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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Hoch-Gewitter.
tigkeit ist der sich kundgebende Lebensausdruck. In der Höhe dro¬
ben umschwärmen Bergdohlen kreischend ihre Felsennester, Spyr
und Mauerschwalbe sind verschwunden, der Gesang der Waldvögel
verstummt, nur der Fink schreit unaufhörlich nach Regen.

Jetzt stößt der Vorbote des hereinbrechenden Gewitters, der
Wind, seine ersten Athemzüge aus, wirbelt den Staub schrägkreiselnd
auf und schüttelt die Wälder mit starker Faust. Der See erwacht;
ein fröstelnder Schauer läuft über sein Antlitz. Die Hochspitzen
und vergletscherten Riesenhäupter des Gebirges umhüllen dichte Ne¬
belkappen, -- immer tiefer sinken die Wolkenballen und ziehen, wie
die wilde Jagd, mit zunehmender Hast durchs Thal. Mehr und
mehr umnachtets die Gegend, -- die grelle Färbung mattet ab, --
Alles wird schwarz. Da durchzuckt der erste blaue Blitz die Nacht. --
Immer ungestümer wird die atmosphärische Thätigkeit:

Brausend fliegt des Todes Jagdhund
"Sturm", bergan in wilder Eile,
Seinen Herrn zu suchen, irrt er
Durch die Felsen mit Geheule.
Lenau.

Die Wälder ächzen unterm drängenden Sturmdruck, abgerisse¬
nes Laub durchflattert die Lüfte, und allgemeines, schweres Rauschen
ertönt ringsum. Jetzt rollt auch der Donner tiefbrummend drein.
Aber dieses Vorspiel währt nicht lange. Energisch, wie die Alpen¬
welt in allen ihren Erscheinungen und Lebensbethätigungen ist,
stürmt auch hier die Entwickelung in überstürzenden Progressionen
vor. Nach wenig Minuten ist das Unwetter in seiner ganzen
furchtbar-wilden Größe losgebrochen.

Es kracht die Welt in Wettern,
Als wollt' am Felsgestein
Der Himmel sich zerschmettern.

Zickzackblitze, weit mehr, als man im Flachlande sieht, anschei¬
nend rascher, weniger als eine Tausendstel Sekunde beanspruchend,
fahren um der Berge Lenden, oft zusammengefaßt, aus einem Kno¬
ten vielfach nach allen Enden herauszischend, wie die aus Jovis

Hoch-Gewitter.
tigkeit iſt der ſich kundgebende Lebensausdruck. In der Höhe dro¬
ben umſchwärmen Bergdohlen kreiſchend ihre Felſenneſter, Spyr
und Mauerſchwalbe ſind verſchwunden, der Geſang der Waldvögel
verſtummt, nur der Fink ſchreit unaufhörlich nach Regen.

Jetzt ſtößt der Vorbote des hereinbrechenden Gewitters, der
Wind, ſeine erſten Athemzüge aus, wirbelt den Staub ſchrägkreiſelnd
auf und ſchüttelt die Wälder mit ſtarker Fauſt. Der See erwacht;
ein fröſtelnder Schauer läuft über ſein Antlitz. Die Hochſpitzen
und vergletſcherten Rieſenhäupter des Gebirges umhüllen dichte Ne¬
belkappen, — immer tiefer ſinken die Wolkenballen und ziehen, wie
die wilde Jagd, mit zunehmender Haſt durchs Thal. Mehr und
mehr umnachtets die Gegend, — die grelle Färbung mattet ab, —
Alles wird ſchwarz. Da durchzuckt der erſte blaue Blitz die Nacht. —
Immer ungeſtümer wird die atmoſphäriſche Thätigkeit:

Brauſend fliegt des Todes Jagdhund
„Sturm“, bergan in wilder Eile,
Seinen Herrn zu ſuchen, irrt er
Durch die Felſen mit Geheule.
Lenau.

Die Wälder ächzen unterm drängenden Sturmdruck, abgeriſſe¬
nes Laub durchflattert die Lüfte, und allgemeines, ſchweres Rauſchen
ertönt ringsum. Jetzt rollt auch der Donner tiefbrummend drein.
Aber dieſes Vorſpiel währt nicht lange. Energiſch, wie die Alpen¬
welt in allen ihren Erſcheinungen und Lebensbethätigungen iſt,
ſtürmt auch hier die Entwickelung in überſtürzenden Progreſſionen
vor. Nach wenig Minuten iſt das Unwetter in ſeiner ganzen
furchtbar-wilden Größe losgebrochen.

Es kracht die Welt in Wettern,
Als wollt' am Felsgeſtein
Der Himmel ſich zerſchmettern.

Zickzackblitze, weit mehr, als man im Flachlande ſieht, anſchei¬
nend raſcher, weniger als eine Tauſendſtel Sekunde beanſpruchend,
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[142/0170] Hoch-Gewitter. tigkeit iſt der ſich kundgebende Lebensausdruck. In der Höhe dro¬ ben umſchwärmen Bergdohlen kreiſchend ihre Felſenneſter, Spyr und Mauerſchwalbe ſind verſchwunden, der Geſang der Waldvögel verſtummt, nur der Fink ſchreit unaufhörlich nach Regen. Jetzt ſtößt der Vorbote des hereinbrechenden Gewitters, der Wind, ſeine erſten Athemzüge aus, wirbelt den Staub ſchrägkreiſelnd auf und ſchüttelt die Wälder mit ſtarker Fauſt. Der See erwacht; ein fröſtelnder Schauer läuft über ſein Antlitz. Die Hochſpitzen und vergletſcherten Rieſenhäupter des Gebirges umhüllen dichte Ne¬ belkappen, — immer tiefer ſinken die Wolkenballen und ziehen, wie die wilde Jagd, mit zunehmender Haſt durchs Thal. Mehr und mehr umnachtets die Gegend, — die grelle Färbung mattet ab, — Alles wird ſchwarz. Da durchzuckt der erſte blaue Blitz die Nacht. — Immer ungeſtümer wird die atmoſphäriſche Thätigkeit: Brauſend fliegt des Todes Jagdhund „Sturm“, bergan in wilder Eile, Seinen Herrn zu ſuchen, irrt er Durch die Felſen mit Geheule. Lenau. Die Wälder ächzen unterm drängenden Sturmdruck, abgeriſſe¬ nes Laub durchflattert die Lüfte, und allgemeines, ſchweres Rauſchen ertönt ringsum. Jetzt rollt auch der Donner tiefbrummend drein. Aber dieſes Vorſpiel währt nicht lange. Energiſch, wie die Alpen¬ welt in allen ihren Erſcheinungen und Lebensbethätigungen iſt, ſtürmt auch hier die Entwickelung in überſtürzenden Progreſſionen vor. Nach wenig Minuten iſt das Unwetter in ſeiner ganzen furchtbar-wilden Größe losgebrochen. Es kracht die Welt in Wettern, Als wollt' am Felsgeſtein Der Himmel ſich zerſchmettern. Zickzackblitze, weit mehr, als man im Flachlande ſieht, anſchei¬ nend raſcher, weniger als eine Tauſendſtel Sekunde beanſpruchend, fahren um der Berge Lenden, oft zuſammengefaßt, aus einem Kno¬ ten vielfach nach allen Enden herausziſchend, wie die aus Jovis

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/170>, abgerufen am 21.11.2024.