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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Alpenspitzen.

Freilich ists auch schon der Fall gewesen, daß solche Firnschründe
sich als unüberwindbar zeigten und die völlige Ersteigung einer
Hochgebirgs-Kuppe nahe am Ziele darum scheiterte. Diese Fatali¬
tät begegnete dem verstorbenen rüstigen Berggänger Hoffmann aus
Basel 1846 am Tödi; ein sechzig Fuß breiter Schneeschlund auf
dem obersten Firnwalle, zwischen der Tödi-Kuppe und dem Piz
Rusein, nöthigte ihn und seine renommirten Führer in einer Höhe
von 10800 Fuß (also 344 Fuß unter der Spitze) zur Umkehr.

Bevor das Besteigen hoher Alpenspitzen so populär wurde,
wie es heut zu Tage wirklich ist, kursirten, selbst in guten Schrif¬
ten, wunderbare Faseleien über allerlei körperliche Zufälle, denen
die Bergwanderer ausgesetzt sein sollten. Bald wurde die Luft als
so exorbitant verdünnt dargestellt, daß das Athemholen fast zur Un¬
möglichkeit werde; bald sollte den Gipfelstürmern Blut aus Mund,
Nase und Ohren quellen; daneben sollten Kongestionen, Brechreiz,
Druck auf Brust und Magen und allerlei Mißbehaglichkeiten als
unvermeidliche Uebel sich bei Jedermann zeigen, der in eine Höhe
von 10000 Fuß und darüber empordringe. Ja, man konstruirte
sogar eine der Seekrankheit entsprechende "Bergkrankheit" mit
ihren Symptomen, Exacerbationen, Remissionen, Krisen etc. und
stellte eine förmliche Arzneimittellehre dagegen auf. Die Berggän¬
ger unserer Tage wissen nichts von dieser Krankheit. Es mag
schon hier und da einmal Nasenbluten eintreten, aber sicherlich nur
in Folge der durch das Bergsteigen veranlaßten bedeutenden Blut¬
wallung; Uebelkeiten mögen solche Leute befallen, die überhaupt an
Magenschwäche leiden, und Mattigkeit ist eine sehr natürliche Kon¬
sequenz der Abspannung des Körpers, wenn man bei großer Kräfte-
Konsumtion 6 und 8 Stunden lang in verdünnter Luft und unter
mancherlei Gefahren bergauf marschirt. -- Die einzigen, wirklich
existirenden, etwas störend auf den Körper und seine normalen
Funktionen einwirkenden Erscheinungen sind der kaum zu löschende,
wahrhaft brennende Durst bei Abwesenheit entschiedenen Appetites,

Alpenſpitzen.

Freilich iſts auch ſchon der Fall geweſen, daß ſolche Firnſchründe
ſich als unüberwindbar zeigten und die völlige Erſteigung einer
Hochgebirgs-Kuppe nahe am Ziele darum ſcheiterte. Dieſe Fatali¬
tät begegnete dem verſtorbenen rüſtigen Berggänger Hoffmann aus
Baſel 1846 am Tödi; ein ſechzig Fuß breiter Schneeſchlund auf
dem oberſten Firnwalle, zwiſchen der Tödi-Kuppe und dem Piz
Ruſein, nöthigte ihn und ſeine renommirten Führer in einer Höhe
von 10800 Fuß (alſo 344 Fuß unter der Spitze) zur Umkehr.

Bevor das Beſteigen hoher Alpenſpitzen ſo populär wurde,
wie es heut zu Tage wirklich iſt, kurſirten, ſelbſt in guten Schrif¬
ten, wunderbare Faſeleien über allerlei körperliche Zufälle, denen
die Bergwanderer ausgeſetzt ſein ſollten. Bald wurde die Luft als
ſo exorbitant verdünnt dargeſtellt, daß das Athemholen faſt zur Un¬
möglichkeit werde; bald ſollte den Gipfelſtürmern Blut aus Mund,
Naſe und Ohren quellen; daneben ſollten Kongeſtionen, Brechreiz,
Druck auf Bruſt und Magen und allerlei Mißbehaglichkeiten als
unvermeidliche Uebel ſich bei Jedermann zeigen, der in eine Höhe
von 10000 Fuß und darüber empordringe. Ja, man konſtruirte
ſogar eine der Seekrankheit entſprechende „Bergkrankheit“ mit
ihren Symptomen, Exacerbationen, Remiſſionen, Kriſen ꝛc. und
ſtellte eine förmliche Arzneimittellehre dagegen auf. Die Berggän¬
ger unſerer Tage wiſſen nichts von dieſer Krankheit. Es mag
ſchon hier und da einmal Naſenbluten eintreten, aber ſicherlich nur
in Folge der durch das Bergſteigen veranlaßten bedeutenden Blut¬
wallung; Uebelkeiten mögen ſolche Leute befallen, die überhaupt an
Magenſchwäche leiden, und Mattigkeit iſt eine ſehr natürliche Kon¬
ſequenz der Abſpannung des Körpers, wenn man bei großer Kräfte-
Konſumtion 6 und 8 Stunden lang in verdünnter Luft und unter
mancherlei Gefahren bergauf marſchirt. — Die einzigen, wirklich
exiſtirenden, etwas ſtörend auf den Körper und ſeine normalen
Funktionen einwirkenden Erſcheinungen ſind der kaum zu löſchende,
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[263/0297] Alpenſpitzen. Freilich iſts auch ſchon der Fall geweſen, daß ſolche Firnſchründe ſich als unüberwindbar zeigten und die völlige Erſteigung einer Hochgebirgs-Kuppe nahe am Ziele darum ſcheiterte. Dieſe Fatali¬ tät begegnete dem verſtorbenen rüſtigen Berggänger Hoffmann aus Baſel 1846 am Tödi; ein ſechzig Fuß breiter Schneeſchlund auf dem oberſten Firnwalle, zwiſchen der Tödi-Kuppe und dem Piz Ruſein, nöthigte ihn und ſeine renommirten Führer in einer Höhe von 10800 Fuß (alſo 344 Fuß unter der Spitze) zur Umkehr. Bevor das Beſteigen hoher Alpenſpitzen ſo populär wurde, wie es heut zu Tage wirklich iſt, kurſirten, ſelbſt in guten Schrif¬ ten, wunderbare Faſeleien über allerlei körperliche Zufälle, denen die Bergwanderer ausgeſetzt ſein ſollten. Bald wurde die Luft als ſo exorbitant verdünnt dargeſtellt, daß das Athemholen faſt zur Un¬ möglichkeit werde; bald ſollte den Gipfelſtürmern Blut aus Mund, Naſe und Ohren quellen; daneben ſollten Kongeſtionen, Brechreiz, Druck auf Bruſt und Magen und allerlei Mißbehaglichkeiten als unvermeidliche Uebel ſich bei Jedermann zeigen, der in eine Höhe von 10000 Fuß und darüber empordringe. Ja, man konſtruirte ſogar eine der Seekrankheit entſprechende „Bergkrankheit“ mit ihren Symptomen, Exacerbationen, Remiſſionen, Kriſen ꝛc. und ſtellte eine förmliche Arzneimittellehre dagegen auf. Die Berggän¬ ger unſerer Tage wiſſen nichts von dieſer Krankheit. Es mag ſchon hier und da einmal Naſenbluten eintreten, aber ſicherlich nur in Folge der durch das Bergſteigen veranlaßten bedeutenden Blut¬ wallung; Uebelkeiten mögen ſolche Leute befallen, die überhaupt an Magenſchwäche leiden, und Mattigkeit iſt eine ſehr natürliche Kon¬ ſequenz der Abſpannung des Körpers, wenn man bei großer Kräfte- Konſumtion 6 und 8 Stunden lang in verdünnter Luft und unter mancherlei Gefahren bergauf marſchirt. — Die einzigen, wirklich exiſtirenden, etwas ſtörend auf den Körper und ſeine normalen Funktionen einwirkenden Erſcheinungen ſind der kaum zu löſchende, wahrhaft brennende Durſt bei Abweſenheit entſchiedenen Appetites,

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/297>, abgerufen am 24.11.2024.