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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Die Rüfe.
ten versuchen magere Tannen linienweise den Gänsemarsch zur
Spitze hinauf; hinten schließt die Schlucht im Kernstocke des Mon¬
taline mit einer Masse zerfurchter, in steilster Abdachung einge¬
fressener Schutt-Rinnen. Also an und für sich siehts bei Tage gar
nicht so grausig hier aus. Was ists auch, das uns so mit unheim¬
lichen Gefühlen im Anblick dieser romantischen Wildniß erfüllt?
Es ist das Bewußtsein, an einer Zerstörungsstätte zu weilen, wo
unsichtbare, gleichsam dämonisch-waltende Kräfte ihren Sitz haben
und vom Fundamentalbau des Gebirges fort und fort Theile ab¬
sprengen, um damit den Fleiß und das Kulturbestreben der Sterb¬
lichen zu höhnen; -- es ist die unheimliche Thätigkeit, die geister¬
haft hier waltet und zu allerlei Phantasmen verleitet; -- es ist
die Mahnung an den Gespensterglauben des Volkes, welcher die
unreinen Seelen berüchtigter Verstorbener (wie in Plato's Phädon)
um ihre Gräber irren läßt und den Aufenthalt derselben hierher
verlegt. Hier ist nach der Sage der Eingang ins Schattenreich,
hier wandelt, an einem Lieblingsplätzchen, der höllische Proteus in
allerlei Gestalten und erschreckt die Neugierigen. Fürwahr, für
Macbethische Hexen-Sabathe oder Faustische Mephisto-Beschwörun¬
gen giebts wohl wenige geeignetere Lokale als das verrufene
Skalära-Tobel. He! es wäre doch lustig, wenn drüben aus dem
dichten Erlengebüsch plötzlich eine Erscheinung wie die des Kako¬
dämon im Byron'schen Manfred, so eine Samiels-Gestalt im grü¬
nen Jägerwams mit spanischem Filzhut, hakenförmiger Adlernase
und glühend-schwarzen Augen hervorträte! Ob wir wohl erschrecken
würden? -- "hihihihihi" lachts gellend, satanisch, dicht hinter uns
aus lauschigem Waldesdunkel hervor. Herr des Himmels! was ist
das? es kann doch Niemand unsere Gedanken belauscht haben und
neckend, auf unsere provocirenden Wünsche einen Trumpf ausspie¬
len wollen? Wie? Oder hätte die Rockenphilosophie recht, die von
allerlei Spuk und dem "Hereinragen einer mystischen Geisterwelt
in die unsere" docirt? -- "hihihihihi!" gellts zum zweiten Mal

Die Rüfe.
ten verſuchen magere Tannen linienweiſe den Gänſemarſch zur
Spitze hinauf; hinten ſchließt die Schlucht im Kernſtocke des Mon¬
taline mit einer Maſſe zerfurchter, in ſteilſter Abdachung einge¬
freſſener Schutt-Rinnen. Alſo an und für ſich ſiehts bei Tage gar
nicht ſo grauſig hier aus. Was iſts auch, das uns ſo mit unheim¬
lichen Gefühlen im Anblick dieſer romantiſchen Wildniß erfüllt?
Es iſt das Bewußtſein, an einer Zerſtörungsſtätte zu weilen, wo
unſichtbare, gleichſam dämoniſch-waltende Kräfte ihren Sitz haben
und vom Fundamentalbau des Gebirges fort und fort Theile ab¬
ſprengen, um damit den Fleiß und das Kulturbeſtreben der Sterb¬
lichen zu höhnen; — es iſt die unheimliche Thätigkeit, die geiſter¬
haft hier waltet und zu allerlei Phantasmen verleitet; — es iſt
die Mahnung an den Geſpenſterglauben des Volkes, welcher die
unreinen Seelen berüchtigter Verſtorbener (wie in Plato's Phädon)
um ihre Gräber irren läßt und den Aufenthalt derſelben hierher
verlegt. Hier iſt nach der Sage der Eingang ins Schattenreich,
hier wandelt, an einem Lieblingsplätzchen, der hölliſche Proteus in
allerlei Geſtalten und erſchreckt die Neugierigen. Fürwahr, für
Macbethiſche Hexen-Sabathe oder Fauſtiſche Mephiſto-Beſchwörun¬
gen giebts wohl wenige geeignetere Lokale als das verrufene
Skalära-Tobel. He! es wäre doch luſtig, wenn drüben aus dem
dichten Erlengebüſch plötzlich eine Erſcheinung wie die des Kako¬
dämon im Byron'ſchen Manfred, ſo eine Samiels-Geſtalt im grü¬
nen Jägerwams mit ſpaniſchem Filzhut, hakenförmiger Adlernaſe
und glühend-ſchwarzen Augen hervorträte! Ob wir wohl erſchrecken
würden? — „hihihihihi“ lachts gellend, ſataniſch, dicht hinter uns
aus lauſchigem Waldesdunkel hervor. Herr des Himmels! was iſt
das? es kann doch Niemand unſere Gedanken belauſcht haben und
neckend, auf unſere provocirenden Wünſche einen Trumpf ausſpie¬
len wollen? Wie? Oder hätte die Rockenphiloſophie recht, die von
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[191/0219] Die Rüfe. ten verſuchen magere Tannen linienweiſe den Gänſemarſch zur Spitze hinauf; hinten ſchließt die Schlucht im Kernſtocke des Mon¬ taline mit einer Maſſe zerfurchter, in ſteilſter Abdachung einge¬ freſſener Schutt-Rinnen. Alſo an und für ſich ſiehts bei Tage gar nicht ſo grauſig hier aus. Was iſts auch, das uns ſo mit unheim¬ lichen Gefühlen im Anblick dieſer romantiſchen Wildniß erfüllt? Es iſt das Bewußtſein, an einer Zerſtörungsſtätte zu weilen, wo unſichtbare, gleichſam dämoniſch-waltende Kräfte ihren Sitz haben und vom Fundamentalbau des Gebirges fort und fort Theile ab¬ ſprengen, um damit den Fleiß und das Kulturbeſtreben der Sterb¬ lichen zu höhnen; — es iſt die unheimliche Thätigkeit, die geiſter¬ haft hier waltet und zu allerlei Phantasmen verleitet; — es iſt die Mahnung an den Geſpenſterglauben des Volkes, welcher die unreinen Seelen berüchtigter Verſtorbener (wie in Plato's Phädon) um ihre Gräber irren läßt und den Aufenthalt derſelben hierher verlegt. Hier iſt nach der Sage der Eingang ins Schattenreich, hier wandelt, an einem Lieblingsplätzchen, der hölliſche Proteus in allerlei Geſtalten und erſchreckt die Neugierigen. Fürwahr, für Macbethiſche Hexen-Sabathe oder Fauſtiſche Mephiſto-Beſchwörun¬ gen giebts wohl wenige geeignetere Lokale als das verrufene Skalära-Tobel. He! es wäre doch luſtig, wenn drüben aus dem dichten Erlengebüſch plötzlich eine Erſcheinung wie die des Kako¬ dämon im Byron'ſchen Manfred, ſo eine Samiels-Geſtalt im grü¬ nen Jägerwams mit ſpaniſchem Filzhut, hakenförmiger Adlernaſe und glühend-ſchwarzen Augen hervorträte! Ob wir wohl erſchrecken würden? — „hihihihihi“ lachts gellend, ſataniſch, dicht hinter uns aus lauſchigem Waldesdunkel hervor. Herr des Himmels! was iſt das? es kann doch Niemand unſere Gedanken belauſcht haben und neckend, auf unſere provocirenden Wünſche einen Trumpf ausſpie¬ len wollen? Wie? Oder hätte die Rockenphiloſophie recht, die von allerlei Spuk und dem „Hereinragen einer myſtiſchen Geiſterwelt in die unſere“ docirt? — „hihihihihi!“ gellts zum zweiten Mal

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/219>, abgerufen am 24.11.2024.