In auffallendem Gegensatze zu diesen, über das Gletscher- Niveau emporgehobenen, großen Felstrümmern und der früher er¬ wähnten, gleichsam ausstoßenden Kraft der Gletscher, steht das Einsinken kleinerer Gegenstände in das Eis. Wir finden dürre, vom Winde heraufgewehte Laubblätter, todte Schmetterlinge und Käfer oder kleine Steine auf dem Gletscher, die 1 bis 11/2 Zoll tief in das Eis eingesunken sind. Daß dieselben nicht eingebacken in den Firn aus den Höhen heruntergebracht und hier erst wieder an die Oberfläche befördert wurden, beweisen die scharfen Konturen des nach oben offenen Loches, welche ganz genau den Umrissen des fraglichen Gegenstandes entsprechen. So sehr nun diese Thatsache den anderen Erscheinungen widerspricht, so erklärlich ist dieselbe. Be¬ kanntlich nehmen Körper je nach ihrer mehr oder minder dunklen Färbung ein größeres oder kleineres Wärme-Quantum auf; schwarze Körper am Meisten. Es ist also begreiflich, daß die Insolation oder Sonnenstrahlung auf solche dunkle Gegenstände drastischer ein¬ wirkt als auf das weiße, die Sonnenstrahlen zurückstoßende Eis und diese Körper in Folge größerer Menge aufgenommener Wärme, diese gegen das unter- und um-liegende Eis ausstrahlen, also dadurch Abschmelzung verursachen. Ebendeshalb, weil die Gegen¬ stände klein sind, werden sie ganz von der Sonnenwärme durch¬ drungen; große Felsenplatten wie bei Moränen und Gletschertischen werden nur an der Oberfläche erhitzt, ohne die aufgenommene Wärme so weit in ihrem Innern nach unten fortpflanzen zu können, daß dadurch eine Schmelzung des unterliegenden Eises herbeige¬ führt würde.
Zu den Moränen und Gletschertischen gesellt sich endlich noch eine dritte verwandte Erscheinung, welche uns beim Besuche eines solchen Eismeeres auffällt: die Schuttkegel und Sandhügel. Sie entstehen einfach dadurch, daß bei lebhafter Schmelzung der Gletscher- Oberfläche, Steinchen, Grien und Geröllschlamm von den Schmelz¬ bächen zusammengeschwemmt werden, so daß sie kleine Alluvial-
Der Gletſcher.
In auffallendem Gegenſatze zu dieſen, über das Gletſcher- Niveau emporgehobenen, großen Felstrümmern und der früher er¬ wähnten, gleichſam ausſtoßenden Kraft der Gletſcher, ſteht das Einſinken kleinerer Gegenſtände in das Eis. Wir finden dürre, vom Winde heraufgewehte Laubblätter, todte Schmetterlinge und Käfer oder kleine Steine auf dem Gletſcher, die 1 bis 1½ Zoll tief in das Eis eingeſunken ſind. Daß dieſelben nicht eingebacken in den Firn aus den Höhen heruntergebracht und hier erſt wieder an die Oberfläche befördert wurden, beweiſen die ſcharfen Konturen des nach oben offenen Loches, welche ganz genau den Umriſſen des fraglichen Gegenſtandes entſprechen. So ſehr nun dieſe Thatſache den anderen Erſcheinungen widerſpricht, ſo erklärlich iſt dieſelbe. Be¬ kanntlich nehmen Körper je nach ihrer mehr oder minder dunklen Färbung ein größeres oder kleineres Wärme-Quantum auf; ſchwarze Körper am Meiſten. Es iſt alſo begreiflich, daß die Inſolation oder Sonnenſtrahlung auf ſolche dunkle Gegenſtände draſtiſcher ein¬ wirkt als auf das weiße, die Sonnenſtrahlen zurückſtoßende Eis und dieſe Körper in Folge größerer Menge aufgenommener Wärme, dieſe gegen das unter- und um-liegende Eis ausſtrahlen, alſo dadurch Abſchmelzung verurſachen. Ebendeshalb, weil die Gegen¬ ſtände klein ſind, werden ſie ganz von der Sonnenwärme durch¬ drungen; große Felſenplatten wie bei Moränen und Gletſchertiſchen werden nur an der Oberfläche erhitzt, ohne die aufgenommene Wärme ſo weit in ihrem Innern nach unten fortpflanzen zu können, daß dadurch eine Schmelzung des unterliegenden Eiſes herbeige¬ führt würde.
Zu den Moränen und Gletſchertiſchen geſellt ſich endlich noch eine dritte verwandte Erſcheinung, welche uns beim Beſuche eines ſolchen Eismeeres auffällt: die Schuttkegel und Sandhügel. Sie entſtehen einfach dadurch, daß bei lebhafter Schmelzung der Gletſcher- Oberfläche, Steinchen, Grien und Geröllſchlamm von den Schmelz¬ bächen zuſammengeſchwemmt werden, ſo daß ſie kleine Alluvial-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0264"n="232"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#fr #g">Der Gletſcher</hi>.<lb/></fw><p>In auffallendem Gegenſatze zu dieſen, über das Gletſcher-<lb/>
Niveau emporgehobenen, großen Felstrümmern und der früher er¬<lb/>
wähnten, gleichſam ausſtoßenden Kraft der Gletſcher, ſteht das<lb/>
Einſinken kleinerer Gegenſtände in das Eis. Wir finden dürre,<lb/>
vom Winde heraufgewehte Laubblätter, todte Schmetterlinge und<lb/>
Käfer oder kleine Steine auf dem Gletſcher, die 1 bis 1½ Zoll<lb/>
tief in das Eis eingeſunken ſind. Daß dieſelben nicht eingebacken<lb/>
in den Firn aus den Höhen heruntergebracht und hier erſt wieder<lb/>
an die Oberfläche befördert wurden, beweiſen die ſcharfen Konturen<lb/>
des nach oben offenen Loches, welche ganz genau den Umriſſen<lb/>
des fraglichen Gegenſtandes entſprechen. So ſehr nun dieſe Thatſache<lb/>
den anderen Erſcheinungen widerſpricht, ſo erklärlich iſt dieſelbe. Be¬<lb/>
kanntlich nehmen Körper je nach ihrer mehr oder minder dunklen<lb/>
Färbung ein größeres oder kleineres Wärme-Quantum auf; ſchwarze<lb/>
Körper am Meiſten. Es iſt alſo begreiflich, daß die Inſolation<lb/>
oder Sonnenſtrahlung auf ſolche dunkle Gegenſtände draſtiſcher ein¬<lb/>
wirkt als auf das weiße, die Sonnenſtrahlen zurückſtoßende Eis<lb/>
und dieſe Körper in Folge größerer Menge aufgenommener Wärme,<lb/>
dieſe gegen das unter- und um-liegende Eis ausſtrahlen, alſo<lb/>
dadurch Abſchmelzung verurſachen. Ebendeshalb, weil die Gegen¬<lb/>ſtände klein ſind, werden ſie ganz von der Sonnenwärme durch¬<lb/>
drungen; große Felſenplatten wie bei Moränen und Gletſchertiſchen<lb/>
werden nur an der Oberfläche erhitzt, ohne die aufgenommene Wärme<lb/>ſo weit in ihrem Innern nach unten fortpflanzen zu können,<lb/>
daß dadurch eine Schmelzung des unterliegenden Eiſes herbeige¬<lb/>
führt würde.</p><lb/><p>Zu den Moränen und Gletſchertiſchen geſellt ſich endlich noch<lb/>
eine dritte verwandte Erſcheinung, welche uns beim Beſuche eines<lb/>ſolchen Eismeeres auffällt: die <hirendition="#g">Schuttkegel</hi> und <hirendition="#g">Sandhügel</hi>. Sie<lb/>
entſtehen einfach dadurch, daß bei lebhafter Schmelzung der Gletſcher-<lb/>
Oberfläche, Steinchen, Grien und Geröllſchlamm von den Schmelz¬<lb/>
bächen zuſammengeſchwemmt werden, ſo daß ſie kleine Alluvial-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[232/0264]
Der Gletſcher.
In auffallendem Gegenſatze zu dieſen, über das Gletſcher-
Niveau emporgehobenen, großen Felstrümmern und der früher er¬
wähnten, gleichſam ausſtoßenden Kraft der Gletſcher, ſteht das
Einſinken kleinerer Gegenſtände in das Eis. Wir finden dürre,
vom Winde heraufgewehte Laubblätter, todte Schmetterlinge und
Käfer oder kleine Steine auf dem Gletſcher, die 1 bis 1½ Zoll
tief in das Eis eingeſunken ſind. Daß dieſelben nicht eingebacken
in den Firn aus den Höhen heruntergebracht und hier erſt wieder
an die Oberfläche befördert wurden, beweiſen die ſcharfen Konturen
des nach oben offenen Loches, welche ganz genau den Umriſſen
des fraglichen Gegenſtandes entſprechen. So ſehr nun dieſe Thatſache
den anderen Erſcheinungen widerſpricht, ſo erklärlich iſt dieſelbe. Be¬
kanntlich nehmen Körper je nach ihrer mehr oder minder dunklen
Färbung ein größeres oder kleineres Wärme-Quantum auf; ſchwarze
Körper am Meiſten. Es iſt alſo begreiflich, daß die Inſolation
oder Sonnenſtrahlung auf ſolche dunkle Gegenſtände draſtiſcher ein¬
wirkt als auf das weiße, die Sonnenſtrahlen zurückſtoßende Eis
und dieſe Körper in Folge größerer Menge aufgenommener Wärme,
dieſe gegen das unter- und um-liegende Eis ausſtrahlen, alſo
dadurch Abſchmelzung verurſachen. Ebendeshalb, weil die Gegen¬
ſtände klein ſind, werden ſie ganz von der Sonnenwärme durch¬
drungen; große Felſenplatten wie bei Moränen und Gletſchertiſchen
werden nur an der Oberfläche erhitzt, ohne die aufgenommene Wärme
ſo weit in ihrem Innern nach unten fortpflanzen zu können,
daß dadurch eine Schmelzung des unterliegenden Eiſes herbeige¬
führt würde.
Zu den Moränen und Gletſchertiſchen geſellt ſich endlich noch
eine dritte verwandte Erſcheinung, welche uns beim Beſuche eines
ſolchen Eismeeres auffällt: die Schuttkegel und Sandhügel. Sie
entſtehen einfach dadurch, daß bei lebhafter Schmelzung der Gletſcher-
Oberfläche, Steinchen, Grien und Geröllſchlamm von den Schmelz¬
bächen zuſammengeſchwemmt werden, ſo daß ſie kleine Alluvial-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/264>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.