Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Die Lauine. haben. Nun versetze man sich in die peinigende, schon durch dieumgebende Kälte gräßliche Lage armer Lauinen-Opfer, und addire das gräßliche Bewußtwerden hinzu, daß Hilfe von Freundeshand wenige Schritte weiter auf falscher Fährte sich bis zur Erschöpfung abmüht. -- Da, wo dann Menschen-Weisheit am Ende ist, beginnt der feine Instinkt des Thieres, und wie der Prairie-Hund stunden¬ weit die Fährte seines Herrn oder des verirrten Kindes verfolgt und endlich die Gesuchten findet, so ist's auch hier der treue Haus- Genosse des Aelplers, dessen feiner Geruch die Lagerstelle Vergra¬ bener entdeckt und zur rechten Spur leitet. Der Werth der Hospiz- Hunde vom großen St. Bernhard, Simplon und Gotthard ist zu sprüchwörtlich geworden, und in Tschudi's herrlichem "Thierleben der Alpenwelt" so umfassend und treu geschildert, als daß hier ausführlicher von ihnen die Rede sein könnte. Außerordentlich verschieden in Ursache der Entstehung, in Nicht der Wind, der den Schnee wolkendick emporwirbelt, Die Lauine. haben. Nun verſetze man ſich in die peinigende, ſchon durch dieumgebende Kälte gräßliche Lage armer Lauinen-Opfer, und addire das gräßliche Bewußtwerden hinzu, daß Hilfe von Freundeshand wenige Schritte weiter auf falſcher Fährte ſich bis zur Erſchöpfung abmüht. — Da, wo dann Menſchen-Weisheit am Ende iſt, beginnt der feine Inſtinkt des Thieres, und wie der Prairie-Hund ſtunden¬ weit die Fährte ſeines Herrn oder des verirrten Kindes verfolgt und endlich die Geſuchten findet, ſo iſt's auch hier der treue Haus- Genoſſe des Aelplers, deſſen feiner Geruch die Lagerſtelle Vergra¬ bener entdeckt und zur rechten Spur leitet. Der Werth der Hospiz- Hunde vom großen St. Bernhard, Simplon und Gotthard iſt zu ſprüchwörtlich geworden, und in Tſchudi's herrlichem „Thierleben der Alpenwelt“ ſo umfaſſend und treu geſchildert, als daß hier ausführlicher von ihnen die Rede ſein könnte. Außerordentlich verſchieden in Urſache der Entſtehung, in Nicht der Wind, der den Schnee wolkendick emporwirbelt, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0232" n="202"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Die Lauine</hi>.<lb/></fw> haben. Nun verſetze man ſich in die peinigende, ſchon durch die<lb/> umgebende Kälte gräßliche Lage armer Lauinen-Opfer, und addire<lb/> das gräßliche Bewußtwerden hinzu, daß Hilfe von Freundeshand<lb/> wenige Schritte weiter auf falſcher Fährte ſich bis zur Erſchöpfung<lb/> abmüht. — Da, wo dann Menſchen-Weisheit am Ende iſt, beginnt<lb/> der feine Inſtinkt des Thieres, und wie der Prairie-Hund ſtunden¬<lb/> weit die Fährte ſeines Herrn oder des verirrten Kindes verfolgt<lb/> und endlich die Geſuchten findet, ſo iſt's auch hier der treue Haus-<lb/> Genoſſe des Aelplers, deſſen feiner Geruch die Lagerſtelle Vergra¬<lb/> bener entdeckt und zur rechten Spur leitet. Der Werth der Hospiz-<lb/> Hunde vom großen St. Bernhard, Simplon und Gotthard iſt zu<lb/> ſprüchwörtlich geworden, und in Tſchudi's herrlichem „Thierleben<lb/> der Alpenwelt“ ſo umfaſſend und treu geſchildert, als daß hier<lb/> ausführlicher von ihnen die Rede ſein könnte.</p><lb/> <p>Außerordentlich verſchieden in Urſache der Entſtehung, in<lb/> Charakter und Wirkung, von jenen, aus lockerzuſammenhängendem<lb/> Schnee beſtehenden, meiſt im Winter fallenden Staub-Lauinen, ſind<lb/> die <hi rendition="#g">Schloß-</hi>, <hi rendition="#g">Schlag-</hi> oder <hi rendition="#g">Grund-Lauinen</hi>. Dieſe ſind<lb/> ein Phänomen des Frühjahrs, wenn die Natur ihr Auferſtehungs¬<lb/> feſt feiert, und das Hochgebirge die winterlichen Träume aus den<lb/> Erinnerungsfalten ſchüttelt. Hier iſts ſchon ganz anderes Material,<lb/> — nicht jener ſandähnlich trockene, feine Schnee, der, ein Spiel<lb/> der Lüfte, von den Winden umhergeſchleudert wird, bahn- und<lb/> ziellos, — hier iſts alter „ferniger“ Schnee, welcher den Winter<lb/> über an und auf den Abhängen lag, ſich verdichtete, „Firn“ wurde,<lb/> alſo eine viel kompaktere, körperfeſtere Geſtalt annahm.</p><lb/> <p>Nicht der Wind, der den Schnee wolkendick emporwirbelt,<lb/> nicht die kleinen Urſachen, welche unbedeutende Parcellen in Gang<lb/> ſetzen, nicht bloße Luft-Erſchütterung allein, vermögen die Grund-<lb/> Lauine zum Fall zu bringen; ihren furchtbaren Sturz bereiten die<lb/> „<hi rendition="#g">lauen</hi>“ Lüfte, die einziehende Wärme vor. Dieſe durchdringen<lb/> die kleinen hohlen Räumchen in den unabſehbar-großen Schnee¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [202/0232]
Die Lauine.
haben. Nun verſetze man ſich in die peinigende, ſchon durch die
umgebende Kälte gräßliche Lage armer Lauinen-Opfer, und addire
das gräßliche Bewußtwerden hinzu, daß Hilfe von Freundeshand
wenige Schritte weiter auf falſcher Fährte ſich bis zur Erſchöpfung
abmüht. — Da, wo dann Menſchen-Weisheit am Ende iſt, beginnt
der feine Inſtinkt des Thieres, und wie der Prairie-Hund ſtunden¬
weit die Fährte ſeines Herrn oder des verirrten Kindes verfolgt
und endlich die Geſuchten findet, ſo iſt's auch hier der treue Haus-
Genoſſe des Aelplers, deſſen feiner Geruch die Lagerſtelle Vergra¬
bener entdeckt und zur rechten Spur leitet. Der Werth der Hospiz-
Hunde vom großen St. Bernhard, Simplon und Gotthard iſt zu
ſprüchwörtlich geworden, und in Tſchudi's herrlichem „Thierleben
der Alpenwelt“ ſo umfaſſend und treu geſchildert, als daß hier
ausführlicher von ihnen die Rede ſein könnte.
Außerordentlich verſchieden in Urſache der Entſtehung, in
Charakter und Wirkung, von jenen, aus lockerzuſammenhängendem
Schnee beſtehenden, meiſt im Winter fallenden Staub-Lauinen, ſind
die Schloß-, Schlag- oder Grund-Lauinen. Dieſe ſind
ein Phänomen des Frühjahrs, wenn die Natur ihr Auferſtehungs¬
feſt feiert, und das Hochgebirge die winterlichen Träume aus den
Erinnerungsfalten ſchüttelt. Hier iſts ſchon ganz anderes Material,
— nicht jener ſandähnlich trockene, feine Schnee, der, ein Spiel
der Lüfte, von den Winden umhergeſchleudert wird, bahn- und
ziellos, — hier iſts alter „ferniger“ Schnee, welcher den Winter
über an und auf den Abhängen lag, ſich verdichtete, „Firn“ wurde,
alſo eine viel kompaktere, körperfeſtere Geſtalt annahm.
Nicht der Wind, der den Schnee wolkendick emporwirbelt,
nicht die kleinen Urſachen, welche unbedeutende Parcellen in Gang
ſetzen, nicht bloße Luft-Erſchütterung allein, vermögen die Grund-
Lauine zum Fall zu bringen; ihren furchtbaren Sturz bereiten die
„lauen“ Lüfte, die einziehende Wärme vor. Dieſe durchdringen
die kleinen hohlen Räumchen in den unabſehbar-großen Schnee¬
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