in die Tiefen, aus denen sie emporgestiegen waren, zurücksinken ließen? denn, daß allmählige Verwitterung diese Felsenthürme so abgenagt und modellirt habe, dagegen sprechen eine Menge von Gründen.
In keinem anderen Gebirge Europas liegen Entstehung, Zer¬ störung und Neugestaltung so unmittelbar und in so markigen Zügen nebeneinander, wie in den Alpen; an Großartigkeit der Formen, an Mannigfaltigkeit der Zerklüftung und Verwerfung der Schichten werden sie von keinem anderen unseres Continentes über¬ troffen.
Es ragt die heilige Urschöpfungszeit, Von Felsenzacken eine Riesenwelt, Ein wildes Urgebirge weit und breit, In starrer Pracht zum blauen Himmelszelt.
(K. Beck.)
Aber kein anderes Berggebäude unseres Erdtheiles vermag auch einen solchen Mineralreichthum, eine so instruktive Skala des Erdbildungsprozesses aufzuweisen, wie die Alpen. Freilich werfen Umbiegungen oder gänzlich abnormer Wechsel der Schichten, eingelagerte Sedimentstreifen in den krystallinischen Gesteinen und widerstreitende Stratificationen dem Geologen oft fast unlösbare Räthsel in den Weg und öffnen ihm Thor und Thür zu den abenteuerlichsten Hypothesen.
Um sich ein annähernd richtiges Bild von der inneren Kon¬ struktion, von dem Material-Bau, von der geognostischen Auf¬ einanderfolge der Gesteinsarten in den Alpen zu machen, denke man sich, daß ein einstiges Urmeer durch unbestimmbar lange Schöpfungs- und Erdgestaltungs-Perioden hindurch Schlammschichten ablagerte, wie wir einen ähnlichen Prozeß im Kleinen heute noch an den Ufern der Flüsse und nach Ueberschwemmungen wahrnehmen können. Jede dieser Perioden verschlang ganz oder theilweise die damals auf den emporgetauchten Inseln oder Kontinenten, oder in
Das Alpengebäude.
in die Tiefen, aus denen ſie emporgeſtiegen waren, zurückſinken ließen? denn, daß allmählige Verwitterung dieſe Felſenthürme ſo abgenagt und modellirt habe, dagegen ſprechen eine Menge von Gründen.
In keinem anderen Gebirge Europas liegen Entſtehung, Zer¬ ſtörung und Neugeſtaltung ſo unmittelbar und in ſo markigen Zügen nebeneinander, wie in den Alpen; an Großartigkeit der Formen, an Mannigfaltigkeit der Zerklüftung und Verwerfung der Schichten werden ſie von keinem anderen unſeres Continentes über¬ troffen.
Es ragt die heilige Urſchöpfungszeit, Von Felſenzacken eine Rieſenwelt, Ein wildes Urgebirge weit und breit, In ſtarrer Pracht zum blauen Himmelszelt.
(K. Beck.)
Aber kein anderes Berggebäude unſeres Erdtheiles vermag auch einen ſolchen Mineralreichthum, eine ſo inſtruktive Skala des Erdbildungsprozeſſes aufzuweiſen, wie die Alpen. Freilich werfen Umbiegungen oder gänzlich abnormer Wechſel der Schichten, eingelagerte Sedimentſtreifen in den kryſtalliniſchen Geſteinen und widerſtreitende Stratificationen dem Geologen oft faſt unlösbare Räthſel in den Weg und öffnen ihm Thor und Thür zu den abenteuerlichſten Hypotheſen.
Um ſich ein annähernd richtiges Bild von der inneren Kon¬ ſtruktion, von dem Material-Bau, von der geognoſtiſchen Auf¬ einanderfolge der Geſteinsarten in den Alpen zu machen, denke man ſich, daß ein einſtiges Urmeer durch unbeſtimmbar lange Schöpfungs- und Erdgeſtaltungs-Perioden hindurch Schlammſchichten ablagerte, wie wir einen ähnlichen Prozeß im Kleinen heute noch an den Ufern der Flüſſe und nach Ueberſchwemmungen wahrnehmen können. Jede dieſer Perioden verſchlang ganz oder theilweiſe die damals auf den emporgetauchten Inſeln oder Kontinenten, oder in
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0024"n="6"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#fr #g">Das Alpengebäude</hi>.<lb/></fw> in die Tiefen, aus denen ſie emporgeſtiegen waren, zurückſinken<lb/>
ließen? denn, daß allmählige Verwitterung dieſe Felſenthürme<lb/>ſo abgenagt und modellirt habe, dagegen ſprechen eine Menge von<lb/>
Gründen.</p><lb/><p>In keinem anderen Gebirge Europas liegen Entſtehung, Zer¬<lb/>ſtörung und Neugeſtaltung ſo unmittelbar und in ſo markigen<lb/>
Zügen nebeneinander, wie in den Alpen; an Großartigkeit der<lb/>
Formen, an Mannigfaltigkeit der Zerklüftung und Verwerfung der<lb/>
Schichten werden ſie von keinem anderen unſeres Continentes über¬<lb/>
troffen.</p><lb/><cit><quote><lgtype="poem"><l>Es ragt die heilige Urſchöpfungszeit,<lb/></l><l>Von Felſenzacken eine Rieſenwelt,<lb/></l><l>Ein wildes Urgebirge weit und breit,<lb/></l><l>In ſtarrer Pracht zum blauen Himmelszelt.</l></lg></quote><bibl><hirendition="#right">(K. <hirendition="#g">Beck</hi>.)</hi></bibl><lb/></cit><p>Aber kein anderes Berggebäude unſeres Erdtheiles vermag<lb/>
auch einen ſolchen Mineralreichthum, eine ſo inſtruktive Skala<lb/>
des Erdbildungsprozeſſes aufzuweiſen, wie die Alpen. Freilich<lb/>
werfen Umbiegungen oder gänzlich abnormer Wechſel der Schichten,<lb/>
eingelagerte Sedimentſtreifen in den kryſtalliniſchen Geſteinen und<lb/>
widerſtreitende Stratificationen dem Geologen oft faſt unlösbare<lb/>
Räthſel in den Weg und öffnen ihm Thor und Thür zu den<lb/>
abenteuerlichſten Hypotheſen.</p><lb/><p>Um ſich ein annähernd richtiges Bild von der inneren Kon¬<lb/>ſtruktion, von dem Material-Bau, von der geognoſtiſchen Auf¬<lb/>
einanderfolge der Geſteinsarten in den Alpen zu machen, denke<lb/>
man ſich, daß ein einſtiges Urmeer durch unbeſtimmbar lange<lb/>
Schöpfungs- und Erdgeſtaltungs-Perioden hindurch Schlammſchichten<lb/>
ablagerte, wie wir einen ähnlichen Prozeß im Kleinen heute noch<lb/>
an den Ufern der Flüſſe und nach Ueberſchwemmungen wahrnehmen<lb/>
können. Jede dieſer Perioden verſchlang ganz oder theilweiſe die<lb/>
damals auf den emporgetauchten Inſeln oder Kontinenten, oder in<lb/></p></div></body></text></TEI>
[6/0024]
Das Alpengebäude.
in die Tiefen, aus denen ſie emporgeſtiegen waren, zurückſinken
ließen? denn, daß allmählige Verwitterung dieſe Felſenthürme
ſo abgenagt und modellirt habe, dagegen ſprechen eine Menge von
Gründen.
In keinem anderen Gebirge Europas liegen Entſtehung, Zer¬
ſtörung und Neugeſtaltung ſo unmittelbar und in ſo markigen
Zügen nebeneinander, wie in den Alpen; an Großartigkeit der
Formen, an Mannigfaltigkeit der Zerklüftung und Verwerfung der
Schichten werden ſie von keinem anderen unſeres Continentes über¬
troffen.
Es ragt die heilige Urſchöpfungszeit,
Von Felſenzacken eine Rieſenwelt,
Ein wildes Urgebirge weit und breit,
In ſtarrer Pracht zum blauen Himmelszelt.
(K. Beck.)
Aber kein anderes Berggebäude unſeres Erdtheiles vermag
auch einen ſolchen Mineralreichthum, eine ſo inſtruktive Skala
des Erdbildungsprozeſſes aufzuweiſen, wie die Alpen. Freilich
werfen Umbiegungen oder gänzlich abnormer Wechſel der Schichten,
eingelagerte Sedimentſtreifen in den kryſtalliniſchen Geſteinen und
widerſtreitende Stratificationen dem Geologen oft faſt unlösbare
Räthſel in den Weg und öffnen ihm Thor und Thür zu den
abenteuerlichſten Hypotheſen.
Um ſich ein annähernd richtiges Bild von der inneren Kon¬
ſtruktion, von dem Material-Bau, von der geognoſtiſchen Auf¬
einanderfolge der Geſteinsarten in den Alpen zu machen, denke
man ſich, daß ein einſtiges Urmeer durch unbeſtimmbar lange
Schöpfungs- und Erdgeſtaltungs-Perioden hindurch Schlammſchichten
ablagerte, wie wir einen ähnlichen Prozeß im Kleinen heute noch
an den Ufern der Flüſſe und nach Ueberſchwemmungen wahrnehmen
können. Jede dieſer Perioden verſchlang ganz oder theilweiſe die
damals auf den emporgetauchten Inſeln oder Kontinenten, oder in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/24>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.