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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Der Gletscher.
ähnlich der Ineinander-Mündung zweier Flüsse, zwei Gletscher¬
thäler zu einem Strombett sich vereinigen, also das aus zwei
verschiedenen Heimath-Kammern stammende Eis gemeinschaftlich
seinen Weg nach der Tiefe zu fortsetzt, so vereinigen sich auch
die beiden inneren Rand- oder Seiten-Moränen zu einer Mittel-
Moräne und zeigen nun eine Gufferlinie längs der ganzen Mitte
des Gletschers. So viel Seiten- oder Sekundär-Gletscher in den
Haupt-Gletscher münden, so viele Gufferlinien entstehen. Unser
Bild zeigt drei Central-Moränen, in Wahrheit aber hat der
Gornergletscher acht Gufferlinien, die sich durch Schärfe und Pa¬
rallelismus auszeichnen. Die Massenhaftigkeit des hier angehäuf¬
ten Bergschuttes ist oft so bedeutend, daß man auf einer unmit¬
telbar vom Gebirge gebildeten Trümmerhalde zu stehen wähnt.
Die Central-Moräne beim "Abschwung", welche aus der Mündung
des Finster- und Lauter- Aargletschers entsteht, auf der die Na¬
turforscher Hugi und Agassiz ihre Hütten behufs mehrwöchentlicher
Beobachtungen und Messungen errichten ließen, ist ein Schuttwall
von beinahe 400 Fuß Breite und stellenweise 30 Fuß Höhe über
dem Gletscher-Niveau. Oft sind jedoch diese Moränen auch nur
schmale Reihen, gleichsam perlenschnur-ähnlich mit kleinen Unter¬
brechungen fortlaufender, einzelner Steine, die über die ganze
Länge des Gletschers hinabsteigen. Mit auffallender Beharrlich¬
keit halten diese Steinlinien die eingeschlagene Richtung fest und
verlieren sie oft selbst dann nicht ganz, wenn ein großer Gletscher¬
bruch mit seinen Nadeln und Scherbenkolossen ihre Direktion unterbricht.

Außer den eigentlichen Moränen begegnen wir auf dem sanft¬
gewölbten Rücken des Gletschers noch separirten Steinblöcken,
gleichsam sich abschließenden Sonderlingen oder Einsiedlern, die,
weil sie rundum vom verwandten Gesteins-Material entblößt sind,
den Atmosphärilien Gelegenheit zu höchst auffallenden, mit dem
Entstehen und der Gestalt der Gletscher-Nadeln verwandten Eis¬
bildungen geben; es sind die sogenannten "Gletschertische."

Der Gletſcher.
ähnlich der Ineinander-Mündung zweier Flüſſe, zwei Gletſcher¬
thäler zu einem Strombett ſich vereinigen, alſo das aus zwei
verſchiedenen Heimath-Kammern ſtammende Eis gemeinſchaftlich
ſeinen Weg nach der Tiefe zu fortſetzt, ſo vereinigen ſich auch
die beiden inneren Rand- oder Seiten-Moränen zu einer Mittel-
Moräne und zeigen nun eine Gufferlinie längs der ganzen Mitte
des Gletſchers. So viel Seiten- oder Sekundär-Gletſcher in den
Haupt-Gletſcher münden, ſo viele Gufferlinien entſtehen. Unſer
Bild zeigt drei Central-Moränen, in Wahrheit aber hat der
Gornergletſcher acht Gufferlinien, die ſich durch Schärfe und Pa¬
rallelismus auszeichnen. Die Maſſenhaftigkeit des hier angehäuf¬
ten Bergſchuttes iſt oft ſo bedeutend, daß man auf einer unmit¬
telbar vom Gebirge gebildeten Trümmerhalde zu ſtehen wähnt.
Die Central-Moräne beim „Abſchwung“, welche aus der Mündung
des Finſter- und Lauter- Aargletſchers entſteht, auf der die Na¬
turforſcher Hugi und Agaſſiz ihre Hütten behufs mehrwöchentlicher
Beobachtungen und Meſſungen errichten ließen, iſt ein Schuttwall
von beinahe 400 Fuß Breite und ſtellenweiſe 30 Fuß Höhe über
dem Gletſcher-Niveau. Oft ſind jedoch dieſe Moränen auch nur
ſchmale Reihen, gleichſam perlenſchnur-ähnlich mit kleinen Unter¬
brechungen fortlaufender, einzelner Steine, die über die ganze
Länge des Gletſchers hinabſteigen. Mit auffallender Beharrlich¬
keit halten dieſe Steinlinien die eingeſchlagene Richtung feſt und
verlieren ſie oft ſelbſt dann nicht ganz, wenn ein großer Gletſcher¬
bruch mit ſeinen Nadeln und Scherbenkoloſſen ihre Direktion unterbricht.

Außer den eigentlichen Moränen begegnen wir auf dem ſanft¬
gewölbten Rücken des Gletſchers noch ſeparirten Steinblöcken,
gleichſam ſich abſchließenden Sonderlingen oder Einſiedlern, die,
weil ſie rundum vom verwandten Geſteins-Material entblößt ſind,
den Atmoſphärilien Gelegenheit zu höchſt auffallenden, mit dem
Entſtehen und der Geſtalt der Gletſcher-Nadeln verwandten Eis¬
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[230/0262] Der Gletſcher. ähnlich der Ineinander-Mündung zweier Flüſſe, zwei Gletſcher¬ thäler zu einem Strombett ſich vereinigen, alſo das aus zwei verſchiedenen Heimath-Kammern ſtammende Eis gemeinſchaftlich ſeinen Weg nach der Tiefe zu fortſetzt, ſo vereinigen ſich auch die beiden inneren Rand- oder Seiten-Moränen zu einer Mittel- Moräne und zeigen nun eine Gufferlinie längs der ganzen Mitte des Gletſchers. So viel Seiten- oder Sekundär-Gletſcher in den Haupt-Gletſcher münden, ſo viele Gufferlinien entſtehen. Unſer Bild zeigt drei Central-Moränen, in Wahrheit aber hat der Gornergletſcher acht Gufferlinien, die ſich durch Schärfe und Pa¬ rallelismus auszeichnen. Die Maſſenhaftigkeit des hier angehäuf¬ ten Bergſchuttes iſt oft ſo bedeutend, daß man auf einer unmit¬ telbar vom Gebirge gebildeten Trümmerhalde zu ſtehen wähnt. Die Central-Moräne beim „Abſchwung“, welche aus der Mündung des Finſter- und Lauter- Aargletſchers entſteht, auf der die Na¬ turforſcher Hugi und Agaſſiz ihre Hütten behufs mehrwöchentlicher Beobachtungen und Meſſungen errichten ließen, iſt ein Schuttwall von beinahe 400 Fuß Breite und ſtellenweiſe 30 Fuß Höhe über dem Gletſcher-Niveau. Oft ſind jedoch dieſe Moränen auch nur ſchmale Reihen, gleichſam perlenſchnur-ähnlich mit kleinen Unter¬ brechungen fortlaufender, einzelner Steine, die über die ganze Länge des Gletſchers hinabſteigen. Mit auffallender Beharrlich¬ keit halten dieſe Steinlinien die eingeſchlagene Richtung feſt und verlieren ſie oft ſelbſt dann nicht ganz, wenn ein großer Gletſcher¬ bruch mit ſeinen Nadeln und Scherbenkoloſſen ihre Direktion unterbricht. Außer den eigentlichen Moränen begegnen wir auf dem ſanft¬ gewölbten Rücken des Gletſchers noch ſeparirten Steinblöcken, gleichſam ſich abſchließenden Sonderlingen oder Einſiedlern, die, weil ſie rundum vom verwandten Geſteins-Material entblößt ſind, den Atmoſphärilien Gelegenheit zu höchſt auffallenden, mit dem Entſtehen und der Geſtalt der Gletſcher-Nadeln verwandten Eis¬ bildungen geben; es ſind die ſogenannten „Gletſchertiſche.“

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/262>, abgerufen am 24.11.2024.