Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Der Schneesturm . Tode in die Arme. Lange bestrebte sich der opferfähige Gebirgs¬bauer mindestens den Letzten zu retten; aber auch hier erkannte er nur zu bald, daß er selbst unterliegen müsse, wenn er seinen Vor¬ satz nicht aufgebe und den geringen Rest der ihm übrig gebliebenen Kräfte auf seine eigene Rettung verwende. Er erreichte zwar lebend seinen Geburtsort, -- aber mit gänzlich erfrorenen Händen und Füßen; Finger und Fußzehen mußten amputirt werden. Er ward zum Dank für seine Menschenfreundlichkeit ein Krüppel. Ein anderer tragischer Fall ereignete sich auf der Gotthards¬ Der Schneeſturm . Tode in die Arme. Lange beſtrebte ſich der opferfähige Gebirgs¬bauer mindeſtens den Letzten zu retten; aber auch hier erkannte er nur zu bald, daß er ſelbſt unterliegen müſſe, wenn er ſeinen Vor¬ ſatz nicht aufgebe und den geringen Reſt der ihm übrig gebliebenen Kräfte auf ſeine eigene Rettung verwende. Er erreichte zwar lebend ſeinen Geburtsort, — aber mit gänzlich erfrorenen Händen und Füßen; Finger und Fußzehen mußten amputirt werden. Er ward zum Dank für ſeine Menſchenfreundlichkeit ein Krüppel. Ein anderer tragiſcher Fall ereignete ſich auf der Gotthards¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0203" n="175"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Der Schneeſturm</hi><hi rendition="#g">.</hi><lb/></fw> Tode in die Arme. Lange beſtrebte ſich der opferfähige Gebirgs¬<lb/> bauer mindeſtens den Letzten zu retten; aber auch hier erkannte er<lb/> nur zu bald, daß er ſelbſt unterliegen müſſe, wenn er ſeinen Vor¬<lb/> ſatz nicht aufgebe und den geringen Reſt der ihm übrig gebliebenen<lb/> Kräfte auf ſeine eigene Rettung verwende. Er erreichte zwar lebend<lb/> ſeinen Geburtsort, — aber mit gänzlich erfrorenen Händen und<lb/> Füßen; Finger und Fußzehen mußten amputirt werden. Er ward<lb/> zum Dank für ſeine Menſchenfreundlichkeit ein Krüppel.</p><lb/> <p>Ein anderer tragiſcher Fall ereignete ſich auf der Gotthards¬<lb/> ſtraße in der Nacht vom 9. zum 10. April 1848. Die italieniſche<lb/> Poſt, welche am Nachmittage den Berg in der Richtung von Ander¬<lb/> matt nach Airolo überſchreiten ſollte, hatte, durch enorme Schnee¬<lb/> maſſen aufgehalten, ſich bedeutend verſpätet. Mit Pferden und<lb/> Schlitten die Straße zu paſſiren war unmöglich, und Condukteur<lb/> Simen entſchloß ſich deshalb die Poſtfelleiſen mit den Briefſchaften<lb/> und Paqueten durch Träger über den Gotthard zu befördern.<lb/> Unter dieſen Trägern befand ſich auch Joh. Joſ. Regli, Steinhauer<lb/> von Profeſſion. Als die Karavane Urſeren verließ, ſtürmte es zwar<lb/> wild und warf Schneemaſſen in dichter Menge nieder; indeſſen die<lb/> muthigen Berggänger glaubten dennoch dem Wetter trotzen zu dür¬<lb/> fen und drangen tapfer vorwärts. Als ſie jedoch etwas über das<lb/> zweite Drittel des Weges zurückgelegt hatten, brach ein Schnee¬<lb/> ſturm über die Lucendro-Alp mit ſolch vehementer Gewalt herein<lb/> und verwehte die Straße dermaßen, daß Alle die Richtung ver¬<lb/> loren. Rundum war es vollendet finſtere Nacht. Der Sturm<lb/> peitſchte wie mit Skorpionen-Geißeln die ſeiner Vernichtungs-Wuth<lb/> preisgegebenen pflichtgetreuen Männer. Noch immer hielten ſie<lb/> Stand und ſuchten trotz alles Ungemaches ihr Ziel zu erreichen.<lb/> Endlich als ſie ziemlich auf der Höhe des Paſſes in der Gegend<lb/> von San Carlo beim ſ. g. „Waſſerloch“ (<hi rendition="#aq">Valeggia</hi>) angelangt<lb/> waren, vermochte Regli nicht weiter zu kommen. Die Kameraden,<lb/> obgleich ſelbſt ſchwer bepackt, verſuchten es dennoch, ihren Schick¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [175/0203]
Der Schneeſturm .
Tode in die Arme. Lange beſtrebte ſich der opferfähige Gebirgs¬
bauer mindeſtens den Letzten zu retten; aber auch hier erkannte er
nur zu bald, daß er ſelbſt unterliegen müſſe, wenn er ſeinen Vor¬
ſatz nicht aufgebe und den geringen Reſt der ihm übrig gebliebenen
Kräfte auf ſeine eigene Rettung verwende. Er erreichte zwar lebend
ſeinen Geburtsort, — aber mit gänzlich erfrorenen Händen und
Füßen; Finger und Fußzehen mußten amputirt werden. Er ward
zum Dank für ſeine Menſchenfreundlichkeit ein Krüppel.
Ein anderer tragiſcher Fall ereignete ſich auf der Gotthards¬
ſtraße in der Nacht vom 9. zum 10. April 1848. Die italieniſche
Poſt, welche am Nachmittage den Berg in der Richtung von Ander¬
matt nach Airolo überſchreiten ſollte, hatte, durch enorme Schnee¬
maſſen aufgehalten, ſich bedeutend verſpätet. Mit Pferden und
Schlitten die Straße zu paſſiren war unmöglich, und Condukteur
Simen entſchloß ſich deshalb die Poſtfelleiſen mit den Briefſchaften
und Paqueten durch Träger über den Gotthard zu befördern.
Unter dieſen Trägern befand ſich auch Joh. Joſ. Regli, Steinhauer
von Profeſſion. Als die Karavane Urſeren verließ, ſtürmte es zwar
wild und warf Schneemaſſen in dichter Menge nieder; indeſſen die
muthigen Berggänger glaubten dennoch dem Wetter trotzen zu dür¬
fen und drangen tapfer vorwärts. Als ſie jedoch etwas über das
zweite Drittel des Weges zurückgelegt hatten, brach ein Schnee¬
ſturm über die Lucendro-Alp mit ſolch vehementer Gewalt herein
und verwehte die Straße dermaßen, daß Alle die Richtung ver¬
loren. Rundum war es vollendet finſtere Nacht. Der Sturm
peitſchte wie mit Skorpionen-Geißeln die ſeiner Vernichtungs-Wuth
preisgegebenen pflichtgetreuen Männer. Noch immer hielten ſie
Stand und ſuchten trotz alles Ungemaches ihr Ziel zu erreichen.
Endlich als ſie ziemlich auf der Höhe des Paſſes in der Gegend
von San Carlo beim ſ. g. „Waſſerloch“ (Valeggia) angelangt
waren, vermochte Regli nicht weiter zu kommen. Die Kameraden,
obgleich ſelbſt ſchwer bepackt, verſuchten es dennoch, ihren Schick¬
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