Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Der Gletscher. oben beschriebenen Haarspalten kennen gelernt hatte, nahm einen all¬gemeinen Durchfeuchtungs-Proceß an, gleichsam als ob der Glet¬ scher wie ein Schwamm flüssig-wässerige Bestandtheile in Menge aufnähme, diese dann gefrören und dadurch ein Treiben nach der Tiefe zu herbeigeführt würde. Noch Andere wollten ein eigent¬ liches Rollen oder Wälzen der Eismassen beweisen. Nach allen bisherigen Untersuchungen scheint ganz besonders die von oben herab drängende, drückende Schwere der, hinter dem Gletscher la¬ gernden, ungeheueren Schneemassen die vornehmste, unaufhörlich wirkende Haupttriebkraft zu sein, welche den starren Eisstrom in Bewegung hält (Gravitations-Theorie). Demnächst mag das Weichen der Massen an den Sturzschwellen und an der Front weitere Ur¬ sache zum leichteren Nachrücken geben. Endlich mag aber auch die durch die Haarspalten begründete größere Nachgiebigkeit des Eises zu dem ganzen auffallenden Phänomen das Ihrige beitragen. Wo diese Eisströme der Alpen durchgehends, bis an ihr Ende, Der Gletſcher. oben beſchriebenen Haarſpalten kennen gelernt hatte, nahm einen all¬gemeinen Durchfeuchtungs-Proceß an, gleichſam als ob der Glet¬ ſcher wie ein Schwamm flüſſig-wäſſerige Beſtandtheile in Menge aufnähme, dieſe dann gefrören und dadurch ein Treiben nach der Tiefe zu herbeigeführt würde. Noch Andere wollten ein eigent¬ liches Rollen oder Wälzen der Eismaſſen beweiſen. Nach allen bisherigen Unterſuchungen ſcheint ganz beſonders die von oben herab drängende, drückende Schwere der, hinter dem Gletſcher la¬ gernden, ungeheueren Schneemaſſen die vornehmſte, unaufhörlich wirkende Haupttriebkraft zu ſein, welche den ſtarren Eisſtrom in Bewegung hält (Gravitations-Theorie). Demnächſt mag das Weichen der Maſſen an den Sturzſchwellen und an der Front weitere Ur¬ ſache zum leichteren Nachrücken geben. Endlich mag aber auch die durch die Haarſpalten begründete größere Nachgiebigkeit des Eiſes zu dem ganzen auffallenden Phänomen das Ihrige beitragen. Wo dieſe Eisſtröme der Alpen durchgehends, bis an ihr Ende, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0267" n="235"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Der Gletſcher</hi>.<lb/></fw> oben beſchriebenen Haarſpalten kennen gelernt hatte, nahm einen all¬<lb/> gemeinen Durchfeuchtungs-Proceß an, gleichſam als ob der Glet¬<lb/> ſcher wie ein Schwamm flüſſig-wäſſerige Beſtandtheile in Menge<lb/> aufnähme, dieſe dann gefrören und dadurch ein Treiben nach der<lb/> Tiefe zu herbeigeführt würde. Noch Andere wollten ein eigent¬<lb/> liches Rollen oder Wälzen der Eismaſſen beweiſen. Nach allen<lb/> bisherigen Unterſuchungen ſcheint ganz beſonders die von oben<lb/> herab drängende, drückende Schwere der, hinter dem Gletſcher la¬<lb/> gernden, ungeheueren Schneemaſſen die vornehmſte, unaufhörlich<lb/> wirkende Haupttriebkraft zu ſein, welche den ſtarren Eisſtrom in<lb/> Bewegung hält (Gravitations-Theorie). Demnächſt mag das Weichen<lb/> der Maſſen an den Sturzſchwellen und an der Front weitere Ur¬<lb/> ſache zum leichteren Nachrücken geben. Endlich mag aber auch die<lb/> durch die Haarſpalten begründete größere Nachgiebigkeit des Eiſes<lb/> zu dem ganzen auffallenden Phänomen das Ihrige beitragen.</p><lb/> <p>Wo dieſe Eisſtröme der Alpen durchgehends, bis an ihr Ende,<lb/> in geneigten Gebirgsrinnen ſich fortbewegen, da hat der Bergbe¬<lb/> wohner, welcher ſie nicht betritt, auch nichts von denſelben zu fürch¬<lb/> ten. Anders iſts mit denjenigen Gletſchern, welche in der Höhe<lb/> ſich bilden, eine Zeit lang normal ihren Weg fortſetzen, plötzlich<lb/> aber das Bett verlieren, weil das Felſen-Individuum, auf welchem<lb/> ſie ruhen, jähwandig abſinkt. Solche, die man „hangende Glet¬<lb/> ſcher“ nennt, brechen begreiflich, wo ſie an der Sturzwand ankom¬<lb/> men, trümmernweiſe los und ſtürzen als „Gletſcher-Lauinen“ zu<lb/> Thal. Begreiflich hat ſich die Kultur und der menſchliche Fleiß<lb/> am Fuße ſolch unermüdlicher Eisſchleuderer nicht angeſiedelt und ſie<lb/> entladen ihr Bruchmaterial ohne Schaden in wüſte Gründe. Doch<lb/> aber giebt es Beiſpiele genug, daß ſolche Gletſcher-Stürze dennoch<lb/> im bebauten Lande und in den bewohnten Gegenden mittelbar un¬<lb/> berechenbaren Schaden anrichteten. Das markanteſte Beiſpiel die¬<lb/> ſer Art iſt das Unglück, welches der <hi rendition="#aq">Gietroz</hi>-Gletſcher oder viel¬<lb/> mehr deſſen angehäufte Sturzmaſſen am 16. Juni 1818 im Bagne¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [235/0267]
Der Gletſcher.
oben beſchriebenen Haarſpalten kennen gelernt hatte, nahm einen all¬
gemeinen Durchfeuchtungs-Proceß an, gleichſam als ob der Glet¬
ſcher wie ein Schwamm flüſſig-wäſſerige Beſtandtheile in Menge
aufnähme, dieſe dann gefrören und dadurch ein Treiben nach der
Tiefe zu herbeigeführt würde. Noch Andere wollten ein eigent¬
liches Rollen oder Wälzen der Eismaſſen beweiſen. Nach allen
bisherigen Unterſuchungen ſcheint ganz beſonders die von oben
herab drängende, drückende Schwere der, hinter dem Gletſcher la¬
gernden, ungeheueren Schneemaſſen die vornehmſte, unaufhörlich
wirkende Haupttriebkraft zu ſein, welche den ſtarren Eisſtrom in
Bewegung hält (Gravitations-Theorie). Demnächſt mag das Weichen
der Maſſen an den Sturzſchwellen und an der Front weitere Ur¬
ſache zum leichteren Nachrücken geben. Endlich mag aber auch die
durch die Haarſpalten begründete größere Nachgiebigkeit des Eiſes
zu dem ganzen auffallenden Phänomen das Ihrige beitragen.
Wo dieſe Eisſtröme der Alpen durchgehends, bis an ihr Ende,
in geneigten Gebirgsrinnen ſich fortbewegen, da hat der Bergbe¬
wohner, welcher ſie nicht betritt, auch nichts von denſelben zu fürch¬
ten. Anders iſts mit denjenigen Gletſchern, welche in der Höhe
ſich bilden, eine Zeit lang normal ihren Weg fortſetzen, plötzlich
aber das Bett verlieren, weil das Felſen-Individuum, auf welchem
ſie ruhen, jähwandig abſinkt. Solche, die man „hangende Glet¬
ſcher“ nennt, brechen begreiflich, wo ſie an der Sturzwand ankom¬
men, trümmernweiſe los und ſtürzen als „Gletſcher-Lauinen“ zu
Thal. Begreiflich hat ſich die Kultur und der menſchliche Fleiß
am Fuße ſolch unermüdlicher Eisſchleuderer nicht angeſiedelt und ſie
entladen ihr Bruchmaterial ohne Schaden in wüſte Gründe. Doch
aber giebt es Beiſpiele genug, daß ſolche Gletſcher-Stürze dennoch
im bebauten Lande und in den bewohnten Gegenden mittelbar un¬
berechenbaren Schaden anrichteten. Das markanteſte Beiſpiel die¬
ſer Art iſt das Unglück, welches der Gietroz-Gletſcher oder viel¬
mehr deſſen angehäufte Sturzmaſſen am 16. Juni 1818 im Bagne¬
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