Ha! sieh' der Alpen Haupt umschlungen, Vom Flammenkranz und gluthumrollt, Als ob zu sparen ihr gelungen Ein Theil von ihrem Tagesgold! Als ob tagüber sie gefangen Zum Kranz die Rosen all' im Thal; Als ob bei Tag Dir von den Wangen, Du Volk des Thals, das Roth sie stahl!
Anast. Grün.
Es ist kein alltägliches Phänomen, das wir hier anstaunen; es giebt Jahre, in denen das volle, wirkliche Alpenglühen zu den Seltenheiten gehört. Woher der tiefe brennende Gluthton, der die¬ sem prachtvollen Naturschauspiele den bezeichnenden Namen gegeben hat? Andere Gegenstände im Scheine der dunkelroth untergehen¬ den Sonne reflektiren auch, je nach der Receptionsfähigkeit ihres ursprünglichen Farbentones, im bedeutend erhöhten, erwärmten Lichte, -- aber sie erreichen nicht jenes intensive, transparent-heiße Incarnat wie die beschneiten Gipfel der Hochalpen an einem, durch das Zusammenwirken verschiedener Umstände günstig disponir¬ ten Abende. Es mögen folgende drei wesentliche Faktoren sein, welche das Alpenglühen herbeiführen: die Natur und Dichtigkeit der Körper, welche die Strahlen der Sonne einsaugen und wieder¬ geben; -- die Höhe und Lage der beschienenen Gipfel, und der auffallende, bedeutende Abstand der Färbung zwischen der Dämme¬ rung in den Tiefen und der grellen Beleuchtung jener Kulmen.
Der Firn ist eine, an der Oberfläche halbdurchsichtige Masse zahlloser Legionen kleiner, selbstständiger Krystallkörperchen, deren minutiöse, dem unbewaffneten Auge kaum erkennbare, glatte Spie¬ gelflächen die Feuerstrahlen der Sonne aufnehmen und in allen Brechungslinien untereinander zurückwerfen. Dieser Reflexions- Reichthum ist so groß, daß manche der kleinen Spiegelkrystalle, welche durch ein hervorstehendes, winziges Schneekörnchen beschat¬ tet werden, also nicht unmittelbar den Einwirkungen der Sonnen¬ strahlen blosgegeben sind, ihren Glanz erst aus zweiter Hand, durch die Ausstrahlung eines anderen, nachbarlichen kleinen Eisspiegels
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Alpenglühen.
Ha! ſieh' der Alpen Haupt umſchlungen, Vom Flammenkranz und gluthumrollt, Als ob zu ſparen ihr gelungen Ein Theil von ihrem Tagesgold! Als ob tagüber ſie gefangen Zum Kranz die Roſen all' im Thal; Als ob bei Tag Dir von den Wangen, Du Volk des Thals, das Roth ſie ſtahl!
Anaſt. Grün.
Es iſt kein alltägliches Phänomen, das wir hier anſtaunen; es giebt Jahre, in denen das volle, wirkliche Alpenglühen zu den Seltenheiten gehört. Woher der tiefe brennende Gluthton, der die¬ ſem prachtvollen Naturſchauſpiele den bezeichnenden Namen gegeben hat? Andere Gegenſtände im Scheine der dunkelroth untergehen¬ den Sonne reflektiren auch, je nach der Receptionsfähigkeit ihres urſprünglichen Farbentones, im bedeutend erhöhten, erwärmten Lichte, — aber ſie erreichen nicht jenes intenſive, tranſparent-heiße Incarnat wie die beſchneiten Gipfel der Hochalpen an einem, durch das Zuſammenwirken verſchiedener Umſtände günſtig disponir¬ ten Abende. Es mögen folgende drei weſentliche Faktoren ſein, welche das Alpenglühen herbeiführen: die Natur und Dichtigkeit der Körper, welche die Strahlen der Sonne einſaugen und wieder¬ geben; — die Höhe und Lage der beſchienenen Gipfel, und der auffallende, bedeutende Abſtand der Färbung zwiſchen der Dämme¬ rung in den Tiefen und der grellen Beleuchtung jener Kulmen.
Der Firn iſt eine, an der Oberfläche halbdurchſichtige Maſſe zahlloſer Legionen kleiner, ſelbſtſtändiger Kryſtallkörperchen, deren minutiöſe, dem unbewaffneten Auge kaum erkennbare, glatte Spie¬ gelflächen die Feuerſtrahlen der Sonne aufnehmen und in allen Brechungslinien untereinander zurückwerfen. Dieſer Reflexions- Reichthum iſt ſo groß, daß manche der kleinen Spiegelkryſtalle, welche durch ein hervorſtehendes, winziges Schneekörnchen beſchat¬ tet werden, alſo nicht unmittelbar den Einwirkungen der Sonnen¬ ſtrahlen blosgegeben ſind, ihren Glanz erſt aus zweiter Hand, durch die Ausſtrahlung eines anderen, nachbarlichen kleinen Eisſpiegels
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Alpenglühen.
Ha! ſieh' der Alpen Haupt umſchlungen,
Vom Flammenkranz und gluthumrollt,
Als ob zu ſparen ihr gelungen
Ein Theil von ihrem Tagesgold!
Als ob tagüber ſie gefangen
Zum Kranz die Roſen all' im Thal;
Als ob bei Tag Dir von den Wangen,
Du Volk des Thals, das Roth ſie ſtahl!
Anaſt. Grün.
Es iſt kein alltägliches Phänomen, das wir hier anſtaunen;
es giebt Jahre, in denen das volle, wirkliche Alpenglühen zu den
Seltenheiten gehört. Woher der tiefe brennende Gluthton, der die¬
ſem prachtvollen Naturſchauſpiele den bezeichnenden Namen gegeben
hat? Andere Gegenſtände im Scheine der dunkelroth untergehen¬
den Sonne reflektiren auch, je nach der Receptionsfähigkeit ihres
urſprünglichen Farbentones, im bedeutend erhöhten, erwärmten Lichte,
— aber ſie erreichen nicht jenes intenſive, tranſparent-heiße
Incarnat wie die beſchneiten Gipfel der Hochalpen an einem, durch
das Zuſammenwirken verſchiedener Umſtände günſtig disponir¬
ten Abende. Es mögen folgende drei weſentliche Faktoren ſein,
welche das Alpenglühen herbeiführen: die Natur und Dichtigkeit
der Körper, welche die Strahlen der Sonne einſaugen und wieder¬
geben; — die Höhe und Lage der beſchienenen Gipfel, und der
auffallende, bedeutende Abſtand der Färbung zwiſchen der Dämme¬
rung in den Tiefen und der grellen Beleuchtung jener Kulmen.
Der Firn iſt eine, an der Oberfläche halbdurchſichtige Maſſe
zahlloſer Legionen kleiner, ſelbſtſtändiger Kryſtallkörperchen, deren
minutiöſe, dem unbewaffneten Auge kaum erkennbare, glatte Spie¬
gelflächen die Feuerſtrahlen der Sonne aufnehmen und in allen
Brechungslinien untereinander zurückwerfen. Dieſer Reflexions-
Reichthum iſt ſo groß, daß manche der kleinen Spiegelkryſtalle,
welche durch ein hervorſtehendes, winziges Schneekörnchen beſchat¬
tet werden, alſo nicht unmittelbar den Einwirkungen der Sonnen¬
ſtrahlen blosgegeben ſind, ihren Glanz erſt aus zweiter Hand, durch
die Ausſtrahlung eines anderen, nachbarlichen kleinen Eisſpiegels
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/275>, abgerufen am 24.11.2024.
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