Gebiet. Hier schied unser Drittmann von uns, und dies gab Ver¬ anlassung in die Sennerei einzukehren, um ein Wenig zu rasten. Diese hier versäumte halbe Stunde am erwärmenden, helllodernden Feuer wurde Ursache eines Abenteuers, das selbst in der Rück¬ erinnerung mir jedesmal neue Schrecken bereitet.
Als wir nämlich die Hütte selbander verließen, hatte der Ne¬ bel sich so gewaltig verdichtet, daß wir buchstäblich uns kaum er¬ kennen konnten, wenn wir nicht unmittelbar Schulter an Schulter standen; auf doppelte Schrittlänge waren selbst nicht einmal die Umrisse einer menschlichen Gestalt zu erkennen. Dieser Umstand bedingte es, die gespannteste Aufmerksamkeit dem zu verfolgenden Pfade zu widmen und die Sorge um den rechten Weg, so wie der ungewöhnliche Kraftaufwand, um nicht auszugleiten, versetzte uns trotz der schneidend kalten, regenerfüllten Luft in solche Transspira¬ tion, daß wir Beide nicht weniger schwitzten, als wie man in der Mittagssonnengluth eines heißen schwülen Julitages beim Bergan¬ steigen zu schwitzen pflegt. Mehrmals zeigte es sich, daß wir nicht ganz genau die rechte Richtung inne gehabt hatten, als es galt, Häge und trennende Einfriedigungen zu übersteigen, wie sie allent¬ halben in den untern Staffeln, Maiensäßen oder Heubergen der Alpen vorkommen. Ein paar Dutzend Schritte rechts oder links, -- und wir hatten immer den rechten Pfad wiedergefunden, der durch ein Gatterthor lief oder, wie dies noch öfter vorkommt, durch große treppenförmig gelegte Steine bezeichnet ist, welche es ermög¬ lichen, das Knüppelflechtwerk rittlings zu übersteigen. So gings eine geraume Zeit fort. Wir hatten das Wirthshaus En allieres nicht betreten, in Rücksicht der früheinbrechenden Nacht, denn schon begann es entschieden zu dunkeln. Jetzt galt es, wieder über einen ziemlich hohen Hag zu steigen, und unserer bisher als zweckmäßig sich erwiesenen Praxis gemäß, gingen wir längs desselben, um den Durchschnittspunkt zu entdecken; rechts ging es sanft geneigt bergab, links stieg es. Wir suchten, aber vergebens. Es handelte sich
Eine Nebel-Novelle.
Gebiet. Hier ſchied unſer Drittmann von uns, und dies gab Ver¬ anlaſſung in die Sennerei einzukehren, um ein Wenig zu raſten. Dieſe hier verſäumte halbe Stunde am erwärmenden, helllodernden Feuer wurde Urſache eines Abenteuers, das ſelbſt in der Rück¬ erinnerung mir jedesmal neue Schrecken bereitet.
Als wir nämlich die Hütte ſelbander verließen, hatte der Ne¬ bel ſich ſo gewaltig verdichtet, daß wir buchſtäblich uns kaum er¬ kennen konnten, wenn wir nicht unmittelbar Schulter an Schulter ſtanden; auf doppelte Schrittlänge waren ſelbſt nicht einmal die Umriſſe einer menſchlichen Geſtalt zu erkennen. Dieſer Umſtand bedingte es, die geſpannteſte Aufmerkſamkeit dem zu verfolgenden Pfade zu widmen und die Sorge um den rechten Weg, ſo wie der ungewöhnliche Kraftaufwand, um nicht auszugleiten, verſetzte uns trotz der ſchneidend kalten, regenerfüllten Luft in ſolche Transſpira¬ tion, daß wir Beide nicht weniger ſchwitzten, als wie man in der Mittagsſonnengluth eines heißen ſchwülen Julitages beim Bergan¬ ſteigen zu ſchwitzen pflegt. Mehrmals zeigte es ſich, daß wir nicht ganz genau die rechte Richtung inne gehabt hatten, als es galt, Häge und trennende Einfriedigungen zu überſteigen, wie ſie allent¬ halben in den untern Staffeln, Maienſäßen oder Heubergen der Alpen vorkommen. Ein paar Dutzend Schritte rechts oder links, — und wir hatten immer den rechten Pfad wiedergefunden, der durch ein Gatterthor lief oder, wie dies noch öfter vorkommt, durch große treppenförmig gelegte Steine bezeichnet iſt, welche es ermög¬ lichen, das Knüppelflechtwerk rittlings zu überſteigen. So gings eine geraume Zeit fort. Wir hatten das Wirthshaus En allières nicht betreten, in Rückſicht der früheinbrechenden Nacht, denn ſchon begann es entſchieden zu dunkeln. Jetzt galt es, wieder über einen ziemlich hohen Hag zu ſteigen, und unſerer bisher als zweckmäßig ſich erwieſenen Praxis gemäß, gingen wir längs deſſelben, um den Durchſchnittspunkt zu entdecken; rechts ging es ſanft geneigt bergab, links ſtieg es. Wir ſuchten, aber vergebens. Es handelte ſich
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Eine Nebel-Novelle.
Gebiet. Hier ſchied unſer Drittmann von uns, und dies gab Ver¬
anlaſſung in die Sennerei einzukehren, um ein Wenig zu raſten.
Dieſe hier verſäumte halbe Stunde am erwärmenden, helllodernden
Feuer wurde Urſache eines Abenteuers, das ſelbſt in der Rück¬
erinnerung mir jedesmal neue Schrecken bereitet.
Als wir nämlich die Hütte ſelbander verließen, hatte der Ne¬
bel ſich ſo gewaltig verdichtet, daß wir buchſtäblich uns kaum er¬
kennen konnten, wenn wir nicht unmittelbar Schulter an Schulter
ſtanden; auf doppelte Schrittlänge waren ſelbſt nicht einmal die
Umriſſe einer menſchlichen Geſtalt zu erkennen. Dieſer Umſtand
bedingte es, die geſpannteſte Aufmerkſamkeit dem zu verfolgenden
Pfade zu widmen und die Sorge um den rechten Weg, ſo wie der
ungewöhnliche Kraftaufwand, um nicht auszugleiten, verſetzte uns
trotz der ſchneidend kalten, regenerfüllten Luft in ſolche Transſpira¬
tion, daß wir Beide nicht weniger ſchwitzten, als wie man in der
Mittagsſonnengluth eines heißen ſchwülen Julitages beim Bergan¬
ſteigen zu ſchwitzen pflegt. Mehrmals zeigte es ſich, daß wir nicht
ganz genau die rechte Richtung inne gehabt hatten, als es galt,
Häge und trennende Einfriedigungen zu überſteigen, wie ſie allent¬
halben in den untern Staffeln, Maienſäßen oder Heubergen der
Alpen vorkommen. Ein paar Dutzend Schritte rechts oder links, —
und wir hatten immer den rechten Pfad wiedergefunden, der durch
ein Gatterthor lief oder, wie dies noch öfter vorkommt, durch
große treppenförmig gelegte Steine bezeichnet iſt, welche es ermög¬
lichen, das Knüppelflechtwerk rittlings zu überſteigen. So gings
eine geraume Zeit fort. Wir hatten das Wirthshaus En allières
nicht betreten, in Rückſicht der früheinbrechenden Nacht, denn ſchon
begann es entſchieden zu dunkeln. Jetzt galt es, wieder über einen
ziemlich hohen Hag zu ſteigen, und unſerer bisher als zweckmäßig ſich
erwieſenen Praxis gemäß, gingen wir längs deſſelben, um den
Durchſchnittspunkt zu entdecken; rechts ging es ſanft geneigt bergab,
links ſtieg es. Wir ſuchten, aber vergebens. Es handelte ſich
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/154>, abgerufen am 21.11.2024.
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