geheimnißvollen Gletscherwelt bewahrt. Diese bietet überhaupt für den forschenden Geist wie für das empfängliche Gemüth weit mehr, als der erste flüchtige Besuch eines Gletschers vermuthen läßt.
Das Empordringen an den Ufern eines Gletschers ist mitun¬ ter nicht minder schwierig und gefahrvoll als wie der Aufmarsch über die, mittelst Schneebrücken verdeckten, tiefen Gletscherspalten. Ein von Prof. Forbes (aus Edinburgh) erzählter Vorfall möge bei¬ spielsweise das Gesagte bestätigen und zugleich zeigen, wie sehr gefährlich das Allein-Reisen auf Gletschern ist; über die "Schneebrücken" fin¬ den sich weitere Mittheilungen in dem Abschnitte "Alpenspitzen." --
Mitte September 1842 besuchte Herr Forbes von Chamouny aus das einsame, im s. g. Mer de Glace gelegene Vorgebirge Tre¬ laporte, einen Felsrücken östlich unter der Aiguille de Charmoz. Da dasselbe nirgends hin führt, so pflegt es höchstens von den Schäfern besucht zu werden, welche von Zeit zu Zeit heraufkommen, um ihren aussichtslos in der Einöde während des Sommers wei¬ denden Schaafen Salz zu bringen. Herr Forbes, mit dem Skizziren der kühnen Umrisse der Aiguille du Dru und du Moine beschäfti¬ get, sandte seinen Führer August Balmat nach Trinkwasser aus, welches, da das Vorgebirge Trelaporte nur aus öden Granitmassen besteht, schwer zu finden ist. Als der Führer nach 1/2 Stunde noch nicht zurückgekehrt war und zu befürchten stand, daß er sich unter den wilden Felsen verirrt habe, so brach der Naturforscher selbst auf, ihn zu suchen. Nach einiger Zeit sah er ihn mit zwei Bur¬ schen aus Chamouny, die nach der berühmten Gletscher-Insel "Jardin" gehen wollten, daher kommen. Sie führten einen Mann, der völlig erschöpft und geistesabwesend zu sein schien und dessen Anzug in Fetzen herabhing. Auch der Führer August zeigte sich sehr ermattet, denn er hatte, um den fremden Mann zu retten, sich den größten Gefahren ausgesetzt. Der Fremdling, ein Ameri¬ kaner, der am Morgen des vorhergehenden Tages allein aufgebro¬ chen war, das Mer de Glace zu durchwandern, hatte, an den ein¬
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Der Gletſcher.
geheimnißvollen Gletſcherwelt bewahrt. Dieſe bietet überhaupt für den forſchenden Geiſt wie für das empfängliche Gemüth weit mehr, als der erſte flüchtige Beſuch eines Gletſchers vermuthen läßt.
Das Empordringen an den Ufern eines Gletſchers iſt mitun¬ ter nicht minder ſchwierig und gefahrvoll als wie der Aufmarſch über die, mittelſt Schneebrücken verdeckten, tiefen Gletſcherſpalten. Ein von Prof. Forbes (aus Edinburgh) erzählter Vorfall möge bei¬ ſpielsweiſe das Geſagte beſtätigen und zugleich zeigen, wie ſehr gefährlich das Allein-Reiſen auf Gletſchern iſt; über die „Schneebrücken“ fin¬ den ſich weitere Mittheilungen in dem Abſchnitte „Alpenſpitzen.“ —
Mitte September 1842 beſuchte Herr Forbes von Chamouny aus das einſame, im ſ. g. Mer de Glace gelegene Vorgebirge Tré¬ laporte, einen Felsrücken öſtlich unter der Aiguille de Charmoz. Da daſſelbe nirgends hin führt, ſo pflegt es höchſtens von den Schäfern beſucht zu werden, welche von Zeit zu Zeit heraufkommen, um ihren auſſichtslos in der Einöde während des Sommers wei¬ denden Schaafen Salz zu bringen. Herr Forbes, mit dem Skizziren der kühnen Umriſſe der Aiguille du Dru und du Moine beſchäfti¬ get, ſandte ſeinen Führer Auguſt Balmat nach Trinkwaſſer aus, welches, da das Vorgebirge Trélaporte nur aus öden Granitmaſſen beſteht, ſchwer zu finden iſt. Als der Führer nach ½ Stunde noch nicht zurückgekehrt war und zu befürchten ſtand, daß er ſich unter den wilden Felſen verirrt habe, ſo brach der Naturforſcher ſelbſt auf, ihn zu ſuchen. Nach einiger Zeit ſah er ihn mit zwei Bur¬ ſchen aus Chamouny, die nach der berühmten Gletſcher-Inſel „Jardin“ gehen wollten, daher kommen. Sie führten einen Mann, der völlig erſchöpft und geiſtesabweſend zu ſein ſchien und deſſen Anzug in Fetzen herabhing. Auch der Führer Auguſt zeigte ſich ſehr ermattet, denn er hatte, um den fremden Mann zu retten, ſich den größten Gefahren ausgeſetzt. Der Fremdling, ein Ameri¬ kaner, der am Morgen des vorhergehenden Tages allein aufgebro¬ chen war, das Mer de Glace zu durchwandern, hatte, an den ein¬
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Der Gletſcher.
geheimnißvollen Gletſcherwelt bewahrt. Dieſe bietet überhaupt für
den forſchenden Geiſt wie für das empfängliche Gemüth weit mehr,
als der erſte flüchtige Beſuch eines Gletſchers vermuthen läßt.
Das Empordringen an den Ufern eines Gletſchers iſt mitun¬
ter nicht minder ſchwierig und gefahrvoll als wie der Aufmarſch
über die, mittelſt Schneebrücken verdeckten, tiefen Gletſcherſpalten.
Ein von Prof. Forbes (aus Edinburgh) erzählter Vorfall möge bei¬
ſpielsweiſe das Geſagte beſtätigen und zugleich zeigen, wie ſehr gefährlich
das Allein-Reiſen auf Gletſchern iſt; über die „Schneebrücken“ fin¬
den ſich weitere Mittheilungen in dem Abſchnitte „Alpenſpitzen.“ —
Mitte September 1842 beſuchte Herr Forbes von Chamouny
aus das einſame, im ſ. g. Mer de Glace gelegene Vorgebirge Tré¬
laporte, einen Felsrücken öſtlich unter der Aiguille de Charmoz.
Da daſſelbe nirgends hin führt, ſo pflegt es höchſtens von den
Schäfern beſucht zu werden, welche von Zeit zu Zeit heraufkommen,
um ihren auſſichtslos in der Einöde während des Sommers wei¬
denden Schaafen Salz zu bringen. Herr Forbes, mit dem Skizziren
der kühnen Umriſſe der Aiguille du Dru und du Moine beſchäfti¬
get, ſandte ſeinen Führer Auguſt Balmat nach Trinkwaſſer aus,
welches, da das Vorgebirge Trélaporte nur aus öden Granitmaſſen
beſteht, ſchwer zu finden iſt. Als der Führer nach ½ Stunde noch
nicht zurückgekehrt war und zu befürchten ſtand, daß er ſich unter
den wilden Felſen verirrt habe, ſo brach der Naturforſcher ſelbſt
auf, ihn zu ſuchen. Nach einiger Zeit ſah er ihn mit zwei Bur¬
ſchen aus Chamouny, die nach der berühmten Gletſcher-Inſel
„Jardin“ gehen wollten, daher kommen. Sie führten einen Mann,
der völlig erſchöpft und geiſtesabweſend zu ſein ſchien und deſſen
Anzug in Fetzen herabhing. Auch der Führer Auguſt zeigte
ſich ſehr ermattet, denn er hatte, um den fremden Mann zu retten,
ſich den größten Gefahren ausgeſetzt. Der Fremdling, ein Ameri¬
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chen war, das Mer de Glace zu durchwandern, hatte, an den ein¬
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/259>, abgerufen am 24.11.2024.
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