwere Werk faſt gelungen, ſchon ſieht er die Spitze nah ob ſeinem Haupte, und Triumph! ſchon hat er die erſte, — die zweite, — die dritte Preisblume gepflückt, da bröckelt ein Stein los, er verliert das Gleichgewicht und, — in der nächſten Minute liegt der arme Tropf grauſam zerfallen, zu Tode geſtürzt am Fuße der Fluhwand. Wenige Stunden ſpäter geht Eiſi fröhlich ſingend am Felſen vorüber. — Ein Blick! — ein Schrei! — und ohnmächtig zuſammengeſunken liegt ſie neben Dem, den ihr Hochmuth in jähen Tod getrieben. Die errungenen Blumen hielt der treue Burſch noch in ſeiner Hand. Gram und Irrſinn brachen Elſi's Herz. U—n—a der Flueh, wo Hans iſch g'lege, Wachſt us ſym Bluet e Blueme—n—uf; D’Alproſe, wie ’re d’Lüt jetz ſäge. Ihr Meitleni get Achtig druf! Die Bluemi dra ſy roth wie Bluet U ſtah im dunkle Laub gar guet.

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/124>, abgerufen am 24.11.2024.