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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Wetterschießen.
Poltergeister und böse Dämonen, welche die Wohnungen der Menschen
vermeintlich beunruhigten, von Hexenmeistern, fahrenden Schülern
und Teufelsbeschwörern in verschlossene Gefäße gebannt und in
dieses abgelegene Thal getragen worden sein. So kam das Rot¬
thal, das außerdem keines ehrlichen Christen Fuß betrat, in Ver¬
ruf und galt als der Aufenthalt böser Geister. Ganz besonders
sollen auch die alten Thalherren von Lauterbrunn hierher verwünscht
worden sein und daselbst noch ihr Wesen treiben.

Diese Sage nun steht in Beziehung zu einer seltsamen Natur¬
erscheinung. Es ist nämlich im schweizerischen Mittellande der
Kantone Freiburg, Bern, Solothurn und Aargau eine im Hoch¬
sommer, um die Erntezeit, nicht seltene Erscheinung, daß man bei
völlig wolkenlosem Firmament, am Tage oder auch Abends und
Nachts in der Luft ein dumpfes, der Kanonade ähnliches Geräusch,
ein seltsames Tosen und Knallen hört. Nach des Volkes Meinung
soll es von einem geisterartigen Spuk, von einer "wilden Jagd"
herrühren, mit welcher die verfluchten Herren vom Rotthale hoch
durch die Lüfte ziehen; nach dem Volksglauben der westlichen So¬
lothurner Bauern sollen es jedoch die Geister der in der Schlacht
bei Murten erschlagenen Burgunder sein, welche mit Heerestroß
und Alarm ihren luftigen Umzug halten. In Bernerisch-Röthen¬
bach (Amtes Signau im Emmenthal) sagt man: "Die Rotthaler
exerciren, es giebt anderes Wetter." -- Der einsichtige, vorurtheils¬
freie Bewohner schreibt die sonderbare Erscheinung jedoch natür¬
lichen Veranlassungen zu, und glaubt diese in wirklich vorgefallenen
entfernten militairischen Uebungen, oder in bedeutenden Gletscher-
Lauinenstürzen, oder Gewittern suchen zu sollen, deren Resonanz
durch geeignete Luftströmung bis zu dem Ohre des Hörers getragen
werde. Nun aber haben vielfache und ausgedehnte Nachforschungen
herausgestellt, daß nirgendwo im weiten Umkreise um die ange¬
gebene Zeit militairisches Pelotonfeuer oder Kanonaden, noch Ge¬
witterentladungen stattgefunden haben. Das Gepolter von Gletscher¬

Wetterſchießen.
Poltergeiſter und böſe Dämonen, welche die Wohnungen der Menſchen
vermeintlich beunruhigten, von Hexenmeiſtern, fahrenden Schülern
und Teufelsbeſchwörern in verſchloſſene Gefäße gebannt und in
dieſes abgelegene Thal getragen worden ſein. So kam das Rot¬
thal, das außerdem keines ehrlichen Chriſten Fuß betrat, in Ver¬
ruf und galt als der Aufenthalt böſer Geiſter. Ganz beſonders
ſollen auch die alten Thalherren von Lauterbrunn hierher verwünſcht
worden ſein und daſelbſt noch ihr Weſen treiben.

Dieſe Sage nun ſteht in Beziehung zu einer ſeltſamen Natur¬
erſcheinung. Es iſt nämlich im ſchweizeriſchen Mittellande der
Kantone Freiburg, Bern, Solothurn und Aargau eine im Hoch¬
ſommer, um die Erntezeit, nicht ſeltene Erſcheinung, daß man bei
völlig wolkenloſem Firmament, am Tage oder auch Abends und
Nachts in der Luft ein dumpfes, der Kanonade ähnliches Geräuſch,
ein ſeltſames Toſen und Knallen hört. Nach des Volkes Meinung
ſoll es von einem geiſterartigen Spuk, von einer „wilden Jagd“
herrühren, mit welcher die verfluchten Herren vom Rotthale hoch
durch die Lüfte ziehen; nach dem Volksglauben der weſtlichen So¬
lothurner Bauern ſollen es jedoch die Geiſter der in der Schlacht
bei Murten erſchlagenen Burgunder ſein, welche mit Heerestroß
und Alarm ihren luftigen Umzug halten. In Berneriſch-Röthen¬
bach (Amtes Signau im Emmenthal) ſagt man: „Die Rotthaler
exerciren, es giebt anderes Wetter.“ — Der einſichtige, vorurtheils¬
freie Bewohner ſchreibt die ſonderbare Erſcheinung jedoch natür¬
lichen Veranlaſſungen zu, und glaubt dieſe in wirklich vorgefallenen
entfernten militairiſchen Uebungen, oder in bedeutenden Gletſcher-
Lauinenſtürzen, oder Gewittern ſuchen zu ſollen, deren Reſonanz
durch geeignete Luftſtrömung bis zu dem Ohre des Hörers getragen
werde. Nun aber haben vielfache und ausgedehnte Nachforſchungen
herausgeſtellt, daß nirgendwo im weiten Umkreiſe um die ange¬
gebene Zeit militairiſches Pelotonfeuer oder Kanonaden, noch Ge¬
witterentladungen ſtattgefunden haben. Das Gepolter von Gletſcher¬

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[137/0165] Wetterſchießen. Poltergeiſter und böſe Dämonen, welche die Wohnungen der Menſchen vermeintlich beunruhigten, von Hexenmeiſtern, fahrenden Schülern und Teufelsbeſchwörern in verſchloſſene Gefäße gebannt und in dieſes abgelegene Thal getragen worden ſein. So kam das Rot¬ thal, das außerdem keines ehrlichen Chriſten Fuß betrat, in Ver¬ ruf und galt als der Aufenthalt böſer Geiſter. Ganz beſonders ſollen auch die alten Thalherren von Lauterbrunn hierher verwünſcht worden ſein und daſelbſt noch ihr Weſen treiben. Dieſe Sage nun ſteht in Beziehung zu einer ſeltſamen Natur¬ erſcheinung. Es iſt nämlich im ſchweizeriſchen Mittellande der Kantone Freiburg, Bern, Solothurn und Aargau eine im Hoch¬ ſommer, um die Erntezeit, nicht ſeltene Erſcheinung, daß man bei völlig wolkenloſem Firmament, am Tage oder auch Abends und Nachts in der Luft ein dumpfes, der Kanonade ähnliches Geräuſch, ein ſeltſames Toſen und Knallen hört. Nach des Volkes Meinung ſoll es von einem geiſterartigen Spuk, von einer „wilden Jagd“ herrühren, mit welcher die verfluchten Herren vom Rotthale hoch durch die Lüfte ziehen; nach dem Volksglauben der weſtlichen So¬ lothurner Bauern ſollen es jedoch die Geiſter der in der Schlacht bei Murten erſchlagenen Burgunder ſein, welche mit Heerestroß und Alarm ihren luftigen Umzug halten. In Berneriſch-Röthen¬ bach (Amtes Signau im Emmenthal) ſagt man: „Die Rotthaler exerciren, es giebt anderes Wetter.“ — Der einſichtige, vorurtheils¬ freie Bewohner ſchreibt die ſonderbare Erſcheinung jedoch natür¬ lichen Veranlaſſungen zu, und glaubt dieſe in wirklich vorgefallenen entfernten militairiſchen Uebungen, oder in bedeutenden Gletſcher- Lauinenſtürzen, oder Gewittern ſuchen zu ſollen, deren Reſonanz durch geeignete Luftſtrömung bis zu dem Ohre des Hörers getragen werde. Nun aber haben vielfache und ausgedehnte Nachforſchungen herausgeſtellt, daß nirgendwo im weiten Umkreiſe um die ange¬ gebene Zeit militairiſches Pelotonfeuer oder Kanonaden, noch Ge¬ witterentladungen ſtattgefunden haben. Das Gepolter von Gletſcher¬

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/165>, abgerufen am 21.11.2024.