jener feinen, dünnen, leichten, reinen Bergluft, die, je höher man in den Dunstkreis empordringt, um so mehr sich verflüchtiget.
Die große, breite, fette Flocke des Tieflandes ist eine Ver¬ einigung vieler, mehr oder minder vollständig ausgebildeter, flächen¬ haft-krystallisirter Eissterne, die deshalb, weil die Schwere der darin enthaltenen gefrorenen Wassertheilchen nach ihrem räumlichen Umfange in keinem Verhältniß zu der zu durchschneidenden Luft steht, langsam wie ein von den Windwellen getragenes Fallschirm¬ chen aus der Höhe niederschwebt, und nur dann eine beschleunig¬ tere Geschwindigkeit annimmt, wenn sie in Temperaturschichten her¬ absinkt, welche vermöge größerer Wärmemenge die im Frost ge¬ bundenen Wasseratome theilweise lösen und die ganze Wolke durchfeuchten.
Ganz anders verhält sichs mit dem Hochschnee. Der erste Blick schon zeigt ein ganz anderes Gebilde. Er ist viel feiner, mehliger oder eigentlich sand-ähnlich, trockener und darum selbststän¬ dig beweglicher. Theils zeigt er unterm Mikroskop blos prismen¬ förmige Nädelchen, oder unendlich kleine, aber kompakte keilförmige, sechskantige Pyramiden, theils aber stellt er sich auch in einer mehr der sphärischen Gestalt annähernden Weise dar, und zwar so, daß er einen kugelförmigen centralen Körper zeigt, an dem, ähn¬ lich der mittelalterlichen Waffe des Morgensternes, kleine Spitzen nach allen Radien hin ausstrahlen. Daß solch ein, seinem Um¬ fange nach kleinerer, wahrscheinlich auch dichterer und darum schwe¬ rerer Körper in ganz anderem Geschwindigkeitsmaße die Luft durch¬ schneiden kann und darum bewegungsfähiger ist, wenn der Wind ihn treibt, als die netzförmig breite, viel mehr Raum einnehmende Schneeflocke, ist begreiflich.
Vermöge seiner Feinheit profilirt der Hochlandsschnee aber auch die Gegenstände, auf die er fällt, viel feiner, zeichnet deren Konturen viel detaillirter, und schließt den kleinsten Formgebilden sich ungemein schmiegsam, -- gleichsam nur bestaubend an, wo die
Der Schneeſturm.
jener feinen, dünnen, leichten, reinen Bergluft, die, je höher man in den Dunſtkreis empordringt, um ſo mehr ſich verflüchtiget.
Die große, breite, fette Flocke des Tieflandes iſt eine Ver¬ einigung vieler, mehr oder minder vollſtändig ausgebildeter, flächen¬ haft-kryſtalliſirter Eisſterne, die deshalb, weil die Schwere der darin enthaltenen gefrorenen Waſſertheilchen nach ihrem räumlichen Umfange in keinem Verhältniß zu der zu durchſchneidenden Luft ſteht, langſam wie ein von den Windwellen getragenes Fallſchirm¬ chen aus der Höhe niederſchwebt, und nur dann eine beſchleunig¬ tere Geſchwindigkeit annimmt, wenn ſie in Temperaturſchichten her¬ abſinkt, welche vermöge größerer Wärmemenge die im Froſt ge¬ bundenen Waſſeratome theilweiſe löſen und die ganze Wolke durchfeuchten.
Ganz anders verhält ſichs mit dem Hochſchnee. Der erſte Blick ſchon zeigt ein ganz anderes Gebilde. Er iſt viel feiner, mehliger oder eigentlich ſand-ähnlich, trockener und darum ſelbſtſtän¬ dig beweglicher. Theils zeigt er unterm Mikroskop blos prismen¬ förmige Nädelchen, oder unendlich kleine, aber kompakte keilförmige, ſechskantige Pyramiden, theils aber ſtellt er ſich auch in einer mehr der ſphäriſchen Geſtalt annähernden Weiſe dar, und zwar ſo, daß er einen kugelförmigen centralen Körper zeigt, an dem, ähn¬ lich der mittelalterlichen Waffe des Morgenſternes, kleine Spitzen nach allen Radien hin ausſtrahlen. Daß ſolch ein, ſeinem Um¬ fange nach kleinerer, wahrſcheinlich auch dichterer und darum ſchwe¬ rerer Körper in ganz anderem Geſchwindigkeitsmaße die Luft durch¬ ſchneiden kann und darum bewegungsfähiger iſt, wenn der Wind ihn treibt, als die netzförmig breite, viel mehr Raum einnehmende Schneeflocke, iſt begreiflich.
Vermöge ſeiner Feinheit profilirt der Hochlandsſchnee aber auch die Gegenſtände, auf die er fällt, viel feiner, zeichnet deren Konturen viel detaillirter, und ſchließt den kleinſten Formgebilden ſich ungemein ſchmiegſam, — gleichſam nur beſtaubend an, wo die
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Der Schneeſturm.
jener feinen, dünnen, leichten, reinen Bergluft, die, je höher man
in den Dunſtkreis empordringt, um ſo mehr ſich verflüchtiget.
Die große, breite, fette Flocke des Tieflandes iſt eine Ver¬
einigung vieler, mehr oder minder vollſtändig ausgebildeter, flächen¬
haft-kryſtalliſirter Eisſterne, die deshalb, weil die Schwere der
darin enthaltenen gefrorenen Waſſertheilchen nach ihrem räumlichen
Umfange in keinem Verhältniß zu der zu durchſchneidenden Luft
ſteht, langſam wie ein von den Windwellen getragenes Fallſchirm¬
chen aus der Höhe niederſchwebt, und nur dann eine beſchleunig¬
tere Geſchwindigkeit annimmt, wenn ſie in Temperaturſchichten her¬
abſinkt, welche vermöge größerer Wärmemenge die im Froſt ge¬
bundenen Waſſeratome theilweiſe löſen und die ganze Wolke
durchfeuchten.
Ganz anders verhält ſichs mit dem Hochſchnee. Der erſte
Blick ſchon zeigt ein ganz anderes Gebilde. Er iſt viel feiner,
mehliger oder eigentlich ſand-ähnlich, trockener und darum ſelbſtſtän¬
dig beweglicher. Theils zeigt er unterm Mikroskop blos prismen¬
förmige Nädelchen, oder unendlich kleine, aber kompakte keilförmige,
ſechskantige Pyramiden, theils aber ſtellt er ſich auch in einer
mehr der ſphäriſchen Geſtalt annähernden Weiſe dar, und zwar ſo,
daß er einen kugelförmigen centralen Körper zeigt, an dem, ähn¬
lich der mittelalterlichen Waffe des Morgenſternes, kleine Spitzen
nach allen Radien hin ausſtrahlen. Daß ſolch ein, ſeinem Um¬
fange nach kleinerer, wahrſcheinlich auch dichterer und darum ſchwe¬
rerer Körper in ganz anderem Geſchwindigkeitsmaße die Luft durch¬
ſchneiden kann und darum bewegungsfähiger iſt, wenn der Wind
ihn treibt, als die netzförmig breite, viel mehr Raum einnehmende
Schneeflocke, iſt begreiflich.
Vermöge ſeiner Feinheit profilirt der Hochlandsſchnee aber
auch die Gegenſtände, auf die er fällt, viel feiner, zeichnet deren
Konturen viel detaillirter, und ſchließt den kleinſten Formgebilden
ſich ungemein ſchmiegſam, — gleichſam nur beſtaubend an, wo die
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/195>, abgerufen am 21.11.2024.
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