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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Der Schneesturm.
volle, flaumige Schneeflocke des Tieflandes in großen behäbigen
Linien, oft ziemlich schwerfällig, die beschneiten Gegenstände nur
deckt. Diese subtilen Kandirungen kann man indessen nur im
Herbste, namentlich an Kräutern, verdorrten Samen-Dolden
und an den kleinen zierlichen Kryptogamen der Alpenpflanzen
wahrnehmen, wenn die Atmosphäre ihre Anfangsversuche im Be¬
stauben mit gleichsam gefrorenem Nebel macht. Dieses leichte Be¬
schneien ist nicht zu verwechseln mit der, auch im Hügel- und
Flachlande vorkommenden verwandten Erscheinung des s. g. "Duft"
oder "Pick", welcher Pflanzen, Steine und andere Dinge krystalli¬
sirend überkleidet, wenn dichter Nebel bei tiefer, unterm Gefrier¬
punkte stehender Temperatur über einer Landschaft lagert.

Es soll nun keinesweges behauptet werden, daß unter allen
Umständen die Bildung von Flockenschnee in den Hochalpen un¬
möglich sei. Vielmehr versichert der bekannte schweizerische Berg¬
steiger, Herr Weilenmann, daß er während seiner Besteigung des
Grand Combin am 10. August 1858 bei einer Höhe von circa
12,000 F. über dem Meere und bei einer Temperatur von 6 Grad
Wärme in ein dichtes Schneegestöber des dicksten, schwersten Flocken¬
schnees gekommen sei.

Bei der ungemeinen Feinheit der einzelnen Körperchen des
Hochschnees ist es aber auch vornehmlich deren große Trockenheit,
welche sie auszeichnet. Diese ist Folge der in den oberen Regionen
während des ganzen Jahres fast ununterbrochen herrschenden niede¬
ren Temperatur. Im normalen Zustande ist der Hochschnee so
spröde, so abgeschlossen eigenkörperig, daß er ohne kräftige Wärme¬
einwirkung sich eben so wenig zusammenballen läßt, wie eine Hand¬
voll trockenen feinen Sandes.

Mit diesem Material treibt nun der Wind auf den Höhen
und in den Einsattelungen des Gebirges, welche 5000 Fuß über¬
steigen, sein mehr als übermüthiges Spiel, packt plötzlich einige
Hunderttausend Kubikklaftern dieses feinen Eisstaubes, wirbelt ihn

Der Schneeſturm.
volle, flaumige Schneeflocke des Tieflandes in großen behäbigen
Linien, oft ziemlich ſchwerfällig, die beſchneiten Gegenſtände nur
deckt. Dieſe ſubtilen Kandirungen kann man indeſſen nur im
Herbſte, namentlich an Kräutern, verdorrten Samen-Dolden
und an den kleinen zierlichen Kryptogamen der Alpenpflanzen
wahrnehmen, wenn die Atmoſphäre ihre Anfangsverſuche im Be¬
ſtauben mit gleichſam gefrorenem Nebel macht. Dieſes leichte Be¬
ſchneien iſt nicht zu verwechſeln mit der, auch im Hügel- und
Flachlande vorkommenden verwandten Erſcheinung des ſ. g. „Duft“
oder „Pick“, welcher Pflanzen, Steine und andere Dinge kryſtalli¬
ſirend überkleidet, wenn dichter Nebel bei tiefer, unterm Gefrier¬
punkte ſtehender Temperatur über einer Landſchaft lagert.

Es ſoll nun keinesweges behauptet werden, daß unter allen
Umſtänden die Bildung von Flockenſchnee in den Hochalpen un¬
möglich ſei. Vielmehr verſichert der bekannte ſchweizeriſche Berg¬
ſteiger, Herr Weilenmann, daß er während ſeiner Beſteigung des
Grand Combin am 10. Auguſt 1858 bei einer Höhe von circa
12,000 F. über dem Meere und bei einer Temperatur von 6 Grad
Wärme in ein dichtes Schneegeſtöber des dickſten, ſchwerſten Flocken¬
ſchnees gekommen ſei.

Bei der ungemeinen Feinheit der einzelnen Körperchen des
Hochſchnees iſt es aber auch vornehmlich deren große Trockenheit,
welche ſie auszeichnet. Dieſe iſt Folge der in den oberen Regionen
während des ganzen Jahres faſt ununterbrochen herrſchenden niede¬
ren Temperatur. Im normalen Zuſtande iſt der Hochſchnee ſo
ſpröde, ſo abgeſchloſſen eigenkörperig, daß er ohne kräftige Wärme¬
einwirkung ſich eben ſo wenig zuſammenballen läßt, wie eine Hand¬
voll trockenen feinen Sandes.

Mit dieſem Material treibt nun der Wind auf den Höhen
und in den Einſattelungen des Gebirges, welche 5000 Fuß über¬
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[168/0196] Der Schneeſturm. volle, flaumige Schneeflocke des Tieflandes in großen behäbigen Linien, oft ziemlich ſchwerfällig, die beſchneiten Gegenſtände nur deckt. Dieſe ſubtilen Kandirungen kann man indeſſen nur im Herbſte, namentlich an Kräutern, verdorrten Samen-Dolden und an den kleinen zierlichen Kryptogamen der Alpenpflanzen wahrnehmen, wenn die Atmoſphäre ihre Anfangsverſuche im Be¬ ſtauben mit gleichſam gefrorenem Nebel macht. Dieſes leichte Be¬ ſchneien iſt nicht zu verwechſeln mit der, auch im Hügel- und Flachlande vorkommenden verwandten Erſcheinung des ſ. g. „Duft“ oder „Pick“, welcher Pflanzen, Steine und andere Dinge kryſtalli¬ ſirend überkleidet, wenn dichter Nebel bei tiefer, unterm Gefrier¬ punkte ſtehender Temperatur über einer Landſchaft lagert. Es ſoll nun keinesweges behauptet werden, daß unter allen Umſtänden die Bildung von Flockenſchnee in den Hochalpen un¬ möglich ſei. Vielmehr verſichert der bekannte ſchweizeriſche Berg¬ ſteiger, Herr Weilenmann, daß er während ſeiner Beſteigung des Grand Combin am 10. Auguſt 1858 bei einer Höhe von circa 12,000 F. über dem Meere und bei einer Temperatur von 6 Grad Wärme in ein dichtes Schneegeſtöber des dickſten, ſchwerſten Flocken¬ ſchnees gekommen ſei. Bei der ungemeinen Feinheit der einzelnen Körperchen des Hochſchnees iſt es aber auch vornehmlich deren große Trockenheit, welche ſie auszeichnet. Dieſe iſt Folge der in den oberen Regionen während des ganzen Jahres faſt ununterbrochen herrſchenden niede¬ ren Temperatur. Im normalen Zuſtande iſt der Hochſchnee ſo ſpröde, ſo abgeſchloſſen eigenkörperig, daß er ohne kräftige Wärme¬ einwirkung ſich eben ſo wenig zuſammenballen läßt, wie eine Hand¬ voll trockenen feinen Sandes. Mit dieſem Material treibt nun der Wind auf den Höhen und in den Einſattelungen des Gebirges, welche 5000 Fuß über¬ ſteigen, ſein mehr als übermüthiges Spiel, packt plötzlich einige Hunderttauſend Kubikklaftern dieſes feinen Eisſtaubes, wirbelt ihn

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/196>, abgerufen am 21.11.2024.