Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Die Lauine. Glocke, ja selbst durch Husten und Sprechen entstehe, -- hinreichendoder vielmehr nöthig sei, um den Sturz einer Lauine herbeizuführen. So wenig es sich in Abrede stellen läßt, daß solche Veranlassungen unter Umständen allerdings Ursache von Schneestürzen werden kön¬ nen, ebensowenig sind sie jedoch Bedingung derselben: im Gegen¬ theil die massenhaftesten, furchtbarsten, gefährlichsten und regelmä¬ ßigsten Lauinen werden durch ganz andere Faktoren hervorgerufen. Man kann sie zunächst füglich in Winter- und Sommer- Die Lauine. Glocke, ja ſelbſt durch Huſten und Sprechen entſtehe, — hinreichendoder vielmehr nöthig ſei, um den Sturz einer Lauine herbeizuführen. So wenig es ſich in Abrede ſtellen läßt, daß ſolche Veranlaſſungen unter Umſtänden allerdings Urſache von Schneeſtürzen werden kön¬ nen, ebenſowenig ſind ſie jedoch Bedingung derſelben: im Gegen¬ theil die maſſenhafteſten, furchtbarſten, gefährlichſten und regelmä¬ ßigſten Lauinen werden durch ganz andere Faktoren hervorgerufen. Man kann ſie zunächſt füglich in Winter- und Sommer- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0227" n="197"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Die Lauine</hi>.<lb/></fw> Glocke, ja ſelbſt durch Huſten und Sprechen entſtehe, — hinreichend<lb/> oder vielmehr nöthig ſei, um den Sturz einer Lauine herbeizuführen.<lb/> So wenig es ſich in Abrede ſtellen läßt, daß ſolche Veranlaſſungen<lb/> unter Umſtänden allerdings Urſache von Schneeſtürzen werden kön¬<lb/> nen, ebenſowenig ſind ſie jedoch <hi rendition="#g">Bedingung</hi> derſelben: im Gegen¬<lb/> theil die maſſenhafteſten, furchtbarſten, gefährlichſten und regelmä¬<lb/> ßigſten Lauinen werden durch ganz andere Faktoren hervorgerufen.<lb/></p> <p>Man kann ſie zunächſt füglich in Winter- und Sommer-<lb/> Lauinen eintheilen. Den erſteren gehören die ſchrecklichen, gefürch¬<lb/> teten, unregelmäßig hereinbrechenden <hi rendition="#g">Staub-Lauinen</hi> an. Sie<lb/> ſind gewiſſermaßen die ſtärkſte Form der Schneeſtürme. Entweder<lb/> packt ein um die Gipfel brauſender Hochſturm unberechenbare Laſten<lb/> jenes feinen, ſandähnlichen, kurz vorher gefallenen Schnees, hebt<lb/> denſelben auf und läßt ihn als undurchdringliche Staubwolke da<lb/> fallen, wo plötzlich die tragende Kraft des Windes gebrochen wird,<lb/> — oder es iſt neuer Schnee, der auf ſehr glatter Unterlage alten,<lb/> obenher vereiſten Firnes liegt, durch einen Windſtoß ins Gleiten<lb/> geräth, durch wachſende Maſſe auch an Gewicht, Druck und Schnel¬<lb/> ligkeit der Bewegung wächſt, und ſo über irgend eine Wand herab¬<lb/> fährt. Die hierdurch herbeigeführte Wirkung iſt eine doppelte.<lb/> Einerſeits hüllt der niederſtürzende Schnee-Ocean in ſekundenkurzer<lb/> Zeit Gegenden, Häuſer, Perſonen, Vieh ſo vollſtändig ein, daß in<lb/> vielen Fällen dieſelben tief, tief vergraben liegen und nur eiligſte<lb/> Hilfe Rettung ermöglicht, — andererſeits aber iſt die, durch den<lb/> raſchen Sturz veranlaßte Compreſſion der Luft ſo gewaltig, daß,<lb/> wie bei Exploſionen von Pulverthürmen, lediglich durch den Luft¬<lb/> druck, große Felſenblöcke, Häuſer, Viehſtälle, kurzum Gegenſtände<lb/> jeder Art, welche die Lauine mit ihrem Schneekitt nicht einmal<lb/> erreichte, zur Seite geſchoben, emporgeſchnellt, über Abgründe durch<lb/> die Luft getragen, kurz und gut in kapriciöſeſter Weiſe dislocirt<lb/> werden. Weil der Wind zunächſt Urſache des Entſtehens derſelben<lb/> iſt, ſo werden ſie auch <hi rendition="#g">Wind-Lauinen</hi> genannt; indeſſen können<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [197/0227]
Die Lauine.
Glocke, ja ſelbſt durch Huſten und Sprechen entſtehe, — hinreichend
oder vielmehr nöthig ſei, um den Sturz einer Lauine herbeizuführen.
So wenig es ſich in Abrede ſtellen läßt, daß ſolche Veranlaſſungen
unter Umſtänden allerdings Urſache von Schneeſtürzen werden kön¬
nen, ebenſowenig ſind ſie jedoch Bedingung derſelben: im Gegen¬
theil die maſſenhafteſten, furchtbarſten, gefährlichſten und regelmä¬
ßigſten Lauinen werden durch ganz andere Faktoren hervorgerufen.
Man kann ſie zunächſt füglich in Winter- und Sommer-
Lauinen eintheilen. Den erſteren gehören die ſchrecklichen, gefürch¬
teten, unregelmäßig hereinbrechenden Staub-Lauinen an. Sie
ſind gewiſſermaßen die ſtärkſte Form der Schneeſtürme. Entweder
packt ein um die Gipfel brauſender Hochſturm unberechenbare Laſten
jenes feinen, ſandähnlichen, kurz vorher gefallenen Schnees, hebt
denſelben auf und läßt ihn als undurchdringliche Staubwolke da
fallen, wo plötzlich die tragende Kraft des Windes gebrochen wird,
— oder es iſt neuer Schnee, der auf ſehr glatter Unterlage alten,
obenher vereiſten Firnes liegt, durch einen Windſtoß ins Gleiten
geräth, durch wachſende Maſſe auch an Gewicht, Druck und Schnel¬
ligkeit der Bewegung wächſt, und ſo über irgend eine Wand herab¬
fährt. Die hierdurch herbeigeführte Wirkung iſt eine doppelte.
Einerſeits hüllt der niederſtürzende Schnee-Ocean in ſekundenkurzer
Zeit Gegenden, Häuſer, Perſonen, Vieh ſo vollſtändig ein, daß in
vielen Fällen dieſelben tief, tief vergraben liegen und nur eiligſte
Hilfe Rettung ermöglicht, — andererſeits aber iſt die, durch den
raſchen Sturz veranlaßte Compreſſion der Luft ſo gewaltig, daß,
wie bei Exploſionen von Pulverthürmen, lediglich durch den Luft¬
druck, große Felſenblöcke, Häuſer, Viehſtälle, kurzum Gegenſtände
jeder Art, welche die Lauine mit ihrem Schneekitt nicht einmal
erreichte, zur Seite geſchoben, emporgeſchnellt, über Abgründe durch
die Luft getragen, kurz und gut in kapriciöſeſter Weiſe dislocirt
werden. Weil der Wind zunächſt Urſache des Entſtehens derſelben
iſt, ſo werden ſie auch Wind-Lauinen genannt; indeſſen können
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