Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Der Wasserfall. magische Prospektenmaler der künftigen Welt, für die wir brennenund weinen" -- der stille Vollmond herauf und gießt sein myste¬ riöses Licht über die Alpen aus. Nun schimmert nicht nur die Schaumsäule selbst im reinen Silberglanze, sondern auch die Wasser¬ strahlen am untersten Absatze der Staubbachfluh wandeln sich zu einem weißfunkelnden Brillantregen um, der in halb erblaßtem Farbenspiel den gaukelnden Zauber des Tages durch Regenbogen¬ ähnliche Verschlingungen nachzuahmen sich bemüht; geisterhaft um¬ weben die Diamant-Funken den Träumer, welcher in so einsamer Nachtstunde sich hierher begiebt. Rittershaus. Ganz ein anderes Bild gestaltet der volle, wassermächtige In dieser kernigen, kräftigen Haltung sind sie begreiflich auch Der Waſſerfall. magiſche Proſpektenmaler der künftigen Welt, für die wir brennenund weinen“ — der ſtille Vollmond herauf und gießt ſein myſte¬ riöſes Licht über die Alpen aus. Nun ſchimmert nicht nur die Schaumſäule ſelbſt im reinen Silberglanze, ſondern auch die Waſſer¬ ſtrahlen am unterſten Abſatze der Staubbachfluh wandeln ſich zu einem weißfunkelnden Brillantregen um, der in halb erblaßtem Farbenſpiel den gaukelnden Zauber des Tages durch Regenbogen¬ ähnliche Verſchlingungen nachzuahmen ſich bemüht; geiſterhaft um¬ weben die Diamant-Funken den Träumer, welcher in ſo einſamer Nachtſtunde ſich hierher begiebt. Rittershaus. Ganz ein anderes Bild geſtaltet der volle, waſſermächtige In dieſer kernigen, kräftigen Haltung ſind ſie begreiflich auch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0185" n="157"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Der Waſſerfall</hi>.<lb/></fw> magiſche Proſpektenmaler der künftigen Welt, für die wir brennen<lb/> und weinen“ — der ſtille Vollmond herauf und gießt ſein myſte¬<lb/> riöſes Licht über die Alpen aus. Nun ſchimmert nicht nur die<lb/> Schaumſäule ſelbſt im reinen Silberglanze, ſondern auch die Waſſer¬<lb/> ſtrahlen am unterſten Abſatze der Staubbachfluh wandeln ſich zu<lb/> einem weißfunkelnden Brillantregen um, der in halb erblaßtem<lb/> Farbenſpiel den gaukelnden Zauber des Tages durch Regenbogen¬<lb/> ähnliche Verſchlingungen nachzuahmen ſich bemüht; geiſterhaft um¬<lb/> weben die Diamant-Funken den Träumer, welcher in ſo einſamer<lb/> Nachtſtunde ſich hierher begiebt.</p><lb/> <cit> <quote> <lg type="poem"> <l>Hin durch die Fluren flüſterts heimlich ſacht,<lb/></l> <l>Daß liebeglühend alle Blumen beben.<lb/></l> <l>Aufſtöhnt der Wind! Im dunklen Schoß der Nacht<lb/></l> <l>Entfaltet ſich ein tauſendfältig Leben!<lb/></l> </lg> </quote> <bibl rendition="#right"><hi rendition="#g">Rittershaus</hi>.<lb/></bibl> </cit> <p>Ganz ein anderes Bild geſtaltet der volle, waſſermächtige<lb/> Bergſtrom, wenn er in ſeinem Bett durch Felſentreppen oder hohe,<lb/> faſt vertikale Schichten-Abſtürze unterbrochen, plötzlich zum ver¬<lb/> zweifelten Sprung in die Tiefe genöthigt wird. Dies iſt der eigent¬<lb/> liche Waſſerfall im engeren und präciſeren Sinne. Was dort bei<lb/> den ſanft herabſinkenden, halb vom Winde getragenen, leicht ver¬<lb/> wehten Staubfällen zur Idylle ſich verkörpert und als ein zartes<lb/> Adagio ſeine ewigen, geiſterhaft-flüſternden Weiſen rauſcht, das<lb/> wird beim großen körperreichen Stromſturze zur energiſchen Kraft¬<lb/> äußerung, zur gewaltigen tragiſchen Kataſtrophe, zum donnernden<lb/> Furioſo. Jene ſind zarte weibliche Erſcheinungen, die aus ohn¬<lb/> mächtigem Hingeben an das Unvermeidliche entſtehen, — dieſe ſind<lb/> thatkräftige Akte entſchloſſenen männlichen Dranges, zu vergleichen<lb/> dem entbrannten Muthe eines zur äußerſten verzweifelten Gegen¬<lb/> wehr getriebenen, ſeine Selbſtſtändigkeit und Zuſammengehörigkeit<lb/> vertheidigenden Volkes.</p><lb/> <p>In dieſer kernigen, kräftigen Haltung ſind ſie begreiflich auch<lb/> nach ihrem landſchaftlichen Effekte viel maleriſcher, lebendig-beweg¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [157/0185]
Der Waſſerfall.
magiſche Proſpektenmaler der künftigen Welt, für die wir brennen
und weinen“ — der ſtille Vollmond herauf und gießt ſein myſte¬
riöſes Licht über die Alpen aus. Nun ſchimmert nicht nur die
Schaumſäule ſelbſt im reinen Silberglanze, ſondern auch die Waſſer¬
ſtrahlen am unterſten Abſatze der Staubbachfluh wandeln ſich zu
einem weißfunkelnden Brillantregen um, der in halb erblaßtem
Farbenſpiel den gaukelnden Zauber des Tages durch Regenbogen¬
ähnliche Verſchlingungen nachzuahmen ſich bemüht; geiſterhaft um¬
weben die Diamant-Funken den Träumer, welcher in ſo einſamer
Nachtſtunde ſich hierher begiebt.
Hin durch die Fluren flüſterts heimlich ſacht,
Daß liebeglühend alle Blumen beben.
Aufſtöhnt der Wind! Im dunklen Schoß der Nacht
Entfaltet ſich ein tauſendfältig Leben!
Rittershaus.
Ganz ein anderes Bild geſtaltet der volle, waſſermächtige
Bergſtrom, wenn er in ſeinem Bett durch Felſentreppen oder hohe,
faſt vertikale Schichten-Abſtürze unterbrochen, plötzlich zum ver¬
zweifelten Sprung in die Tiefe genöthigt wird. Dies iſt der eigent¬
liche Waſſerfall im engeren und präciſeren Sinne. Was dort bei
den ſanft herabſinkenden, halb vom Winde getragenen, leicht ver¬
wehten Staubfällen zur Idylle ſich verkörpert und als ein zartes
Adagio ſeine ewigen, geiſterhaft-flüſternden Weiſen rauſcht, das
wird beim großen körperreichen Stromſturze zur energiſchen Kraft¬
äußerung, zur gewaltigen tragiſchen Kataſtrophe, zum donnernden
Furioſo. Jene ſind zarte weibliche Erſcheinungen, die aus ohn¬
mächtigem Hingeben an das Unvermeidliche entſtehen, — dieſe ſind
thatkräftige Akte entſchloſſenen männlichen Dranges, zu vergleichen
dem entbrannten Muthe eines zur äußerſten verzweifelten Gegen¬
wehr getriebenen, ſeine Selbſtſtändigkeit und Zuſammengehörigkeit
vertheidigenden Volkes.
In dieſer kernigen, kräftigen Haltung ſind ſie begreiflich auch
nach ihrem landſchaftlichen Effekte viel maleriſcher, lebendig-beweg¬
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